Pepsi und Coca-Cola kaufen problematischen Zucker – Schweizer Rohstoff-Gigant mischt mit
Indien ist einer der weltweit grössten Zuckerproduzenten. Das weisse Gold aus Zuckerrohr stammt hauptsächlich aus dem Bundesstaat Maharashtra in Westindien. Von dort beziehen auch Getränkegiganten wie Coca-Cola und Pepsi den Rohstoff, um ihre Brause zu süssen.
Kürzlich zeigte allerdings eine grossangelegte Recherche der «New York Times» die bitteren Seiten des süssen Geschäfts: Auf den Zuckerrohrplantagen herrschen katastrophale Arbeitsbedingungen.
Rund eine Million Menschen ziehen in Maharashtra jedes Jahr zur Ernte von Feld zu Feld, wo sie in Zelten leben, ohne fliessend Wasser oder Elektrizität. Weit verbreitet sind bei den Frauen sogenannte Hysterektomien, also die Entfernung der Gebärmutter. Auf den Plantagen sehen sich gemäss Umfragen jede fünfte bis jede dritte Frau zu diesem Schritt veranlasst.
Die Arbeiterinnen unterziehen sich der risikoreichen Operation, um bei der Arbeit nicht von der Menstruation abgehalten zu werden. Denn wer nicht auf dem Feld erscheint, kann nicht nur seine Schulden beim Arbeitgeber nicht zurückzahlen. Es droht oft auch eine Strafzahlung. Hinzu kommt, dass auf den Plantagen Kinderarbeit und Zwangsheiraten an der Tagesordnung sind.
Spirale der Armut dreht
Hysterektomie, Schulden, Zwangsheirat, Kinderarbeit – all dies hängt auf den indischen Zuckerplantagen eng zusammen. Um genug Zuckerrohr schneiden zu können, braucht es zwei Leute, ein Ehepaar. Deshalb werden minderjährige Mädchen in illegale Ehen gezwungen. Sie nehmen für die Hochzeit Schulden auf, die sie wiederum abzahlen müssen. Um möglichst viel arbeiten zu können, lassen sie sich die Gebärmutter entfernen. Dafür müssen sie oft erneut Geld aufnehmen. Die Spirale dreht sich weiter, über Jahre, Jahrzehnte.
In dieses Geschäft sind nicht nur Pepsi und Coca-Cola verstrickt. Auch der Genfer Rohstoffgigant Louis Dreyfus Company mit seinem operativen Hauptsitz in Genf mischt mit. Das Unternehmen wird von Margarita Louis-Dreyfus geleitet, der Ex-Frau des ehemaligen Nationalbankpräsidenten Philipp Hildebrand. Der Konzern macht jährlich über 50 Milliarden Dollar Umsatz und verschiebt 80 Millionen Tonnen Agrargüter wie Kaffee, Reis – oder eben Zucker.
Wie Daten aus der internationalen Handelsplattform Panjiva zeigen, handelte die Louis Dreyfus Company auch mit Zucker aus Maharashtra. Eine Auswertung des Recherchekollektivs WAV hat ergeben, dass der Konzern zwischen 2019 und 2023 über 1300 Zucker-Lieferungen aus dem Gebiet mit den bedenklichen Arbeitsbedingungen tätigte. Das waren mehr als aus allen anderen indischen Bundesstaaten zusammen. Der Auftrag zur Recherche kam von der Koalition für Konzernverantwortung, die sich dafür einsetzt, Grossunternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen.
Auch Schweizer Agrarriese involviert
Die Datenanalysen zeigen weiter, dass Louis Dreyfus Company 2019 und 2020 über 80 Lieferungen aus einer indischen Zuckermühle namens Dalmia Bharat Sugar abgewickelt hat. Diese beliefert auch Coca-Cola und steht stellvertretend für die von der «New York Times» aufgedeckten Missstände. Ein Angestellter, der für diese Mühle Zuckerrohrschneider rekrutiert, sagte offen: «Es ist unmöglich, dass die Arbeiter in einer Saison die Vorschüsse der Arbeitgeber abarbeiten können.»
Trotzdem erhielt die Dalmia-Mühle ein Zertifikat der Organisation Bonsucro, wonach dieser Zucker menschenrechtskonform, frei von Kinderarbeit und Schuldknechtschaft sei. Tatsächlich traf nichts davon zu. Doch die Firmenchefs zeigten den Inspektoren lediglich Vorzeigebetriebe, wo alles in bester Ordnung schien.
Seit den Enthüllungen wächst der Druck auf die Abnehmer dieses Zuckers wie Coca-Cola oder Pepsi, zu handeln. Darauf drängen auch US-Pensionskassen. Die Louis Dreyfus Company gibt an, bereits Konsequenzen gezogen zu haben. Seit 2023 habe man keinen Zucker mehr von Dalmia Bharat Sugar sowie einer weiteren Mühle aus der Region, der Nirani Sugars Limited, bezogen, heisst es auf Anfrage dieser Zeitung. «Wir haben die weitere Beschaffung bei beiden Werken bis zur Untersuchung der erhobenen Vorwürfe, die wir sehr ernst nehmen, ausgesetzt.» Zum Umfang der Zuckerlieferungen in den Vorjahren äussert sich der Konzern nicht.
Die Louis Dreyfus Company betont, man sei sich bewusst, «dass in der indischen Zuckerrohrproduktion Fälle existieren, die Menschenrechtsthemen betreffen». Deshalb arbeite man daran, das eigene Programm für verantwortungsvolle Beschaffung im Land auszuweiten. Letztes Jahr hat der Agrarkonzern eine weltweite Risikoanalyse vorgenommen. Daraus leite man nun Massnahmen ab, auch für die Zuckerlieferketten in Indien.
Grundsätzlich betont die Louis Dreyfus Company, man habe einen internationalen Verhaltenskodex erlassen und mache Vorgaben zu Arbeitsbedingungen und Menschenrechten. «Wir erwarten, dass alle unsere Lieferanten sich daran halten.»
