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Zu wenig behindertengerechte Bahnhöfe: SBB setzen auf Taxis

Zu wenig behindertengerechte Bahnhöfe: SBB setzen auf Taxis

18.01.2023, 09:0918.01.2023, 11:34
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Ein Mann im Rollstuhl verlaesst am 27. November 2009 im Bahnhof von Bern, Schweiz, einen InterCity-Doppelstockzug der Schweizerischen Bundesbahnen SBB. (KEYSTONE/Gaetan Bally)
Nicht jeder Bahnhof ist rollstuhlgerecht.Bild: KEYSTONE

Wenn Gehbehinderte an ihrem Wohnort noch keinen barrierefreien Bahnhof haben, sollen sie künftig ein Taxi zum nächsten behindertengerecht umgebauten Bahnhof nehmen können. Das wollen die in der Alliance SwissPass organisierten Unternehmen des öffentlichen Verkehrs.

Die SBB haben vergangene Woche auf der öffentlichen Beschaffungsplattform simap.ch schweizweit einen Auftrag für solche Fahrtdienste ausgeschrieben. Darauf machten die Zeitungen des Tamedia-Verlags am Mittwoch aufmerksam. Die SBB wurden im Namen aller in der Alliance SwissPass organisierten Unternehmen tätig, wie eine Sprecherin der SBB auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte.

Der Strassentransport wird demnach mindestens zwei Stunden im Voraus beim «Call Center Handicap» der SBB bestellt werden müssen. Dieses Callcenter hilft Personen mit eingeschränkter Mobilität kostenlos, Zugreisen zu planen und durchzuführen.

Befördert werden Personen mit eingeschränkter Mobilität vom nicht behindertengerechten Bahnhof zum nächstgelegenen barrierefreien Bahnhof. Nicht behindertengerecht meint, dass der Bahnhof keinen stufenfreien Zugang zum Perron hat oder das Perron zu schmal ist für eine Hilfe mittels Mobilift. Ein Mobilift ist eine gelbe Hebebühne.

Kein Taxi wenn genügend Hilfeleistung

Wo die Hilfeleistung hingegen gewährleistet ist, kommt der Taxidienst nicht zum Einsatz. Zu den Kosten für den geplanten Fahrdienst kann die SBB noch keine Angaben machen. Im Sommer dieses Jahres wollen die SBB den Auftrag vergeben haben. Geplant ist eine Laufdauer bis Ende 2029.

Die SBB sprechen auf Anfrage von einer Übergangslösung. Sie soll zur Anwendung kommen bis überall dort, wo es verhältnismässig ist, Bahnhöfe und Haltestellen des öffentlichen Verkehrs barrierefrei umgebaut sind. Die Behindertenorganisationen seien über diese Übergangslösung informiert und bei der Erarbeitung der Ausschreibung seien Personen mit Mobilitätseinschränkungen befragt worden. In der Alliance SwissPass sind rund 250 Unternehmen des öffentlichen Verkehrs organisiert.

Noch über 500 Haltestellen nicht bereit

Hintergrund für die Ausschreibung des Taxidienst-Auftrags ist, dass gemäss dem Behindertengleichstellungsgesetz alle Haltestellen des öffentlichen Verkehrs bis Ende dieses Jahres behindertengerecht angepasst sein müssten. Nur wird diese Anpassung bei über 500 Bahnhöfen und Bahn-Haltestellen mehrerer ÖV-Unternehmen Ende Jahr noch nicht erfolgt sein. Das ist seit Dezember klar.

Das Bundesamt für Verkehr forderte deshalb im Dezember, dass die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs bis zur Inbetriebnahme der verspätet umgebauten Anlagen Teilinbetriebnahmen umsetzen. Auch Überbrückungsmassnahmen sind möglich, zum Beispiel mit Hilfe durch das Bahnpersonal.

Kein Lob von «Inclusion Handicap»

Der geplante Taxidienst für Menschen mit Beeinträchtigungen erntet vom Dachverband der Behindertenorganisationen Inclusion Handicap kein Lob: Grundsätzlich sei eine Taxilösung im Vergleich zur Fahrt im öffentlichen Verkehr für Behinderte weniger gut.

Sie grenze Gehbehinderte aus, weil sie allein im Taxi reisen müssten. Auch zwinge sie zum Umsteigen, sagte am Mittwoch Caroline Hess-Klein, Abteilungsleiterin Gleichstellung bei Inclusion Handicap, auf Anfrage von Keystone-SDA. Gehbehinderte seien weiterhin auf fremde Hilfe angewiesen.

Das Behindertengleichstellungsgesetz wolle, dass Behinderte selbstständig reisen könnten. Die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs seien verpflichtet, solche Massnahmen zu ergreifen, bis die Bahnhöfe umgebaut seien. (cpf/sda)

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42 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Mocking Bert
18.01.2023 10:12registriert Februar 2022
Würde mich interessieren, ob Bahnhöfe wie zum Beispiel in Mumpf AG auch noch angepasst werden. Laut Auskunft SBB gilt dieser nämlich als "barrierefrei", obwohl Gehbehinderte einen Umweg von ca. 500m machen müssen um auf die andere Seite zu kommen. Und somit keine Chance haben, den Anschlussbus zu erreichen.

Beschämend.
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Ökonometriker
18.01.2023 09:36registriert Januar 2017
Das Problem betrifft aber nicht nur dauerhaft behinderte Personen. Auch Leute mit kleineren Problemen mit dem Bewegungsapparat (z.B. nach einem Unfall) oder Leute mit Kinderwagen kämpfen mit schlecht gebauten Bahnhöfen.
Kann da jetzt jeder das Taxi rufen?
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