Nach Reduktion von Eigenmarken: Migros streicht 1000 Artikel
Einst war der Einkauf von Milch simpel. Die Frage lautete bloss: Gekühlte Frischmilch oder UHT? Inzwischen ist das Milchregal in Supermärkten aber so vielfältig wie die Fellmuster von Kühen. Pflanzlich, mit Protein angereichert, wenig Fett, und, und, und. Diese grosse Auswahl zeigt sich auch bei anderen Sortimenten, sei es bei Süssgetränken, Cerealien oder Shampoos. Und schliesslich sagte der britische Schriftsteller Oscar Wilde einst: Nothing succeeds like excess – nichts ist erfolgreicher als der Überfluss.
Doch nun ist die Migros zur Erkenntnis gekommen, dass Wildes Weisheit im Detailhandel Grenzen gesetzt sind. Anfang dieser Woche gab der Detailhändler bekannt, dass er in den nächsten zwei Jahren 80 seiner 250 Eigenmarken streichen werde. Der Migros-Marketing-Chef Rémy Müller ist überzeugt, dass selbst die treuesten Migros-Kunden nicht einmal 50 Eigenmarken aufzählen könnten.
«Trennen uns von Doubletten»
«Frey, Farmer und Blévita kennen wohl alle, und die bleiben natürlich bestehen», sagte Müller im hauseigenen Magazin. «Wer hingegen hat schon einmal von Oh! gehört, unserer High-Protein-Eigenmarke? Wer kauft Hüttenkäse oder ein Shampoo und nimmt dabei die Marke M-Classic wahr? Das braucht es gar nicht.» Neu wird auf diesen Produkten schlicht der Name Migros stehen. Gleiches Produkt also, aber mit anderer Verpackung. Im Juni hatte der Händler gegenüber der «NZZ am Sonntag» angegeben, die Eigenmarkenzahl sogar noch stärker zu reduzieren, auf rund 100 bis 2030.
Bei dieser Verpackungsumwandlung bleibt es nicht. Zusätzlich wird auch die Anzahl Produkte verkleinert. Dies deutete Müller im selben Artikel des Migros-Magazins bereits kurz an: «Parallel überarbeiten wir derzeit unsere Sortimente und trennen uns von zahlreichen Doubletten.» Wie Recherchen ergeben haben, steht eine Reduktion von 10 Prozent im Raum.
Dabei geht es um das sogenannte nationale Eigenmarken-Sortiment. Produkte also, die in allen Migros-Supermärkten verfügbar sind, von Genf bis Zürich, wie zum Beispiel Mirador-Würze, Risoletto-Riegel oder Total-Waschmittel.
14 verschiedene Schwarzwäldertorten
Dieses Sortiment umfasst dem Vernehmen nach rund 10'000 Artikel. Eine 10-Prozent-Reduktion entspricht also dem Wegfallen von 1000 Produkten, wie Migros-Sprecherin Prisca Huguenin-dit-Lenoir auf Anfrage bestätigt. «Diese Anpassung erfolgt im Rahmen unserer Supermarktstrategie, um unser Angebot klarer und übersichtlicher zu gestalten.» Der Entscheid habe mit der Fokussierung auf das Kerngeschäft zu tun. «Diese Strategie wurde von der Migros-Gruppe gemeinsam mit der Supermarkt AG entwickelt und wird seit März 2025 schrittweise umgesetzt.»
Es gehe nicht um spezifische Sortimente, sondern um eine gesamtheitliche Prüfung des Angebots, sagt Huguenin-dit-Lenoir. «Ziel ist es, weniger bekannte Marken oder Produkte mit Doppelungen zu reduzieren, um die Orientierung zu erleichtern.» Ein Sinnbild der aufgestauten Vielfalt sind seit Jahren die 14 verschiedenen Schwarzwäldertorten, die je nach Migros-Genossenschaft ein anderes Rezept haben.
