2.40 Fr. pro Tag. Das erhielt beispielsweise Anja R., die in Romanshorn einen Laden besitzt. Also 72 Franken pro Monat als Corona-Erwerbsersatzentschädigung für die Zeit, in der sie ihren Laden schliessen musste.
Ähnliches erlebte der Basler Veranstaltungstechniker Lars P. Bei ihm hiess es von der Ausgleichskasse: 12 Franken pro Tag. Zuerst freute er sich, als er den Brief öffnete – die Ernüchterung folgte postwendend: «Zuerst dachte ich, der Betrag von 468 Franken wäre für eine Woche. Dann sieht man, nein, das ist für 39 Tage!»
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Anja und Lars sind keine Einzelfälle, Hunderten Selbständigen in der Schweiz geht es ähnlich. Viele von ihnen meldeten sich bei der SRF-Sendung «Kassensturz», die dem Problem jetzt nachgegangen ist.
Aber wieso erhalten viele Selbständige so wenig? Grund dafür ist die Berechnungsmethode. Die Ausgleichskassen verwenden bei der Berechnung des Betrags nicht etwa das tatsächliche versteuerte Einkommen, sondern das hinterlegte Einkommen.
Bei der Firmengründung gibt der Selbständige an, wie viel er verdienen wird. Dieser Betrag (sogenanntes hinterlegtes Einkommen) wird der AHV-Ausgleichskasse mitgeteilt. Auf Basis dieses Betrags wird dann eine provisorische Akontorechnung erstellt.
Wenn dann das tatsächliche versteuerbare Einkommen vorliegt, wird die definitive Rechnung für die Sozialversicherung nachgereicht. Falls dieser Betrag über dem provisorischen liegt, verrechnet die Ausgleichskasse fünf Prozent Verzugszins.
Diese Lösung ist für viele Selbständige gut: «Ich zahle die AHV-Beiträge Ende Jahr, weil mein Geschäft ein saisonales ist. Den Verzugszins nehme ich in Kauf», sagt etwa Lars P. gegenüber «Kassensturz». Und Anja R.: «Fakt ist, am Ende ist alles bezahlt.»
Das Bundesamt für Sozialversicherungen informierte im März per Kreisschreiben an die Ausgleichskassen, dass als Grundlage für die Erwerbsersatzentschädigung das hinterlegte Einkommen verwendet werden soll. In den entsprechenden Stellen heisst es etwa:
Und:
Ueli Kieser, Professor für Sozialversicherungsrecht an der Universität St.Gallen sagt: «Die Ausgleichskassen müssen zwingend immer das aktuellste Einkommen nehmen. Aktuell das von 2019. Das steht in der Verordnung drin und das muss umgesetzt werden.»
Der «Kassensturz»-Journalist hakt nach:
Das Berechnen der Erwerbsersatzentschädigung aufgrund von Daten, die unter Umständen Jahre zurückliegen, ist also nicht zulässig, lautet das Fazit vom Professor für Sozialversicherungen.
«Kassensturz» wollte im Anschluss wissen, wie das Bundesamt für Sozialversicherungen auf die Vorwürfe eingeht. Die Vizedirektorin des BSV, Colette Nova, begründet dies mit der Zeitnot. Es gehe darum, dass man den Leuten möglichst schnell Geld auszahlen könne. Die Beträge stützten sich auf die Informationen, die man bereits besitze. «Das ist einfach der Betrag, wo die Leute Beiträge drauf bezahlen für das Jahr 2019. Das sind die jüngstmöglichen Zahlen.»
Nova weist auf die Mitwirkungspflicht hin. Die Selbständigen müssten sich melden, wenn sie mehr verdienen. «Die Kasse hat immer einen Informationsrückstand», deswegen gebe es auch diese Mitwirkungspflicht.
Zufall oder nicht: Während der zwei bis dreiwöchigen Recherchen des «Kassensturz» machte das BSV in den letzten Tagen eine entscheidende Wende: Neu gelten nicht mehr nur das hinterlegte Einkommen. Wenn aktuellere Zahlen vorliegen, können Selbständige einen Antrag stellen, dass die Kasse den Fall nochmals überprüfen solle.
Gefragt, woher die Wende komme, antwortet Nova: «Wir sind schlauer geworden, wir haben gewisse Erfahrungen gemacht.»
(jaw)
Dann verstehe ich das richtig, dass die Kassen bei Selbständigen mit teils uralten Zahlen rechnet?