Der Internationale Autosalon in Genf musste wegen des Corona-Virus abgesagt werden. Was bedeutet das für die Messeveranstalter?
Ferdinand Dudenhöffer: Die Gefahr ist gross, dass die kurzfristige Absage den seidenen Faden gekappt hat, an dem der Autosalon sowieso schon hing. Wir schätzen, dass die anwesenden Automarken zusammen mehr als 100 Millionen Euro verloren haben für Standaufbau, -mieten, Hotels usw.. Das wird die Entscheidung der Autohersteller, ob sie im nächsten Jahr wieder kommen, erheblich belasten. Die Zukunft von Genf steht auf dem Spiel.
Hätte es für Genf eine Alternative zur Absage gegeben?
Es hätte eine Alternativplanung geben können. Etwa eine Genfer Presse Show ohne Messebesucher. Die Pressevorstellungen hätte man über Tage mit kleineren Gruppen durchführen können. So hätten die Hauptbotschaften der Autobauer doch der Öffentlichkeit präsentiert werden können.
Schon dieses Jahr sind namhafte Autohersteller fern geblieben.
Bereits im letzten Jahr wurden Messeflächen mit Bistros, Reifenherstellern und Oldtimern aufgepolstert. Dieses Jahr hagelte es noch mehr Absagen. Mindestens 14 prominente Aussteller waren nicht gemeldet wie zum Beispiel Opel, Ford, Peugeot und Volvo.
Was ist das Problem grosser internationaler Automessen?
Besucherschwund, weniger teilnehmende Autobauer, weniger Werbewirkung, weniger Berichterstattung in den Medien. Der Auftritt ist für die Autobauer aber sehr teuer, das zahlt sich immer weniger aus.
Was muss sich ändern?
Ein gutes Beispiel ist die Spielemesse Gamescom in Köln oder auch die Elektronikmesse CES in Las Vegas. Die zeigen nicht nur Hardware. Sie bieten ein Erlebnis, so dass sich über die Vorstellungen im Internet hinaus ein Besuch lohnt. Die Auftritte müssen so sein, wie sie vor zwanzig Jahren durch Steve Jobs von Apple geprägt worden sind oder wie sie Tesla-Gründer Elon Musk macht. Deshalb überlegen sich auch andere Hersteller, einen eigenen Weg der Autopräsentation zu gehen. Die Messen brauchen ein neues Konzept.
Wie soll das aussehen?
Das Auto allein wird nicht reichen. Digitalisierung, neue Devices, künstliche Intelligenz. Die Leute gehen an ein Fussballspiel, weil das dort emotional ist. Das ist bei klassischen Messen verloren gegangen. Es muss eine emotionale Verbindung zum Auto geben.
Wie schadet das Virus der Automobilindustrie?
Das Coronavirus ist für die Wirtschaft insgesamt ein grosses Risiko und lähmt zudem den wichtigsten Automarkt der Welt, China. Zwei Millionen Fahrzeugverkäufe werden dieses Jahr deswegen fehlen, was die ohnehin schon angespannte Lage der Automobilindustrie verschärft. Und Europa könnte sich auch zum Risikogebiet entwickeln.
Warum war die Lage schon ohne Corona-Virus angespannt?
Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Erstens hat US-Präsident Donald Trump mit seinen Zollkriegen mit China die Automobilbranche stark geschädigt. Zweitens führt der grosse Umstieg auf Elektroautos dazu, dass sich Autohersteller neu sortieren müssen. Das wird auch zu Freistellungen von Mitarbeitern führen. Die Autobauer brauchen zudem viel Geld für Investitionen in die Elektrifizierung. Die Elektroautos werden am Anfang weniger Gewinn auswerfen als die klassischen Fahrzeuge. Die Erträge werden sinken. Trump, Elektroautos und Corona-Virus bringen die Automobilbranche in eine schwierige Lage.
