Die Schweiz steuert anscheinend auf eine Wohnungsnot zu. Das Bundesamt für Wohnungswesen warnt vor Knappheit, der Bundesrat vor «sozialpolitischen Spannungen», Raiffeisenbank vor «all den unschönen Folgen akuter Wohnungsnot». Zuletzt unkte die Credit Suisse noch «Eisberg voraus!»
Es wird nur schlimmer. Jedes Jahr kommen Zehntausende neue Haushalte hinzu, die eigene Wohnungen brauchen: Mehr Menschen wandern zu oder leben bloss allein oder zu zweit. Dann ist da der Bau, der Rätsel aufgibt. Er sollte boomen; stattdessen sind die Baubewilligungen so tief wie nie in zwei Jahrzehnten. Dazu die Credit Suisse: «Die Bautätigkeit streikt.»
Und so werden die Prognosen düsterer, je weiter in die Zukunft man blickt. 2023 fehlen knapp 20 000 Wohneinheiten - also Einfamilienhäuser sowie Wohnungen zu Miete oder Kauf. 2024 sind es über 30 000 Einheiten. Noch später gar um die 50 000.
Es ist eine rekordschnelle Wende. Eben noch wurde die Zahl der leeren Wohnungen veranschaulicht mit dem Bild einer «Geisterstadt in der Grösse von Bern». Nun sollen bald so viele Wohnungen fehlen, wie sie Städte von der Grösse von Luzern haben.
Was es an Wohnraum gibt, ist oft teuer. Die Preise für Eigenheime haben sich längst von mittleren Einkommen entkoppelt. Die Mieten sind vielen Haushalten zu hoch - zumindest dort, wo viele Menschen leben wollen: in den Städten und in deren Nähe.
Eine Knappheit von Wohnraum - wie kann das passieren bei einem solch essenziellen Gut, in einer angeblich so effizienten Marktwirtschaft. Wer oder was trägt da die Schuld, wer hat hier versagt, der Markt oder der Staat?
Auf der liberalen Rechten ist der Staat schuld: Es müsse schneller gehen, bis eine Baubewilligung erteilt sei, es gebe zu viele Einsprachen, zu viele rechtliche Hürden, wie Lärmschutz. Kurz: der Markt gehört entfesselt.
Die Linke kontert: Wo gebaut werde, um Gewinn zu erzielen, würden alte und günstige Wohnungen verschwinden und ersetzt durch teure. Man will das gemeinnützige Bauen entfesseln. In der Gratiszeitung «20 Minuten» fordert SP-Nationalrätin Jacqueline Badran eine «krasse Expansion».
Links wie Rechts will die Nachfrage kappen. Die SVP will weniger Zuwanderung, die Grünen weniger ausländische Konzerne und Expats. Badran will gar Airbnb verbieten: Vermiete das Online-Portal nicht länger Bleiben, würden 20 000 Wohnungen frei.
Oft wird getan, als sei die Schweiz ein Sonderfall. Opfer des eigenen Erfolgs, der Zuwanderer anzieht oder Konzerne. Oder Opfer des eigenen Perfektionismus, der alles kleinlich regelt. Doch die Schweiz ist unter Industriestaaten der Normalfall.
In einer Studie berichtet der Länderverein OECD: «Wohnraum ist im OECD-Raum für viele Haushalte unerschwinglich geworden.» In Umfragen zeigen sich über 50 Prozent der Bevölkerung nicht zufrieden mit der Erschwinglichkeit von Wohnraum an ihrem Lebensort.
In den meisten Industriestaaten seien die Wohnungspreise in den vergangenen zwei Jahrzehnten gestiegen. Das Wohnen verschlinge darum im Durchschnitt einen grossen und zunehmenden Teil der Haushaltsbudgets.
Zum Wunschtraum vom Wohneigentum tönt es von der OECD so wie in der Schweiz. In einer Studie steht: «In einigen Ländern sei Wohneigentum zunehmend ausser Reichweite von jungen Menschen.»
Früher war es anders. In Grossbritannien machten Eigenheimbesitzer einmal zwei Drittel aller jungen Familien mittleren Einkommens aus. Das war noch Mitte der 1990er-Jahre. Heute sind es noch halb so viele. Eine solche Halbierung gab es auch in Frankreich.
