Vielleicht hätte ich mich doch nicht als Vegetarier outen sollen. Das brachte meinen Chef auf die glorreiche Idee, mich an eine sogenannte Weideschlachtung zu schicken: Dabei wird das Tier in seiner gewohnten Umgebung, inmitten seiner Herde, erschossen. Die nackte Panik erfasste mich. Mir wurde leicht mulmig zumute.
Dann die Entwarnung: Nils Müller, der erste praktizierende Weideschlachter der Schweiz, darf und will die Praktik aus Rücksicht auf die Tiere gar nicht öffentlich vorführen. Doch nach einem Besuch auf seinem Hof in Forch muss ich zugeben: So schlimm wäre es wohl gar nicht gewesen.
Im Vorfeld war ich extrem skeptisch: Das ist doch ein Hippie-Ding, dachte ich. Ein Freak will jetzt mit so einer Gspürschmi-Methode das Töten von Tieren schönreden. Und was soll das schon für einen Unterschied machen, ob ein Rind auf der Weide oder ein paar Stunden später im Schlachthof stirbt?
Es macht einen Unterschied. Und auch sonst spricht einiges für die Weideschlachtung:
Bauern, die darauf Wert legen, ihren Tieren ein würdevolles und artgerechtes Leben zu ermöglichen, müssen dieses Prinzip an einem Zeitpunkt aufgeben: bei der Schlachtung. Der Transport und der Aufenthalt im Schlachthof lösen bei den Tieren grossen Stress aus.
Das kann bei der Weideschlachtung vermieden werden. «Es gibt keine bessere Variante, den letzten Tag des Tieres zu gestalten», sagt Nils Müller. Als Zeitpunkt wählt er den Morgen, da sind die Tiere friedlich und ruhig.
Der letzte Tag im Leben eines Nutztiers ist der Schlimmste. Sie werden von ihrer Herde getrennt, in ein Fahrzeug getrieben, wo sie fixiert werden. Für Tiere, die ein artgerechtes Leben auf der Weide verbracht haben, ist das alles noch schlimmer als Tiere aus der industriellen Tierhaltung – denn sie sind sich solche Belastungen überhaupt nicht gewöhnt.
Der Schweizer Tierschutz (STS) kritisiert die Weideschlachtung zwar: Unter anderem mit dem Argument, dass die von ihnen erkämpfte Fahrzeitbeschränkung von 6 Stunden auf der Welt einmalig und tierschutzkonform sei. In Müllers Augen leiden die Tiere jedoch schon bei kurzen Transporten sehr.
Im Schlachthof steht jedes Tier Todesängste durch, weil es instinktiv spürt, dass sein Leben in Gefahr ist. Die Tiere werden oft gemeinsam mit ihnen unbekannten Tieren eingepfercht und durch die Anlage getrieben. Dies alles kann man einem Tier ersparen.
Es gibt klare Anzeichen dafür, wann ein Rind gestresst ist: Schwitzen, Unruhe, Zittern, Muhen und Schnauben, beschleunigte Atmung, das Lassen von Kot und Urin. Wie man im Video der Schlachtung sehen kann, sind diese Anzeichen bei keinem der Tiere zu sehen: Weder vor dem tödlichen Schuss noch beim Rest der Herde danach.
Die zuckt nur kurz zusammen, dann geht das Leben weiter. Weil nie eine Bedrohung entsteht, verstehen die überlebenden Rinder gar nicht, was mit ihrem Artgenossen geschehen ist, sie haben keine Abstraktionsfähigkeit.
Es klappte nicht auf Anhieb – doch schliesslich hat Nils Müller im vergangenen Dezember vom Veterinäramt Zürich eine beschränkte Bewilligung erhalten: Zehn Weideschlachtungen darf er auf seinem Betrieb unter Aufsicht von Amtsärzten durchführen, wenn alles gut geht, winkt eine permanente Erlaubnis.
Die musste sich Müller aber erst mit Hilfe des des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) und der Tierschutzorganisation «Vier Pfoten» erkämpfen. Mit zwei Jahren dauerte das Seilziehen aber relativ kurz: Der deutsche Weideschlachtpionier Hermann Maier, der schon seit 29 Jahren praktiziert, musste für das Recht 13 Jahre kämpfen.
Nils Müller weckt Vertrauen: Er hat sich alles ins kleinste Detail überlegt. Fürs Töten benutzt er extra die Kleinkalibermunition .22 Magnum: Sie erzeugt keinen grossen Knall und verursacht eine tiefe und sichere Betäubung. Das Projektil bleibt im Kopf stecken, es gibt keinen Ausschuss. So sind weder andere Tiere noch Menschen gefährdet.
Zudem hat Müller, der zu dem Zweck eine Jägerausbildung absolviert hat, eine separate Koppel mit einem Hochsitz eingerichtet. Dort wartet er, darauf, bis sich ein Tier ihm zuwendet und drückt ab. Mit einem Frontlader hebt er es innerhalb von 90 Sekunden, worauf das Tier verblutet. Danach bringt er es mit einem Spezialanhänger in das nahe gelegene Schlachtlokal.
Bleibt zu hoffen, dass sich Bauern, die Müllers Beispiel folgen, auch so hohe Standards setzen. Der Schweizer Tierschutz (STS) warnt davor, dass Menschen und Tiere bei einer schlechten Ausführung verletzt werden könnten.
Nils Müller sieht die Weideschlachtung als Teil einer ganzheitlichen Haltung: Von der Geburt bis zum Tod sollen die Tiere ihre Zeit bei ihm auf dem Hof verbringen. «Ich will die Schlachtung nicht jemand anderem überlassen», sagt er.
«Es ist ein schwieriger Schritt», sagt Müller über die Tötung seiner Lieblinge. Denn eine gute Beziehung mit den Tieren sei unerlässlich. So vertrauen sie ihm und sind in ihren letzten Momenten nicht gestresst, wie das bei einem fremden Metzger der Fall wäre.
Zu dem ganzheitlichen Ansatz gehört auch, dass das Tier ganz verwertet wird, in Zusammenarbeit mit einem lokalen Metzger. Verkauft werden die Produkte im Laden seines Hofs «zur Chalte Hose». Müller wünscht sich, dass sein Beispiel Schule macht. «So können wir lokale Metzger und Bauern einbinden und sinnvolle Arbeitsplätze schaffen, statt alles der Industriellen Fleischproduktion zu überlassen.»
Die grosse Frage: Kann eine solche Methode einen Vegetarier wieder dazu bringen, Fleisch zu essen? In meinem Fall lautet die Antwort nein. Das «sanfte Töten» ist trotz allem ein Gegensatz in sich – denn eine Tötung ist per se ein gewalttätiger Akt, der ein Leben beendet. Immer.
Aber mir geht es um ein Prinzip. Für diejenigen, die sich zwar ums Tierwohl sorgen, sich aber nicht daran stören, dass Tiere für ihr Teller getötet werden, ist die Weideschlachtung auf jeden Fall unterstützungswürdig. Näher ans «sanfte Töten» kommt man in der Realität kaum.
Roger Gruber
Florian Studer
Die Schweiz ist ein Grasland. Die Ressource Gras kann nur von Wiederkäuern verwertet werden. Um unser landwirtschaftliches Potential ausschöpfen zu können, sollten wir also Milch und Fleisch von Rinder essen, die vornehmlich mit Gras gefüttert wurden.
Anded