Zu Anfangszeiten der Automobil-Geschichte vor etwa 120 Jahren standen sich Autos mit Elektroantrieb und Verbrennungsmotor schon mal in Konkurrenz. Der Verbrenner setze sich durch, warum soll es diesmal anders sein?
Weil es damals keine Batteriespeicher gegeben hat, wie wir sie heute kennen und die Reichweiten der Elektroantriebe sehr kurz waren. Das war eine andere Welt. Heute haben wir mit den Lithium-Ionen-Batterien Hochleistungsspeicher, die schneller geladen werden können, die weniger Gewicht haben und laufend verbessert werden. Wir sind weitgekommen mit den Speichermöglichkeiten, deshalb erwartet man einen Durchbruch.
Auf der Strasse sieht es aber noch anders aus. Da sind Elektroautos die Ausnahme. Wird sich das bald ändern?
Wir glauben, dass 2020 der Startschuss sein wird. Die EU senkt die Grenzwerte für die CO2-Emissionen. Jene Marken, die das nicht erfüllen, werden hohe Strafen zahlen. Ohne Elektroautos wird ein Autohersteller nicht überleben. Zweitens haben viele Regierungen erkannt, dass die Ladeinfrastruktur bereitgestellt werden muss. Drittens wird in Zukunft Kohlendioxid mehr besteuert. Das gibt einen Preisschub bei Benzin und Diesel. Da lohnt sich der Umstieg auf Elektromobilität immer mehr. Zusätzlich bauen Firmen in Europa grosse Kapazitäten für die Produktion von Lithium-Ionenzellen auf. 2030 wird die EU die CO2-Grenzwerte zudem weiter verschärfen. Das gibt den nächsten Schub.
Werden auch die Batterie-Probleme gelöst?
Man verbessert die Energiedichten der Batterien. Es gibt kontinuierliche Verbesserungen mit Materialien. Der nächste grosse Schub wird die Feststoffbatterie sein, die im Vergleich zu einer Lithium-Ionen-Batterie mehr Energie in kürzerer Zeit bei gleicher Grösse speichert.
Mag die Strom-Infrastruktur Schritt halten?
In Deutschland hat man die Atomkraftwerke abgestellt, das halte ich für eine falsche Entscheidung. Denn wir brauchen mehr Strom in Zukunft und der sollte ohne CO2 hergestellt werden. Aber grundsätzlich gilt: Die sechs Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor in der Schweiz werden nicht über Nacht ausgewechselt. Wir haben einen Auswechslungsprozess bis zu 30 Jahren. Wir haben also Zeit, die Stromnetze so zu verbessern, dass elektrisch gefahren werden kann.
Das Ende des Verbrennungsmotors wird also nicht so bald kommen?
Es wird auch nach 2040 noch Benzin- und Dieselautos geben. Möglicherweise auch als Neuwagen, denkt man nur an Afrika, wo die Motorisierung noch rudimentär ist. Aber in industrialisierten Ländern, wo man das CO2 als Kernthema ausgemacht hat, wird der Verbrenner wirtschaftlich irgendwann nicht mehr interessant sein. Die Verbrauchskosten beim Elektroauto werden geringer sein, wenn der Strom vernünftig gemacht wird. Auch die Wartungskosten sind kleiner, die Batteriepreise werden sinken.
Einige Forscher halten die Wasserstoff-Technologie mit Brennstoffzelle langfristig für interessanter und einige Autohersteller investieren viel. Ist das Batterie-Elektroauto nur eine Zwischenlösung?
Nein. Bei Bussen und Nutzfahrzeugen kann man sich Wasserstoff als Treibstoff gut vorstellen. Bei Personenwagen ist der Brennstoffzellen-Antrieb mit Wasserstoff zu teuer. Eine Wasserstofftankstelle kostet eine Million Franken. In Deutschland bräuchte es gut 5000 Tankstellen, wer soll das finanzieren? Für Personenwagen brauchen wir aber ein dichtes Tankstellennetz. Bei Bussen ist es umgekehrt: Da kann eine Stadt eine Wasserstofftankstelle bauen und alle Busse können dort tanken. Der ehemalige Daimler-Chef Dieter Zetsche hat mir dazu eine Anekdote erzählt.
