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Was der Traum vom Eigenheim mit der Wohnungsnot zu tun hat

Was der Traum vom Eigenheim mit der Wohnungsnot zu tun hat

Die Baugesuche sind eingebrochen, es fehlen in der Schweiz knapp 20'000 Wohneinheiten – und bald werden es 30'000 und gar 50'000 sein. Ein Sonderfall in Europa? Ein internationaler Vergleich zeigt erstaunliche Parallelen.
11.03.2023, 06:4111.03.2023, 09:09
Niklaus Vontobel / ch media
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Warten, warten, warten: Wohnungen sind knapp.
Bild: Ga!tan Bally/ Keystone

Die Schweiz steuert anscheinend auf eine Wohnungsnot zu. Das Bundesamt für Wohnungswesen warnt vor Knappheit, der Bundesrat vor «sozialpolitischen Spannungen», Raiffeisenbank vor «all den unschönen Folgen akuter Wohnungsnot». Zuletzt unkte die Credit Suisse noch «Eisberg voraus!»

Es wird nur schlimmer. Jedes Jahr kommen Zehntausende neue Haushalte hinzu, die eigene Wohnungen brauchen: Mehr Menschen wandern zu oder leben bloss allein oder zu zweit. Dann ist da der Bau, der Rätsel aufgibt. Er sollte boomen; stattdessen sind die Baubewilligungen so tief wie nie in zwei Jahrzehnten. Dazu die Credit Suisse: «Die Bautätigkeit streikt.»

Und so werden die Prognosen düsterer, je weiter in die Zukunft man blickt. 2023 fehlen knapp 20 000 Wohneinheiten - also Einfamilienhäuser sowie Wohnungen zu Miete oder Kauf. 2024 sind es über 30 000 Einheiten. Noch später gar um die 50 000.

Es ist eine rekordschnelle Wende. Eben noch wurde die Zahl der leeren Wohnungen veranschaulicht mit dem Bild einer «Geisterstadt in der Grösse von Bern». Nun sollen bald so viele Wohnungen fehlen, wie sie Städte von der Grösse von Luzern haben.

Warten, warten, warten: Wohnungen sind knapp.
Bild: Ga!tan Bally/ Keystone

Was es an Wohnraum gibt, ist oft teuer. Die Preise für Eigenheime haben sich längst von mittleren Einkommen entkoppelt. Die Mieten sind vielen Haushalten zu hoch - zumindest dort, wo viele Menschen leben wollen: in den Städten und in deren Nähe.

Eine Knappheit von Wohnraum - wie kann das passieren bei einem solch essenziellen Gut, in einer angeblich so effizienten Marktwirtschaft. Wer oder was trägt da die Schuld, wer hat hier versagt, der Markt oder der Staat?

Über die Hälfte nicht zufrieden mit Preisen von Wohnraum

Auf der liberalen Rechten ist der Staat schuld: Es müsse schneller gehen, bis eine Baubewilligung erteilt sei, es gebe zu viele Einsprachen, zu viele rechtliche Hürden, wie Lärmschutz. Kurz: der Markt gehört entfesselt.

Die Linke kontert: Wo gebaut werde, um Gewinn zu erzielen, würden alte und günstige Wohnungen verschwinden und ersetzt durch teure. Man will das gemeinnützige Bauen entfesseln. In der Gratiszeitung «20 Minuten» fordert SP-Nationalrätin Jacqueline Badran eine «krasse Expansion».

Links wie Rechts will die Nachfrage kappen. Die SVP will weniger Zuwanderung, die Grünen weniger ausländische Konzerne und Expats. Badran will gar Airbnb verbieten: Vermiete das Online-Portal nicht länger Bleiben, würden 20 000 Wohnungen frei.

Oft wird getan, als sei die Schweiz ein Sonderfall. Opfer des eigenen Erfolgs, der Zuwanderer anzieht oder Konzerne. Oder Opfer des eigenen Perfektionismus, der alles kleinlich regelt. Doch die Schweiz ist unter Industriestaaten der Normalfall.

In einer Studie berichtet der Länderverein OECD: «Wohnraum ist im OECD-Raum für viele Haushalte unerschwinglich geworden.» In Umfragen zeigen sich über 50 Prozent der Bevölkerung nicht zufrieden mit der Erschwinglichkeit von Wohnraum an ihrem Lebensort.

In den meisten Industriestaaten seien die Wohnungspreise in den vergangenen zwei Jahrzehnten gestiegen. Das Wohnen verschlinge darum im Durchschnitt einen grossen und zunehmenden Teil der Haushaltsbudgets.

Ausser Reichweite von den Jungen

Zum Wunschtraum vom Wohneigentum tönt es von der OECD so wie in der Schweiz. In einer Studie steht: «In einigen Ländern sei Wohneigentum zunehmend ausser Reichweite von jungen Menschen.»

Früher war es anders. In Grossbritannien machten Eigenheimbesitzer einmal zwei Drittel aller jungen Familien mittleren Einkommens aus. Das war noch Mitte der 1990er-Jahre. Heute sind es noch halb so viele. Eine solche Halbierung gab es auch in Frankreich.

Und wie in der Schweiz gilt auch in Australien, Frankreich oder Grossbritannien: Wer jung ist und doch kaufen kann, hat meist glücklich geerbt. In Australien etwa braucht die Hälfte aller jungen Käuferinnen und Käufer die Hilfe von Mami und Papi.

Auf Anfrage heisst es von der OECD, es gebe keinen alleinigen Grund für diese Probleme, entsprechend auch keine alleinige Lösung. Es sei in der Regel so, dass das Angebot an erschwinglichem Wohnraum nicht mit der Nachfrage mitgehalten habe, was wiederum viele Gründen habe.