Und wie in der Schweiz gilt auch in Australien, Frankreich oder Grossbritannien: Wer jung ist und doch kaufen kann, hat meist glücklich geerbt. In Australien etwa braucht die Hälfte aller jungen Käuferinnen und Käufer die Hilfe von Mami und Papi.
Auf Anfrage heisst es von der OECD, es gebe keinen alleinigen Grund für diese Probleme, entsprechend auch keine alleinige Lösung. Es sei in der Regel so, dass das Angebot an erschwinglichem Wohnraum nicht mit der Nachfrage mitgehalten habe, was wiederum viele Gründen habe.
Die Baukosten seien gestiegen. Der Staat habe in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren für sozialen und bezahlbaren Wohnraum weniger Geld ausgegeben. Die Privatwirtschaft habe ihr Angebot nur begrenzt ausgebaut, was in einem gewissen Masse durch Regulierungen verursacht worden sei.
Es brauche darum mehr Staat wie auch mehr Privatwirtschaft. Man könnte auch sagen, es müssen beide entfesselt werden: Wohnungsbau, um Gewinn zu machen, und Wohnungsbau zum Gemeinnutzen.
Das klingt nach Kompromiss. Es bedient linke wie auch politisch rechte Positionen. Doch finden sich bei der OECD auch Argumente, welche mal die eine, mal die andere Seite ärgern dürften.
Es genüge nicht, sich allein auf die Privatwirtschaft zu verlassen. Dann könnten zu wenige bezahlbare Wohnungen entstehen. Denn es sei oft lukrativer, am oberen Ende des Marktes zu bauen. Das klingt nach einem Versagen des Marktes.
Eine Forderung der Linken kommt in einer Studie schlecht weg: die Kostenmiete, welche den Mietzins beschränkt auf die Kosten, und eine vorgegebene Rendite.
So entstünden weniger neue Wohnungen, alte würden vernachlässigt oder in teure Eigenheime umgewandelt. «Es hilft den Mietern von heute - auf Kosten der Mieter von morgen.»
Oder es finden sich gar Argumente, die gegen die staatliche Förderung von Wohneigentum sprechen - also gegen den Wunschtraum vieler Menschen. Davon würden eher Haushalte profitieren, die ohnehin hohe Einkommen hätten. Es werde übermässig viel Wohnraum verbraucht.
Übermässig ist auch die Verschuldung, die sich Haushalte mit einem Eigenheim oft aufladen. Dass dies gefährlich werden kann, hat sich in der globalen Finanzkrise von 2008 gezeigt.
Diese Kritik am Traum vom Eigenheim wurde vom «Economist» mit viel Verve vorgetragen. Das erzliberale britische Magazin schrieb vom «grössten wirtschaftspolitischen Fehler des Westens».
Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten westliche Staaten mehr tun wollen für ihre Bürger - unter anderem, um die «kommunistische Bedrohung» abzuwehren. Daher hätten sie gelobt, Wohneigentum zu fördern.
Und womöglich einen Fehler gemacht. Zumindest gibt es Forschungen, wonach Hausbesitzende in ihren Gegenden den Wohnungsbau entscheidend behindern. Der «Economist»: «Alternde Hausbesitzende sitzen in halb leeren Häusern und schützen die Aussicht mit Einsprachen.»
In allen reichen Ländern wird zu wenig gebaut: Gemessen an der Bevölkerung nur halb so viele wie in den 1960er-Jahren. Warum das so ist, darüber wird gestritten, neuerdings auch in der Schweiz.
- Einschränkung der Rechte von Mietern, wenn bei sogenanntem Eigenbedarf gekündigt wird (Einsprachen verhindern, Kündigung beschleunigen)
- Untermiete für mehr als 2 Jahre bewilligungspflichtig ➡︎ Viele Mieter sind aber darauf angewiesen, dass sie ein Zimmer ihrer Wohnung untervermieten können, um die Miete bezahlen zu können.
Und die SVP plant eine einfachere Erhöhung von Mietzinsen...
Wie kann man nur diese Parteien wählen?