Schweiz
Wirtschaft

Mehr Platz für Vögel: Kollisionen mit Flugzeugen nehmen zu

Kollisionen mit Flugzeugen nehmen zu – weil sich die Tiere an Ruhe am Himmel gewöhnt haben

Luftfahrtbehörden beobachten eine starke Zunahme von sogenannten «Bird Strikes»: Zusammenstösse von Vogelschwärmen und Flugzeugen. Auch Schweizer Flughäfen und die Swiss bestätigen das Phänomen, das zu brenzligen Situationen führen kann.
14.02.2022, 14:2014.02.2022, 14:34
Benjamin Weinmann / ch media
Mehr «Schweiz»
Ein Airbus 340-300 von Edelweiss Air ueberfliegt nach dem Start den Flughafen Zuerich, am Dienstag, den 14. November 2017, in Kloten. (KEYSTONE/Christian Merz)
Weniger Flugzeuge, mehr Vögel am Himmel über dem Flughafen.Bild: KEYSTONE

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer - aber ein ganzer Vogelschwarm kann zu einer heissen Situation führen. So geschehen im Jahr 2009 in New York. US-Airways-Pilot Chesley «Sully» Sullenberger und sein Co-Pilot Jeffrey Skiles waren kurz nach Start des Flugs 1549 mit einer Notsituation konfrontiert. Ein Schwarm von Vögeln kollidierte mit dem Flugzeug und setzte beide Triebwerke ausser Gefecht. Innert Kürze entschloss sich Sullenberger zur Landung im Hudson-Fluss. Alle 155 Personen an Bord überlebten die spektakuläre und vor allem gefährliche Notwasserung.

Captain Chesley "Sully" Sullenberger speaks during a House Committee on Transportation and Infrastructure hearing on the status of the Boeing 737 MAX on Capitol Hill in Washington, Wednesday ...
Captain Chesley "Sully" SullenbergerBild: AP/AP

Derartige Vögel-Kollisionen - auf Englisch «Bird Strikes» genannt - kommen selten aber regelmässig vor. Und in den allermeisten Fällen gehen sie glimpflicher aus als beim «Miracle on the Hudson», dem Wunder auf dem Hudson. Aber: In letzter Zeit ist deren Zahl überproportional angestiegen. Dies berichtet das Wall Street Journal.

Die Ruhe vor dem Aviatik-Sturm

Schuld sei die Pandemie, schreibt die US-Zeitung, die sich auf Aussagen und Daten von Flughäfen, Luftfahrtbehörden und Biologen beruft. Denn die Covid-Krise sorgte für eine weltweite Flug-Flaute. Manche Pisten wurden gar über längere Zeit gar nicht benutzt. Die Folge: Vögel nisteten sich dort ein, wo sie es nicht sollten. Auf gegroundeten Flugzeugen, in den Triebwerken oder in unbenutzten Infrastrukturen wie Fingerdocks und Boarding-Treppen. Die Tiere haben sich an die Absenz der Airbusse und Boeings gewöhnt.

«Das Risiko ist signifikant gestiegen», sagt Phil Mountain, Chef der britischen Firma Birdstrike Management, die Airlines und Flughäfen bezüglich der Vogel-Kollisionsgefahr berät. Am Flughafen von Portland in Oregon sind Gänse ein Problem, in Rom Möwen und im indischen Bangalore Schwarzmilane.

Gandal, a young male Peregrine Falcon, perches on the hand of Peruvian trainer Giuseppe Travi as he gives a demonstration of his training techniques at the bay of Asuncion, Paraguay, Saturday, Jan. 11 ...
Bild: AP

Und in der Schweiz? Auch hier haben sich die tierischen Vögel an die Absenz ihrer Artgenossen aus Stahl gewöhnt. Je nach Monat seien die Zahlen im vergangenen Jahr zwar unterschiedlich ausgefallen, sagt Raffaela Ackermann, Sprecherin des grössten Landesflughafens in Zürich. Aber: «In Summe wurden 2021 mehr Vogelschläge verzeichnet als in den letzten zwei Jahren.»