Die Baukosten seien gestiegen. Der Staat habe in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren für sozialen und bezahlbaren Wohnraum weniger Geld ausgegeben. Die Privatwirtschaft habe ihr Angebot nur begrenzt ausgebaut, was in einem gewissen Masse durch Regulierungen verursacht worden sei.

Es brauche darum mehr Staat wie auch mehr Privatwirtschaft. Man könnte auch sagen, es müssen beide entfesselt werden: Wohnungsbau, um Gewinn zu machen, und Wohnungsbau zum Gemeinnutzen.

Grösster wirtschaftspolitischer Fehler aller Zeiten

Das klingt nach Kompromiss. Es bedient linke wie auch politisch rechte Positionen. Doch finden sich bei der OECD auch Argumente, welche mal die eine, mal die andere Seite ärgern dürften.

Es genüge nicht, sich allein auf die Privatwirtschaft zu verlassen. Dann könnten zu wenige bezahlbare Wohnungen entstehen. Denn es sei oft lukrativer, am oberen Ende des Marktes zu bauen. Das klingt nach einem Versagen des Marktes.

Eine Forderung der Linken kommt in einer Studie schlecht weg: die Kostenmiete, welche den Mietzins beschränkt auf die Kosten, und eine vorgegebene Rendite.

So entstünden weniger neue Wohnungen, alte würden vernachlässigt oder in teure Eigenheime umgewandelt. «Es hilft den Mietern von heute - auf Kosten der Mieter von morgen.»

Oder es finden sich gar Argumente, die gegen die staatliche Förderung von Wohneigentum sprechen - also gegen den Wunschtraum vieler Menschen. Davon würden eher Haushalte profitieren, die ohnehin hohe Einkommen hätten. Es werde übermässig viel Wohnraum verbraucht.

Übermässig ist auch die Verschuldung, die sich Haushalte mit einem Eigenheim oft aufladen. Dass dies gefährlich werden kann, hat sich in der globalen Finanzkrise von 2008 gezeigt.

Diese Kritik am Traum vom Eigenheim wurde vom «Economist» mit viel Verve vorgetragen. Das erzliberale britische Magazin schrieb vom «grössten wirtschaftspolitischen Fehler des Westens».

Einst als Abwehr gegen den Kommunismus

Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten westliche Staaten mehr tun wollen für ihre Bürger - unter anderem, um die «kommunistische Bedrohung» abzuwehren. Daher hätten sie gelobt, Wohneigentum zu fördern.

Und womöglich einen Fehler gemacht. Zumindest gibt es Forschungen, wonach Hausbesitzende in ihren Gegenden den Wohnungsbau entscheidend behindern. Der «Economist»: «Alternde Hausbesitzende sitzen in halb leeren Häusern und schützen die Aussicht mit Einsprachen.»

In allen reichen Ländern wird zu wenig gebaut: Gemessen an der Bevölkerung nur halb so viele wie in den 1960er-Jahren. Warum das so ist, darüber wird gestritten, neuerdings auch in der Schweiz.

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238 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Tubel vom Dienst
11.03.2023 07:44registriert Januar 2021
Ein endliches Gut, Bauland, kann nicht mit dem stetigen Wachstum der Bevölkerung mithalten. Zudem kommt hinzu, dass die, die jetzt Bauland besitzen und es nicht unbedingt verkaufen müssen, es behalten, weil der Wert noch weiter steigen wird. Gilt nur für die, die keine Schulden auf dem Land haben. Es wird auch nicht bebaut werden, weil der Aufwand und Ärger mit den potentiellen Mietern und Behörden nicht im Verhältnis zum Ertrag steht.
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SBRUN
11.03.2023 08:29registriert September 2019
"würden alte und günstige Wohnungen verschwinden und ersetzt durch teure", jetzt plötzlich trauert man der alten Zeit nach, wie wir diese hatten. 1990 ein Haus Jg 47 und dann über schrittweise saniert, heute mit den energet. Auflagen nicht mehr sinnvoll. Isolation, Fenster Türen, PV + WP, hängt alles zusammen, ist nur noch in einem Rutsch machbar. Ändert man noch die Innenaufteilung, droht die Falle "Ersatzneubau" und weg ist der Steuerabzug. Ach Ja, und der alte 2'500 CHF Kombi, mit dem man alles transportiert hat, ist auch History. Heute ist's das Autoabo. Ja Leute es ist teuer geworden.
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Bürgerliche wollen nur Steuergeschenke für Reich
11.03.2023 09:30registriert Mai 2015
Gerade gestern hat die bürgerliche Mehrheit in Bundesbern folgenden Vorstössen der SVP zugestimmt:
- Einschränkung der Rechte von Mietern, wenn bei sogenanntem Eigenbedarf gekündigt wird (Einsprachen verhindern, Kündigung beschleunigen)
- Untermiete für mehr als 2 Jahre bewilligungspflichtig ➡︎ Viele Mieter sind aber darauf angewiesen, dass sie ein Zimmer ihrer Wohnung untervermieten können, um die Miete bezahlen zu können.
Und die SVP plant eine einfachere Erhöhung von Mietzinsen...
Wie kann man nur diese Parteien wählen?
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    So viele Wanderwege wie aktuell waren noch nie gesperrt – vor allem eine Region betroffen
    Endlich passt das Wetter. Es ist gar so heiss, dass man sich am liebsten in den Bergen abkühlt. Aber Achtung, du könntest eine böse Überraschung erleben: Aktuell sind nämlich mehr Wanderwege gesperrt als je zuvor – besonders eine Region ist betroffen. Aber es gibt gute Neuigkeiten.

    Der Sommer hat mittlerweile auch die Schweizer Berge erreicht. Immer mehr Wanderwege auch in höheren Lagen werden schneefrei und sind wieder gut begehbar.

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