
Die Lage ist ernst: Zu fünft wurde am Mittwoch über die drohende Energiekrise informiert.Bild: keystone
Die Schweiz ist bei der Gasversorgung vom Ausland abhängig. Im nächsten Winter könnte es eng werden. Der Bundesrat versucht, die Bevölkerung schonend darauf vorzubereiten.

Folgen
Erst der Strom und nun noch das Erdgas: Die Schweiz muss sich bei der Energieversorgung auf einen schwierigen Winter gefasst machen. Anfang Juni hatte die Elektrizitätskommission (ElCom) vor einer Strommangellage gewarnt. Und jetzt schräubelt der russische Autokrat Wladimir Putin am Gashahn. Er hat die Lieferungen Richtung Westen reduziert.
Begründet wird dies mit angeblichen Reparaturarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1, die sich angeblich wegen der westlichen Sanktionen verzögern. In Deutschland, das stark von russischem Gas abhängig ist, hat Wirtschaftsminister Robert Habeck letzte Woche die Alarmstufe im Notfallplan Gas ausgelöst. Es ist die Vorstufe zum eigentlichen Notfall.
«Gas ist von nun an ein knappes Gut in Deutschland», sagte der grüne Vizekanzler, der seit Wochen mit klaren Worten zum Sparen aufruft und trotzdem oder gerade deswegen auf der Beliebtheitsskala der deutschen Politiker den Spitzenplatz belegt. In der Schweiz war vom Bundesrat lange wenig bis gar nichts zu hören. Das hat sich am Mittwoch geändert.
Nach der letzten Sitzung vor den Sommerferien traten Energieministerin Simonetta Sommaruga und der für die Landesversorgung zuständige Wirtschaftsminister Guy Parmelin gemeinsam mit drei Branchenvertretern vor die Medien. Es war ein Auftritt, auf den sie lieber verzichtet hätten, wie Parmelin zugab. Sommaruga versuchte sich im Habeck-Stil:
«Wir sind mitten in einer weltweiten Energiekrise, und Europa steht im Zentrum.»
Simonetta Sommaruga
Im Klartext: Die Schweiz befindet sich im Zentrum dieses Zentrums und kann sich nicht wegducken. Beim Strom ist das Problem auf den ersten Blick weniger gravierend, da die Schweiz sich weitgehend selbst versorgt. Im Winter ist sie jedoch auf Importe angewiesen, und die sind wegen des Ausfalls mehrerer Atomkraftwerke in Frankreich nicht gesichert.
Und auch bei der Wasserkraft, dem Rückgrat der Schweizer Stromversorgung, zeichnen sich Engpässe ab. Noch seien die Speicherseen gut gefüllt, sagte ElCom-Präsident Werner Luginbühl, aber das werde kaum so bleiben. Weil es im letzten Winter wenig Schnee gab, dürften sie «bis Ende Saison deutlich unter dem langjährigen Mittel liegen».
«Die Resilienz der Schweizer Stromversorgung ist in der aktuellen Situation stark reduziert.»
Werner Luginbühl
Im Klartext: Es ist möglich, dass es im Winter zu einer Mangellage (nicht zu verwechseln mit einem Blackout) kommen wird. Entsprechende Notfallpläne liegen bereit. Beim Gas aber ist die Lage wesentlich dramatischer. Die Schweiz sei «vollständig von Lieferungen aus dem Ausland abhängig», so Guy Parmelin. So verfügt sie über keine eigenen Gasspeicher.
Erdgas spielt in der Schweiz keine zentrale, aber auch keine unwesentliche Rolle. Es wird in der Industrie benötigt, etwa in der Lebensmittelverarbeitung. Die grössten Abnehmer aber sind private Haushalte. Was das konkret bedeutet, erklärte der Bündner FDP-Ständerat Martin Schmid, Präsident des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie (VSG).
«In der Schweiz brauchen wir 35 Terawattstunden Gas pro Jahr, 30 davon im Winter.»
Martin Schmid
Im Klartext: Ein grosser Teil des Gasverbrauchs fällt auf Heizungen, in Häusern, Wohnungen oder Dienstleistungsbetrieben wie Spitälern. Diese sollen nach dem Willen des Bundesrats möglichst von Sparmassnahmen verschont werden, was den Vorgaben der EU entspricht. In die Pflicht nimmt Bundesrat Parmelin in erster Linie die Industrie.
«Wer über eine Zweitstoffanlage verfügt, muss diese prüfen und den Tank mit Heizöl füllen, auch wenn der Ölpreis noch hoch ist.»
Guy Parmelin
Im Klartext: Wer die Produktion von Gas auf Öl umstellen kann, soll sich darauf vorbereiten. Denn Öl gibt es (noch) genug. Die Gasversorgung aber ist nicht gewährleistet. Die Schweiz versucht deshalb, sich im Ausland abzusichern, mit reservierten Kapazitäten vor allem in Frankreich, mit Optionen auf zusätzliche Lieferungen und mit «Solidaritätsabkommen».

Gas wird in der Schweiz zum grossen Teil für Heizen, Kochen und Warmwasser verwendet.Bild: KEYSTONE
«Es ist besser, einen Vertrag zu haben als keinen.»
Martin Schmid
Im Klartext: Die Schweiz setzt auf das Prinzip Hoffnung. Denn ein entsprechendes Abkommen mit Deutschland, das rund drei Viertel des Schweizer Gasbedarfs liefert, wurde am WEF in Davos mit Robert Habeck grundsätzlich vereinbart. Es fand schon eine erste Verhandlungsrunde in Berlin statt, aber Martin Schmid macht sich keine Illusionen.
«Es gibt keine Garantie, dass uns die Nachbarstaaten nicht hängen lassen.»
Martin Schmid
Im Klartext: Wenn Wladimir Putin den Gashahn zudreht, werden unsere Nachbarn zuerst für sich selber schauen. Die Schweiz befindet sich am kürzeren Hebel, reservierte Speicher hin und Optionen her. Zwar führen wichtige Transitleitungen durch die Schweiz, aber UVEK-Chefin Simonetta Sommaruga räumte ein, dass dies keine Garantie sei.
Dem Bundesrat hat es gedämmert, dass die Schweiz im Winter womöglich in die (Gas-)Röhre schaut. Und erhebliche Einschränkungen nötig sein werden.
«Es ist unsere Pflicht, die Bevölkerung für den Fall vorzubereiten, dass unsere Bemühungen nicht belohnt werden und wir uns gezwungen sehen, einschneidendere Massnahmen zu ergreifen.»
Guy Parmelin
Es gibt auch für diesen Fall einen vierstufigen Massnahmenplan. Eine eigentliche Sensibilisierungskampagne zum Energiesparen aber soll erst im Herbst starten, zu Beginn der Heizperiode. Robert Habeck würde darüber den Kopf schütteln.
Im kommenden Winter droht der Schweiz ein Energiemangel. Der Bund ist, spätestens seit aus Russland die Gaslieferung in Richtung Westen zurückgefahren worden ist, unter Druck – doch viele vermissen bisher konkrete Massnahmen. Zuletzt regte sich immer mehr Kritik. Vor allem Simonetta Sommaruga, die Energieministerin im Bundesrat, musste einstecken.