Die Zunahme beobachte man vor allem bei drei Vogelarten: den Rauchschwalben, Mauersegler und Turmsegler. Bei den ersten beiden erklärt Ackermann die Kollisionshäufung mit dem nassen, kühlen und stürmischen Wetter zwischen Mai und August. «Dadurch gab es weniger Insekten und dadurch weniger Futter für diese Arten.» Die Schwalben mussten in der Folge länger in der Luft auf der Jagd bleiben, um ihre Küken zu ernähren. Bei den Turmfalken habe man ein verändertes Jagdverhalten festgestellt. «Sie scheinen vom reduzierten Flugbetrieb profitiert zu haben und haben neue Jagdgebiete näher an der Piste beansprucht.»

Rolf Kunz, Präsident der ornithologischen Gesellschaft Zürich, ist nicht überrascht: «Flughäfen mit ihren grossen Grünflächen waren schon immer attraktiv für Vögel. Da ist es nur logisch, dass sie mit weniger Lärm noch attraktiver geworden sind.» Ohne Flugzeuge würden die Vögel eine riesige, ungestörte Fläche ohne Menschen und Hunde antreffen.

Swiss registriert mehr Kollisionen

Swiss-Sprecherin Karin Müller bestätigt die Entwicklung: «Während der Pandemie haben wir im Verhältnis zu den Flugbewegungen mehr Vogelschläge registriert.» Sie verweist auf die Begründung der EASA und die Ruhe während der Pandemie. Müller sagt aber auch: «Mit einem ‹Bird Strike› muss grundsätzlich immer gerechnet werden, besonders während den saisonal bedingten Bewegungen von Vogelschwärmen im Frühling und Herbst.»

Am Basler Euroairport sind die Vögel ebenfalls auf dem Vormarsch. «Der pandemiebedingte Rückgang des Flugverkehrs und der menschlichen Präsenz hat dazu geführt, dass einige Vogelarten in der Nähe der Start- und Landebahnen häufiger anzutreffen sind», sagt Sprecherin Manuela Witzig. Problematisch seien nicht einzelne kleine oder grosse Vögel, sondern grössere Schwärme, wie etwa von Krähen oder Staren. Die Zahl der Wildtierschäden sei zuletzt leicht gestiegen.

Bird Strikes müssen gemäss EU-Regelung dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) gemeldet werden. Auf Anfrage zeigt das Amt die Entwicklung hierzulande auf:

Bird Strikes in der Schweiz (Quelle: Bazl)

  • 2018: 228 Vogelschläge
  • 2019: 322 Vogelschläge
  • 2020: 163 Vogelschläge
  • 2021: 253 Vogelschläge

2020 sind die Fälle zwar um 50.6 Prozent zurückgegangen. Allerdings: Die Anzahl Flugbewegungen schrumpfte stärker, um 64 Prozent, wie Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen. Für das vergangene Jahr liegen noch keine gesamtschweizerischen Aviatik-Zahlen vor. Ein Indiz für den überproportionalen Anstieg der «Bird Strikes» zeigen aber die Flugbewegungen am Flughafen Zürich von 2021. Diese betrugen 48 Prozent im Vorkrisenvergleich. Die Vogelschläge hingegen 78 Prozent.

Bazl-Sprecher Christian Schubert gibt sich zurückhaltend: «Ob die Pandemie zu einem signifikanten Anstieg der Anzahl Vogelschläge geführt hat, kann bislang nicht abschliessend beurteilt werden.» Das Vogelaufkommen sei von sehr vielen Faktoren abhängig wie etwa dem Wetter im Frühling während der Brutphase. «Ist der Frühling beispielsweise sehr nass und kalt, werden weniger Vögel geboren oder überleben die ersten Wochen nicht.»

Jungvögel bezahlen für ihre Unkenntnis

Im Sommer ist laut Schubert die Kollisionswahrscheinlichkeit grösser, «weil die im Frühling geborenen Jungvögel ausfliegen und nebst der fliegerischen Unkenntnis auch die mit dem Flugbetrieb einhergehenden Gefahren nicht kennen.»