«Wir gehen jetzt eines nach dem anderen an», sagt Migros-Industriechef Matthias Wunderlin im Juli gegenüber der «Schweiz am Wochenende». Es gebe durchaus berechtigte Rezepturunterschiede, schliesslich wolle man den regionalen Geschmacksunterschieden gerecht werden. Aber am Schluss würden es dann vielleicht nicht mehr 14, sondern nur 3 verschiedene Schwarzwäldertorten sein.
Sogar mehr als 1000 Artikel?
Ein renommierter Insider glaubt gar zu wissen, dass sich die 10-Prozent-Reduktion auf das gesamte Migros-Sortiment bezieht. Da die grössen Supermarkt-Formate der Migros rund 40'000 Artikel umfassen, käme dies der Streichung von 4000 Artikeln gleich – was die Migros allerdings auf Anfrage dementiert.
Ob nun 1000 oder 4000 Artikel: Für die Kundschaft bedeutet die Massnahme, dass sie sich nicht nur damit zurechtfinden, dass manche ihrer Lieblingsprodukte künftig in einem anderen Gewand herkommen, sondern auch, dass gewisse Artikel gar nicht mehr verfügbar sein werden.
Auch wenn die Migros verlauten lässt, es gehe nicht um Einsparungen, so dürfte Konzern-Chef Mario Irminger auch auf die Kosten blicken, um seine Tiefpreisstrategie zu unterstützen. Zwar hat ein grosses Sortiment viele Vorteile und bietet ein Differenzierungspotenzial, nicht zuletzt gegenüber den deutschen Discountern Aldi und Lidl. Aber die grosse Auswahl verursacht mehr Kosten und bedingt folglich höhere Preise.
Ein Beispiel: Die Migros hat auch Büromaterial im Angebot. Die Überlegung dabei ist, dass die Leute, wenn sie dringend eine Büroklammer benötigen, vielleicht auch noch ein paar andere Dinge einkaufen. Doch die Mietkosten für das Büroklammer-Regal veranschlagt streng genomen gleich viel wie das Milch-Regal, auch wenn bei letzterem die Kundschaft viel häufiger zugreift. Die grössere Auswahl bedeutet mehr Komplexität: Mehr Lieferaufwand, mehr Lageraufwand und nicht zuletzt auch mehr Personalaufwand, da die Regale schliesslich häufiger aufgefüllt werden müssen.
Suche nach «Renner» und «Penner»
So sagte Aldi-Suisse-Chef Jérôme Meyer zuletzt im Interview mit der «Sonntags-Zeitung» in Bezug auf den Preiskampf mit den Grossverteilern Coop und Migros, die tieferen Preise bei Discountern seien nur dank des beschränkten Sortiments möglich. «Wenn jemand glaubhaft machen will, dass man ein grosses Sortiment günstig anbieten kann, dann ist das aus meiner Sicht Magie.»
Für die Migros ist eine derart grosse Sortimentsreduktion nichts Neues. So berichtete CH Media bereits 2012 über ein ähnliches Geheimprojekt mit einer Reduktion um 10 Prozent, beziehungsweise 4000 Artikel. Damals liess der Händler externe Beratern das ganze Sortiment durchleuchten, um die «Renner» und die «Penner» in den Regalen ausfindig zu machen. So werden in der Branche die erfolgreichen und weniger erfolgreichen Produkte salopp genannt.
Denn ein schlankeres Sortiment kann durchaus sogar für mehr Umsatz sorgen, da die Kundschaft bei einer grossen Auswahl zuweilen überfordert ist. Doch offensichtlich wurde bei der Migros seither das Branchenprinzip «one in, one out» vernachlässigt, zugunsten der grösseren Vielfalt. Anstatt für jedes neue Produkt eines herauszunehmen, schaufelte man im Regal einfach ein bisschen mehr Platz frei. (aargauerzeitung.ch)