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Migros: Gute Geschäfte mit Medbase und ein Flop mit Bestsmile

Bittere Pille für Dr. Migros: Der Detailhändler erleidet bei Arzt-Ambitionen einen Flop

Die Migros hat mit Medbase ein starkes Bein im Gesundheitssektor aufgebaut. Aber nicht alles, was mit Gesundheit zu tun hat, ist auch gesund fürs Geschäft, wie der Fall eines gehypten Start-ups zeigt.
12.02.2024, 16:3612.02.2024, 16:36
Florence Vuichard / ch media
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Die Anfänge waren bescheiden. Als die Migros 2010 bei Medbase einstieg, zählte das Gesundheitsunternehmen gerade mal sieben Standorte und rund 150 Angestellte. Mittlerweile ist die Medbase-Gruppe die grösste Anbieterin von medizinischer Grundversorgung in der Schweiz. Sie beschäftigt an die 4000 Mitarbeitende, betreibt schweizweit 69 Gesundheitszentren, vier Radiologie-Zentren, 58 Apotheken sowie 42 Zahnarztzentren – und spült der Migros gute Erträge in die Kasse.

medbase
Eine Medbase Praxis.Bild: medbase.ch

Genaue Zahlen rückt die Migros keine heraus, der Detailhandelskonzern betont einzig, dass «Medbase in allen Geschäftsfeldern profitabel» arbeite. Kenner sprechen gegenüber CH Media hier von Gewinnen in zweistelliger Millionenhöhe. Ein Hinweis für den zufriedenstellenden Geschäftsverlauf ist, dass Medbase die jüngsten Migros-Turbulenzen unbeschadet überstanden hat.

Migros-Präsidentin Ursula Nold und Migros-Chef Mario Irminger listen den Bereich «Gesundheit und Well-Being», wie er offiziell heisst, weiterhin als eines der vier strategischen Geschäftsfelder des Konzerns auf. Und das, obwohl dessen einstiger Promotor, der frühere Migros-Chef und Gesundheitsturbo Fabrice Zumbrunnen, schon fast ein Jahr weg ist.

Wenn es brennt, müssen die Chefs weg

Ein zweites Indiz für die Zufriedenheit der Migros-Oberen mit Medbase ist der Lenker des Gesundheitsunternehmens: Der Co-Gründer Marcel Napierala sitzt nach all den Migros-Jahren weiterhin auf dem Chefsessel.

Personalrochaden auf den Teppichetagen sind meist gute Indikatoren für Probleme, wie etwa der Blick auf die grosse Regionalgenossenschaft Migros Aare zeigt, die sich über Aargau, Bern und Solothurn erstreckt. Hier wurde nach dem erzwungenen Abgang von Genossenschaftschef Anton Gäumann im November 2021 ein Grossteil der Geschäftsleitung erneuert. Als Letztes wird nun auch noch der Präsident ausgetauscht.

Auch bei der Genossenschaft Neuenburg-Freiburg wurde im Nachgang des kräfteraubenden Machtkampfs der Migros-Zentrale mit dem langjährigen Regional-Präsidenten Damien Piller der gesamte Verwaltungsrat ausgewechselt.

Die Spatzen haben fertig geflogen

Weg ist auch das Gros der Crew von Sparrow Ventures. Im vergangenen Oktober machte die Migros ihr 2018 gegründetes Innovationsvehikel zu. Es bestand aus einer kleinen Gruppe von an die 40 Personen, die den mehrheitlich englischen Start-up-Slang beherrschten, gerne zu Google ins Silicon Valley reisten, wie Migros-Veteranen gerne monieren, und so gar nicht ins rappenehrende Detailhandelsumfeld passen wollten. «Endlich!» So lautete die spontane Reaktion eines langjährigen Migros-Managers auf den Entscheid von Neo-Migros-Chef Mario Irmiger, Sparrow zu schliessen. Und er dürfte mit dieser Reaktion bei weitem nicht allein gewesen sein.

Das Abenteuer mit der Sparrow-Abteilung kommt die Migros nun teuer zu stehen. Vor allem deren Engagement bei Bestsmile belastet die Bücher – und macht einen Teil der Wertberichtigungen von 500 Millionen Franken aus, welche die Migros nun Anfang Februar bekannt geben musste. Das zeigen Recherchen von CH Media. Bei der Migros will man dies weder bestätigen noch dementieren. Die Abschreiber von 500 Millionen setzen sich gemäss Migros-Sprecher Marcel Schlatter wie folgt zusammen:

  • Immobilien: 200 Millionen Franken
  • IT-Projekte: 80 Millionen Franken
  • Fachmärkte: 80 Millionen Franken
  • Globus-Darlehen: 15 Millionen Franken
  • Verschiedene Bereiche: 125 Millionen Franken

Es ist durchaus plausibel, dass ein Teil der nicht näher definierten 125 Millionen Franken auf Bestsmile fällt. Jedenfalls stutzt die Migros nun das Bestsmile-Geschäft zurecht. 36 von 330 Mitarbeitenden verlieren den Job, ein Viertel der aktuell 36 Filialen wird geschlossen, konkret sind es jene in Solothurn, Thun, Biel, Morges, Yverdon, Bellinzona, Nyon, Schaffhausen und Zürich Enge.