Laut dem Bazl kommt es vor allem während des Starts, der Landung oder im Tiefflug in einer Höhe von 300 bis 600 Metern zu Vogelschlägen. «Meistens verlaufen sie glimpflich, sie können aber je nach betroffenem Flugzeugteil - Cockpitscheibe, Flügel oder Triebwerk - erheblichen, finanziellen Schaden verursachen», sagt Schubert. Euroairport-Sprecherin Witzig verweist auf eine Branchenschätzung, wonach Vogelschläge jährlich zwei Milliarden Dollar an Kosten verursachen.

Laserpointer zur Abschreckung

laserpointer shutterstock

Gemäss Publikationen der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle für Verkehr ist es in den vergangenen Jahrzehnten zumindest hierzulande zu keinen Unfällen oder schweren Vorfällen aufgrund von Vogelschlag gekommen.

Damit dem so bleibt, beschäftigen laut Bazl-Sprecher Schubert alle grösseren Regional- und Landesflughäfen eigene Wildtier-Experten, die darauf spezialisiert sind, den Flugbetrieb und die Präsenz der Tiere möglichst gut auseinanderzuhalten. Seit einigen Jahren würden unter anderem Laserpointer eingesetzt, um die Vögel von der Piste zu verscheuchen, ohne sie aber zu verletzen. «Es wird nicht in die Augen der Vögel gezündet, sondern es genügt, den Laserstrahl auf den Aufenthaltsort des Vogels oder des Vogelschwarms zu richten.» Auch Lautsprecher und Knallpatronen werden zur Vergrämung eingesetzt.

Denn wenn der Lärm der Flugzeuge fehlt, muss er anderswo herkommen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Für diesen Mega-Flieger macht sogar der Nebel Platz
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
17 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Nicht_Millennial
14.02.2022 14:42registriert April 2020
honestly though. Ich mich auch. "an die Absenz ihrer Artgenossen aus Stahl gewöhnt"
Leute, echt.
Flugzeug: Aluminium.
Stahl: Gut für den Bau. ist um ein erhebliches schwerer.
395
Melden
Zum Kommentar
avatar
Chalbsbratwurst
14.02.2022 15:43registriert Juli 2020
Zitat: "Seit einigen Jahren würden unter anderem Laserpointer eingesetzt, um die Vögel von der Piste zu verscheuchen, ohne sie aber zu verletzen. «Es wird nicht in die Augen der Vögel gezündet, sondern es genügt, den Laserstrahl auf den Aufenthaltsort des Vogels oder des Vogelschwarms zu richten.»"

Da muss aber einer eine verdammt ruhige Hand haben wenn er den Augen der Vögel ausweichen kann mit dem Laserstrahl. Meiner Erfahrungen nach ist das unmöglich ausser man ist nur 1-2m entfernt... aber dann könnte man sie auch gleich mit rufen und winken vertreiben.
277
Melden
Zum Kommentar
17
Die befestig­te Sprachgrenze
Im Ersten Weltkrieg soll die Fortifikation Murten einen französischen Angriff aus Westen aufhalten. Im Berner Seeland und im Murtenbiet entstehen Schützengraben und Bunker. Viele dieser Bauten liegen direkt auf der Sprachgrenze!

Mit den Seespiegelsenkungen der Ersten Juragewässerkorrektion ist das Grosse Moos leichter passierbar geworden. Vorher bildeten die Sümpfe ein natürliches Geländehindernis im Landesinneren. Ab 1901 ist Bern per Eisenbahnstrecke via Neuenburg und Val de Travers mit Pontarlier verbunden. Diese Route ist die kürzeste Verbindung von Frankreich nach Bern. Nachdem 1913 die Eisenbahnstrecke Lötschberg-Simplon eröffnet wird, ist die Linie Pontarlier-Bern Teil der zweiten Alpentransversale durch die Schweiz.

Zur Story