Der Ärger bei der Aargauer Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel war Anfang Woche gross. Zu Recht, wie sich mittlerweile zeigt: Sie wurde in einer Auswertung von «Lobbywatch» wegen angeblich 21 bezahlten Mandaten als Parlamentarierin mit den meisten Interessenbindungen dargestellt. Zahlreiche Medien übernahmen diese Daten – watson bezeichnete dabei Humbel als «Lobby-Queen».
Es stellte sich mittlerweile heraus, dass die Angaben von «Lobbywatch» falsch waren: Die Online-Plattform speicherte einige Mandate als «bezahlt» ab, obwohl sie ehrenamtlich waren. Für den Verein hinter der Website kam dieser Fehler zum dümmsten Zeitpunkt, da er diese Woche auch eine Spendenkampagne lanciert hatte. Die Verantwortlichen machten den Bückling, entschuldigten sich bei Humbel und versprachen Verbesserungen.
Zurück bleibt die Verärgerung bei Humbel. Sie wird seit Jahren in Berichten und von der Gegnerschaft als «Lobbyistin» und als mächtige Vertreterin der Pharmalobby dargestellt. Verantwortlich für diesen Vorwurf war ihr beruflicher und politischer Fokus: Von 1990 bis 2008 war sie Kaderfrau beim Krankenkassenverband «Santésuisse» bzw. einer Vorgängerorganisation.
Diese Verbindung kappte sie vor 14 Jahren und wurde selbstständige Beraterin. Ihr Know-how wurde von Spitälern, Krankenkassen und anderen Gesundheitsinstitutionen geschätzt. Gemäss den offiziell deklarierten Interessenbindungen hielt sie sich beim Mandate-Sammeln aber vergleichsweise zurück.
Vergleichsweise deshalb, weil die lange Liste an Mandaten relativiert werden muss: Humbel sitzt zwar heute in 13 Verwaltungs- oder Stiftungsräten, für die sie entweder Entschädigungen oder Spesenpauschalen erhält. Nimmt man es aber ganz genau, so darf lediglich von sieben «bezahlten Mandaten» gesprochen werden.
Wieso das so ist, lässt sich mit ihrem Job beim Gesundheitsunternehmen «Zurzach Care» erklären: Sie ist dort nicht nur Verwaltungsrätin im Mutterkonzern, sondern auch bei vier weiteren Firmenabteilungen, die allesamt über eigene Verwaltungsratsgremien verfügen.
Dasselbe gilt für ihr Mandat bei der Krankenkasse «Concordia», für welches sie in insgesamt vier Verwaltungs- oder Stiftungsräten einsitzen muss. Hinzu kommen weitere kleinere oder mittelgrosse Mandate bei anderen Firmen, Stiftungen oder Vereinen.
Es sind alles bezahlte Interessenbindungen, mit denen sie aber – im Vergleich zu anderen Politikerinnen und Politikern – nicht superreich wird. watson-Recherchen zufolge dürfte sie zwischen 65'000 und 75'000 Franken jährlich kassieren. Die grössten Auszahlungen kommen von:
Von den übrigen vier Mandaten kommen zusätzlich rund 3100 Franken hinzu. Diese Transparenz machte ausgerechnet die Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel möglich: Sie teilte watson mit, dass ihre Entschädigungen «überall nachgefragt» werden dürften, was entsprechend zu transparenten Auskünften führte.
Einzig bei ihrem Mandat bei «Zurzach Care» fehlten genaue Zahlen. Humbel begründet dies damit, dass sie mit zu präzisen Lohnangaben verraten würde, wie viel die übrigen Verwaltungsratsmitglieder verdienen. Neben den bezahlten Jobs deklarierte die 65-jährige Mitte-Nationalrätin eine Reihe von unbezahlten und ehrenamtlichen Tätigkeiten. Verärgert stellt sie fest: «Darüber spricht aber niemand.»
Worüber aber an dieser Stelle gesprochen werden soll, ist das erwirtschaftete Geld als Spitzenpolitikerin und Kaderfrau im privaten Gesundheitswesen: Sie kommt im Schnitt auf rund 200'000 Franken im Jahr, wovon der Grossteil für ihr Nationalratsmandat (im Schnitt: 130'000 Franken) bezahlt wird.
Das ist für viele Bürgerinnen und Bürger ein sehr hohes Einkommen. Im Vergleich zur Privatwirtschaft ist das aber wenig: So betragen die Spitzensaläre der Krankenkassen-CEOs zwischen 500'000 bis 900'000 Franken, für Verwaltungsratspräsidien gibt es auch mal 320'000 Franken. Solche Jobs wären angesichts der langjährigen Karriere auch für Humbel in Greifweite gewesen.
Auch der Vergleich mit anderen Politikerinnen und Politikern relativiert Humbels Lohn, den sie mit ausserparlamentarischen Mandaten verdient. Ihr Ratskollege Christian Wasserfallen aus der FDP gibt etwa an, mit Nebenjobs 185'000 Franken im Jahr verdient zu haben. SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard kommt auf rund 225'000 Franken, bestehend aus der Nationalratsentschädigung und dem Lohn als Gewerkschaftsboss und Kader einer Pensionskasse. Diese Zahlen wurden von Wasserfallen und Maillard selbst gegenüber «Lobbywatch» oder auf der eigenen Webseite deklariert.
Gerade das Beispiel eines linken Lobbyisten wie Pierre-Yves Maillard erklärt, wieso sich Humbel unfair behandelt fühlt: Er wies als Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes nur ein «bezahltes Mandat» in der Höhe von 52'000 Franken aus, obwohl zu seinem Job auch ein Mandat als Präsident der gewerkschaftseigenen Bildungs- und Publikationsstiftung gehört.
Humbel sagt dazu: «Auch er soll für seine Gewerkschaft lobbyieren. Das macht schliesslich das Milizparlament aus. Wenn man aber bei mir aus einem Mandat bei einer Krankenkasse vier einzelne bezahlte Mandate macht, dann müsste das für solche Gewerkschaftsjobs auch gelten.»
Im Gespräch mit watson wird klar, dass der stetige «Lobbyismus»-Vorwurf Humbel nahegeht und sie sich dagegen wehren will. Sie ist heute etwa eine der wenigen Bundeshauspolitikerinnen, die keiner Person einen der Zutrittsbadges fürs Parlamentsgebäude gegeben hat. Nationalrätinnen und Ständeräte können zwei solcher Bundeshaus-Ausweise verteilen, die insbesondere bei Lobbyorganisationen begehrt sind.
Mit der heutigen Offenlegung ihrer Nebenjoblöhne geht sie zudem weiter als die Mehrheit aller Volksvertreter, die aufgrund fehlender Regeln und Gesetze unterschiedlich genau Auskunft über ihre bezahlten Interessenbindungen geben.
Nach einer bald zwanzigjährigen Zeit im Parlament fordert sie deshalb einheitlichere Regeln: «Ich kenne Politiker, die ein Pöstchen unter 2000 Franken Spesengeldern gar nicht deklarieren. Da braucht es klare Regeln, ab welchem Betrag ein Mandat als bezahlt qualifiziert werden muss. Lobbyismus und Interessenvertretung wird derzeit je nach politischer Haltung unterschiedlich bewertet. Verbands- und Gewerkschaftsfunktionäre sollten ihre Tätigkeit mit Vergütung ebenfalls deklarieren müssen.»