Migros hat bei Bestsmile «Ungereimtheiten» festgestellt

Gegründet wurde Bestsmile 2018 von Ertan Wittwer, Philip Magoulas und Marcel Kubli. Im Angebot waren zu Beginn durchsichtige Zahnspangen, die innert ein paar Monaten die Zahnstellung korrigieren sollten, später kamen hauchdünne Keramikschalen für Zähne hinzu. Bereits Ende 2019 stieg die Migros ein, im Frühjahr 2022 übernahm sie das Unternehmen ganz. Im Gegenzug stiegen die drei Gründer aus. Einzig Ertan Wittwer, ein Star in der hiesigen Start-up-Szene, der zuletzt mit seinem Mitstreiter Kubli in Zürich die Firma Care gegründet hat, ein Selbstoptimierungsgeschäft auf Basis von Blutwerten, blieb bis im Sommer 2023 als Verwaltungsrat an Bord.

Best Smile AG, Bestsmile Filliale in Zürich
Eiem Bestsmile Filiale in Zürich.Bild: watson

Sparrow begründete im Nachhinein seine Investition erstens damit, dass Bestsmile kieferorthopädische Behandlungen zu einem sehr wettbewerbsfähigen Preis versprach. Und zweitens, weil sie «von den Gründern voll überzeugt» waren, von deren Antrieb, Ehrgeiz und Erfahrung. «Wir sind glücklich, als Partner an Bord zu sein».

Mittlerweile ist das Glück getrübt, und das nicht nur, weil die Start-up-Crew bei der Migros weg ist. Offenbar wurden beim Kauf von Bestsmile falsche Zahlen vorgelegt. Man habe sich über den Tisch ziehen lassen, ist von Insidern zu hören. Migros-Sprecher Schlatter sagt dazu: «Im Rahmen der Überprüfung des Bestsmile-Geschäftsberichts 2021 wurden im Herbst 2023 Ungereimtheiten festgestellt.» Das heisst also beim Geschäftsbericht, den noch das Gründer-Trio zu verantworten hatte.

Abklärungen zu diesen Vorgängen seien «nach Bekanntwerden umgehend aufgenommen» worden, sagt Schlatter. Weitere Auskünfte will er zu diesem Zeitpunkt keine geben – auch nicht, ob die Migros nun auf dem juristischen Weg gegen jene vorgehen will, welche für die «Ungereimtheiten» verantwortlich sind.

Wepractice wird in Medbase integriert

Der Fall Bestsmile zeigt, dass nicht alles, was Gesundheit verspricht, gesund fürs Geschäft ist. Mittlerweile hat die Migros etwa auch die millionenteuren Expansionspläne von Wepractice gestoppt, eines weiteren Sparrow-Projekts. Das zu Beginn propagierte Co-Workingspace-Angebot für Psychotherapeuten wird per Mai 2024 aufgehoben. Wepractice hingegen soll weiterbestehen und ist mittlerweile Teil der Medbase-Gruppe. Die Psychotherapie sei schliesslich ein wesentlicher Pfeiler der integrierten Versorgung, sagt Migros-Sprecher Schlatter. Wepractice ist aber nicht mehr ein Netzwerk für selbstständige Psychologen, sondern eines für angestellte Therapeuten.

Wepractice ist kein Einzelfall. Über all die Migros-Jahre sind etliche andere Unternehmen zu Medbase hinzugekommen, wie etwa die Santémed-Gesundheitszentren, die zuvor der Krankenkasse Swica gehörten, das Zahnarztzentrum, die Permanence am Bahnhof Zürich, mehrere Apotheken sowie vor rund einem Jahr für 360 Millionen Franken das Schweiz-Geschäft der Online-Apotheke Zur Rose mit seinem Medikamenten-Grosshandel, Online-Angeboten und einer Logistik-Basis.

Mittlerweile umfasst Medbase den grössten Teil des Gesundheitsangebots des Detailhandelskonzerns. Dr. Migros ist aber damit wohl noch lange nicht am Ende. (aargauerzeitung.ch)

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6 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Händlmair
12.02.2024 19:00registriert Oktober 2017
Ich habe nie verstanden, warum man funktionierende Firmen aus dem Detailhandel mit der Begründung, Fokus auf das Kerngeschäft, verkauft hat und gleich danach bei einer Firma wie Bestsmile eingestiegen ist. Dass dies ein Flop wird, hatte ich damals schon gefühlt. Einer der vielen Managementfehler der letzten Jahren.
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Gina3
12.02.2024 18:57registriert September 2023
Wollte sich die Migros nicht wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren? Lebensmittel? Das habe ich an der letzten Pressekonferenz so verstanden.
Oder ist die Idee, das Problem (Junk Food) und dann auch die Lösung zu verkaufen? D.h. Therapien und Kuren fürÜbergewicht mit liefern?
Vielleicht eine Super Aktion: Ozempic-Spritze nach einer bestimmten Anzahl von Kumuluspunkten aus Junk-Food Kauf?
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Tschowanni
12.02.2024 19:10registriert Oktober 2015
Also in der Regel werden Unternehmen, auch Start Up's, vor Übernahme bis ins Detail durchleuchtet und af diese Grundlage bewertet. Wie es kommt wenn man das nicht gewissenhaft macht, sehen wir hier.
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