Welche?
Zetsche fragte den Tesla-Chef Elon Musk, was er mache, wenn die Brennstoffzelle komme. Da habe dieser gesagt: «Dieter, ich weiss auch nicht, was besser ist. Aber ich weiss, dass die Infrastruktur für Elektroautos bereit steht.» Damit war für Musk das Thema erledigt. Im Personenwagen-Bereich kann ich mir das in den nächsten dreissig Jahren nicht vorstellen.
Die Empa nutzt überflüssigen erneuerbaren Sommerstrom für die Herstellung von Wasserstoff und damit für die Speicherung. Da gehen schon noch Türen auf.
Absolut. Man kann Wasserstoff sehr gut als Energiespeicher nutzen. Die Frage ist, muss er auch für den Verkehr genutzt werden. Es gibt viele sinnvolle industrielle Anwendungen, die es interessant machen, so Strom zu speichern. Das wird man in Zukunft aber auch mit Elektroautos machen können dank intelligenter Stromnetze.
Welche Technologien werden den Verkehr verändern?
Das autonome Fahren ist wieder etwas zurückgeschoben worden, weil man sehr viel Geld für die Finanzierung braucht, das momentan nicht zur Verfügung steht. Aber die künstliche Intelligenz wird immer mehr mit den Autos zusammenwachsen. Zuerst in China, weil dort die Technologieführer sind und die Gesetzgebung schneller ist.
Werden die günstigen chinesischen Elektroautos bald allen anderen Herstellern davon fahren?
Noch hat Elon Musk die beliebtesten Elektroautos und auch die deutschen Hersteller sind gut unterwegs. Zudem sind deutsche und europäische Hersteller schon chinesischer als wir manchmal denken. Chinesen haben Anteile an Daimler und Volvo gehört Chinesen.
Wenn der Elektroboom mal anzieht. Werden dann mehr oder weniger Autos verkauft?
Ganz interessante Frage. In den letzten zehn Jahren hat man immer wieder gesagt, das persönliche Auto werde langweilig. Wir lebten in der Sharing-Gesellschaft, also werde in Zukunft nur noch geteilt. In den letzten zehn Jahren sind die Fahrzeugbestände zum Beispiel in Deutschland aber um 13 Prozent gestiegen. Obwohl die Zahl der Bewohner gleich geblieben ist. Auch in den Städten ist der Fahrzeugpark angewachsen. Das ist das Gegenteil, was viele Mobilitätsforscher behauptet haben. Viele möchten auf den Komfort eines eigenen Autos nicht verzichten. Wir glauben, dass die Zahl bei uns konstant bleibt und in vielen Ländern sogar noch steigt. Wohlhabende Länder sind verknüpft mit individueller Mobilität. Das Auto ist nicht out, auch wenn man das schon seit fünfzig Jahren erzählt.
Anderer Meinung was die Zukunft des Autosalons in Genf betrifft, ist der Präsident von Auto Schweiz, Andreas Burgener. Der Schaden sei zwar gross, aber man werde das nun genau analysieren und sich auf die Automesse im nächsten Jahr vorbereiten.
Um die Messe zu modernisieren, habe man neue Konzepte einführen wollen, welche das Publikum und die Beziehung zu neuen Mobilitätsformen verstärkt hätten. Das habe man nun leider nicht ausprobieren können. Auch die Amag, der grösste Autoimporteur der Schweiz, glaubt an die Zukunft das einzigen Salons auf «neutralem Boden». «Der Salon zieht jedes Jahr noch über 600'000 Besucher an, das wäre auch dieses Jahr der Fall gewesen», sagt Dino Graf von der Amag. Die Verantwortlichen hätten neue Formate und Inhalte entwickelt, die den Salon fit gemacht hätten. (bzbasel.ch)