Hier könnte es in der Schweiz Wohnraum für zwei Millionen Menschen geben
Das renommierte Forschungsinstitut Sotomo untersuchte im Auftrag von Urbanistica, wo und wie in der Schweiz Siedlungsräume qualitätsvoll und nachhaltig entwickelt werden können. Die Resultate wurden heute präsentiert.
Für die Macher ist klar: Nachhaltige Innenentwicklung ist die Lösung für die aktuelle Wohnungsnot. Damit soll neuer Wohnraum für zwei Millionen Menschen geschaffen werden, 70 Prozent der heutigen Siedlungsfläche würden unangetastet bleiben.
Das Schweizer Stimmvolk hat sich 2013 gegen die weitere Zersiedelung der Schweiz ausgesprochen (Teilrevision des Raumplanungsgesetzes RPG). Statt neue Bauzonen auszuscheiden, soll Wohnraum innerhalb des bereits bebauten Gebiets entstehen.
Das ist auch für die Studienmacher die beste Lösung. «Die geforderte Umsetzung der Innenentwicklung ist ein wirksames Gegenmittel für zwei der grössten strukturellen Herausforderungen der heutigen Zeit», wie Urbanistica heute mitteilt:
- Wohnungsnot: Mehr Wohnungen durch relevante Verdichtung an zentralen Lagen reduzieren den Druck auf den Wohnungsmarkt.
- Verkehrsüberlastung: Die Konzentration von Wohn- und Arbeitsraum in den verkehrstechnisch gut erschlossenen Haupt- und Subzentren reduziert den Pendler- und Freizeitverkehr.
Urbanistica schreibt weiter: In der Schweiz ist die ländlich-dörfliche Identität historisch verankert, genauso wie die Grossstadtskepsis. Die Bevölkerung akzeptiert Innenentwicklung nur, wenn damit Qualitätsverbesserungen einhergehen. Gut entwickelte Siedlungsräume sind also nicht einfach dicht, sondern allem voran lebenswert. Nachhaltige Innenentwicklung orientiert sich an drei Zielen:
- Kurze, statt lange Wege: Nahe Dienstleistungen und nahe öffentliche Verkehrsmittel entlasten die Verkehrsinfrastruktur. Ein guter Zugang zu Naherholungsräumen reduziert den Freizeitverkehr.
- Erholungsqualitäten statt Betonwüsten: Verdichtung muss nicht grau sein. Durchgrünung schafft Lebensqualität. Ein gutes Mikroklima wird im Kontext des Klimawandels immer wichtiger. Lebendige Dichte fördert die Fussläufigkeit und senkt zugleich die Lärmbelastung.
- Massvoll statt verschwenderisch: Maximale Nutzung von Baugrundstücken und Gebäudevolumen reduziert den Bedarf an materiellen Ressourcen und entlastet Landschaft und Freiräume. Die ausgewogene Mischung von Wohnen und Arbeiten führt zu einer effizienteren Nutzung der Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur.
Das Forschungsinstitut Sotomo untersuchte diese Vorgaben und kam durch die empirische Analyse zum Gemeinderanking «Potenziale Innenentwicklung». Dieses zeigt das Entwicklungspotenzial für jede Schweizer Gemeinde auf. Die zwei massgeblichen Kriterien sind die ÖV-Erschliessung und die Nutzungsdichte. Die ÖV-Erschliessung sieht aktuell so aus:
Bei der Nutzungsdichte geht es nicht um Bauvolumen, sondern um das Ausmass der Nutzung als Wohn- und Arbeitsort – konkret: die Anzahl Bewohner und Beschäftigte pro Flächeneinheit. Das ergibt folgendes Potenzial zur Innenentwicklung pro Schweizer Gemeinde:
Die Sotomo-Analyse kommt zu erstaunlichen Resultaten: Obschon die Wohnungsnot drastisch ist, kann sie durch vernünftige Massnahmen fundamental abgeschwächt werden. Ausschliesslich durch qualitätsvolle Innenentwicklung kann neuer Wohnraum für zwei Millionen Menschen geschaffen werden. Hierfür werden 70 Prozent aller heutigen Siedlungen nicht angerührt. Gerade einmal 30 Prozent der bestehenden Siedlungsfläche sollen gegen innen entwickelt werden; davon 8 Prozent substanziell und 22 Prozent moderat.
Das grösste Innenentwicklungs-Potenzial liegt in den Agglomerationen: In den wichtigsten Agglomerationsgemeinden der Schweiz kann zusätzlicher Wohnraum für 870'000 Menschen geschaffen werden.
In den grössten Städten gibt es zusätzlichen Wohnraum für 770'000 Personen, in den kleineren Städten für 360’0000 Personen. In allen Fällen entsteht der neue Wohnraum allein durch Innenentwicklung – ohne jede Ausweitung der bestehenden Siedlungsfläche.
Beispiele von unausgeschöpftem Potenzial
Schauen wir uns das noch etwas konkreter an. Die meisten der Gebiete mit dem höchsten Potenzial liegen um die grössten Städte. Hier gibt es guten ÖV-Anschluss, aber meist nicht optimal genutzte Flächen.
Ein Paradebeispiel ist Schwerzenbach ZH, das in der Analyse der Agglomerationen auch das grösste Potenzial auswies (siehe oben). Ein Blick auf das Dorfzentrum bei Google Maps zeigt denn auch: Da hat es noch diverse Grünflächen und Möglichkeiten, um verdichteter zu bauen. Allerdings braucht es dazu auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Über eine Teilrevision der Bau- und Zonenordnung stimmt die Gemeinde im November 2025 ab.
Doch teilweise sind auch Stadtquartiere sehr unterschiedlich, beispielsweise in Prilly VD bei Lausanne. Die Gemeinde ist eigentlich eng mit der Stadt verwoben und insgesamt stark verdichtet. Aber es gibt auch andere Quartiere, so wie dieses im Bild unten. Auch hier gilt allerdings: Die Bau- und Zonenordnung müsste die Verdichtung erlauben, was bei einer Anpassung aber erst auch genehmigt werden muss.
Urbanistica und Sotomo schliessen: «Erst die Nachbarschaftsanalyse macht sichtbar, dass die Dichtewerte innerhalb der Stadt stark differieren – und gezielte Innenentwicklung genau dort ansetzen muss, wo die Potenziale am grössten sind.»
Die detaillierten Gemeindereports sowie die Darstellung aller Indikatoren im 3D-Werkzeug finden sich hier. Dieses helfe nicht nur, sehr schnell alle relevanten Fakten bis auf Ebene Zone und Quartier zu erkennen. Es unterstütze auch die verantwortlichen Behörden in der strategischen Raumplanung sowie in den nachfolgenden Planungsprozessen und in der Kommunikation mit den Stakeholdern.
Hier geht es zum Gemeinderanking «Potenziale Innenentwicklung» aller Schweizer Gemeinden.