Die Temperaturen sind gefallen, das Schlottern hat begonnen. Damit steigt die Zahl der Personen, die sich mit Husten, Kopfweh und Schnupfen herumplagen müssen. Klassischen Grippesymptomen also. So manche Patienten greifen da nach dem Medikamentenklassiker Neocitran, der zum britischen Pharmakonzern Haleon gehört. Dieser zählt in seinem Waadtländer Ableger in Nyon rund 1200 Angestellte.
Aktuell läuft denn auch eine Kampagne für das Pulver. Doch diese sorgt für Kritik. Im TV-Spot ist die Stimme eines Mädchens zu hören, das dem Publikum von seiner Mutter erzählt. «Mama schaut gut zu uns», sagt sie auf Schweizerdeutsch. Und man sieht, wie sie ihrer Mutter lachend davon springt, und wie diese sich um die Grossmutter sorgt.
Die Grippe-Viren machen der Idylle allerdings einen Strich durch die Rechnung. Am Arbeitsplatz beginnen die ersten Schnupfensymptome, zu Hause auf dem Sofa folgen die Kopfschmerzen. «Ich würde mir wünschen, dass sich Mama auch mal zu sicher selber schaut.» Die Lösung? Ein umsorgender Partner? Bettruhe und viel Tee? Nein, natürlich Neocitran. Denn dieses bekämpft laut der Werbestimme sechs häufige Grippe- und Erkältungssymptome, «damit es dir wieder besser geht und du dich auch um andere kümmern kannst».
Für Valérie Vuille, Direktorin der Genfer Organisation Décadrée und Expertin für Gleichberechtigungsfragen, ist dieser Spot problematisch. Gezeigt werde eine sehr traditionelle Geschlechterrolle, mit der Mutter, die sich um das Kind kümmert, arbeitet und keine Zeit habe, um sich selber Ruhe zu gönnen. Also werde sie krank. Niemand stehe ihr helfend zur Seite. «Das Medikament bietet eine Lösung, damit sie die ihr auferlegte Rolle weiter ausführen kann.»
Diese Realität existiere sehr wohl, aber sie sei problematisch und sollte nicht dazu verwendet werden, um ein Produkt zu verkaufen, sagt Vuille. Zudem sei die Grundbotschaft fragwürdig. Sie laute: «Ihr habt kein Recht, krank zu sein, im Bett zu liegen und um euch selber zu kümmern. Ihr müsst immer eine rasche Lösung finden, um euch wieder um andere zu kümmern.»
Dieses sexistische Gebot führe bei Frauen zu Schuldgefühlen und habe Folgen auf deren psychische und physische Gesundheit, sagt Vuille. Leider seien derart sexistische Werbungen in der Schweiz erlaubt und auch oft zu sehen. Gemäss einer Inserate-Analyse von Décadrée aus dem Jahr 2020 beinhaltet etwa jede vierte Werbung in der Schweiz sexistische Inhalte. Laut Vuille ist es dringend nötig, dass Unternehmen und Werbeagenturen ihre Kampagnen verstärkt hinterfragen.
Haleon-Sprecherin Martina Gernet sagt, man wolle mit der Neocitran-Werbung auf keinen Fall ein traditionelles oder ungleiches Geschlechterrollenbild sich zu Nutzen machen oder gar propagieren. Dass diese auf Kritik stösst, tue der Firma leid. «Der Werbespot ist Teil einer globalen Kampagne, die unterstreichen möchte, wie wichtig es ist, sich bei Erkältung genügend Ruhe zu gönnen.» Zudem würden die Themen Diversität und Gleichberechtigung Haleon sehr am Herzen liegen und seien fester Bestandteil der Werte im Unternehmen. So würden ab Januar alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Anspruch auf sechs Monate bezahlte Elternzeit haben. (aargauerzeitung.ch)
Dieses dauernde Suchen nach möglichen Sexismus-Skandalen kotzt mich langsam an.