15 Grafiken zur Wohnungsnot in der Schweiz, die dir die Augen öffnen
Als attraktive Arbeits- und Lebensräume sind Ballungsräume in der Schweiz Magnete für Menschen aus dem In- und Ausland. Das gilt insbesondere für die Agglomeration Zürich, den mit Abstand grössten Ballungsraum der Schweiz.
Die heute publizierte Sotomo-Studie «Wohnraum für Zürich und die Schweiz» im Auftrag von Fürschi Züri untersucht, auf welche Art und in welchem Ausmass in den sechs grossstädtischen Agglomerationen der Schweiz seit 2016 Wohnraum geschaffen wurde und wie teuer dieser ist. Das sind die wichtigsten Erkenntnisse:
Bevölkerungs- und Wohnbaudynamik
Die Agglomeration Zürich wächst schneller als die meisten anderen Ballungsräume der Schweiz. Zudem nimmt hier der Bevölkerungsstand schneller zu als der Wohnungsbestand. Die Folge: höhere Belegungsziffern der Wohnungen. Also konkret: Junge Erwachsene bleiben länger bei den Eltern wohnhaft.
Eine Lösung ist der Ersatzneubau. In Zürich wird dieser am meisten angewandt und es entstehen pro abgerissener Wohnung im Durchschnitt 2,8 neue. In der Romandie liegt dieser Schnitt deutlich höher (Lausanne 6,5, Genf 6,1). Hier geht also einiges an Effizienz verloren:
Mietpreise im Vergleich
Der Quadratmeterpreis von Neubauwohnungen liegt klar über jenem von Bestandswohnungen. Wer eine Wohnung sucht, kann allerdings nur zwischen freien Bestands- und Neubauwohnungen wählen, und hier sind die Preisunterschiede viel kleiner.
So liegen in der Agglomeration Zürich die Quadratmeterpreise von Neubauwohnungen nur fünf Prozent über jenen von Bestandswohnungen nach Mieterwechsel.
An den begehrtesten Lagen ist die Wohnbautätigkeit zudem tief. Das führt auch dazu, dass die Quadratmeterpreise von Wohnungen, die nach Leerkündigungen totalsaniert wurden, in der Agglomeration Zürich um 25 Prozent über dem Preis von Neubauwohnungen liegen. Aufgrund der hohen Zahlungsbereitschaft für freie Wohnungen werden Totalsanierungen attraktiv.
Wer auf Neubauwohnungen angewiesen ist
Nur dank dem Bau neuer Wohnungen finden junge Einzelpersonen, Paare und Familien in wachsenden Agglomerationen wie Zürich Wohnraum.
Junge Erwachsene und Familien machen fast zwei Drittel der Umziehenden in der Agglomeration Zürich aus. Ihr Anteil an den Bestandshaushalten ist dagegen nur ein Drittel. Junge dominieren das Umzugsgeschehen, während ältere Personen selten aus ihren Bestandswohnungen ausziehen. Solange die Bevölkerung wächst, finden jüngere Menschen nur durch die Ausweitung des Angebots Wohnraum in der Agglomeration.
Obwohl das Bevölkerungswachstum der Agglomeration Zürich durch Zuwanderung getrieben ist, ziehen in Neubauwohnungen grösstenteils Personen aus derselben Gemeinde oder aus der Agglomeration. Nur gerade acht Prozent kommen direkt aus dem Ausland. Drei Viertel derer, die in Neubauten ziehen, leben schon seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz:
Bei Zuzügen in totalsanierte Wohnungen in der Agglomeration Zürich sind Schweizerinnen und Schweizer nicht in der Mehrheit. In diese oftmals eher teuren Wohnungen ziehen überdurchschnittlich viele ausländische Personen aus wohlhabenden Herkunftsländern. Sie zahlen dabei für denselben Wohnungstyp höhere Quadratmeterpreise als Inländer.
Die oft pauschalisierend als «Expats» bezeichneten Gruppen haben im Schnitt geringere Marktkenntnisse, weniger Zeit bei der Wohnungssuche sowie eine mutmasslich hohe Kaufkraft. Viele von ihnen sind junge Erwachsene ohne Kinder, die einen höheren Anteil am Einkommen für die Miete einsetzen können. Ausserdem sind hohe Wohnungspreise in internationalen Metropolen üblich. Aus diesen Gründen mieten sie vermehrt Wohnungen, die wegen ihres ungünstigen Preis-Leistungs-Verhältnisses länger auf den Marktplätzen bleiben.
Bezahlbarer Wohnraum und Verdrängung
In jedem Wohnungstyp zahlen Personen mit Schweizer Pass nach dem Einzug tiefere Quadratmeterpreise als Ausländerinnen und Ausländer (unabhängig davon, ob diese neu in der Schweiz sind oder nicht). Selbst ausländische Personen aus weniger wohlhabenden Ländern zahlen höhere Preise, obwohl sie im Schnitt weniger verdienen (siehe Grafik 32 oben).
Sie sind offenbar im Wohnungsmarkt mit zusätzlichen Hürden konfrontiert. Ausländische Personen aus ärmeren Herkunftsländern ziehen oft in Nachkriegsbauten, die von Schweizerinnen und Schweizern zugunsten neuwertiger Wohnungen verlassen werden.
In allen Regionen der Agglomeration Zürich (inklusive der Stadt) ist die Tragbarkeit der Miete für rund zwei Drittel der Bewohnenden sehr gut. Das mittlere Einkommensdrittel verwendet nur rund 20 Prozent des Haushaltseinkommens für die Miete. Das untere Einkommensdrittel benötigt dagegen rund 30 Prozent des Haushaltseinkommens.
In Zürich gibt es aufgrund von Abriss oder Sanierungen mehr Leerkündigungen als in den anderen Grossagglomerationen. Allerdings gehen auch in der Agglomeration Zürich 99 Prozent der Umzüge nicht auf Leerkündigungen zurück.
Die Wirkung auf die Nachbarschaft
80 Prozent der Zuziehenden in eine Neubauwohnung haben zuvor schon in der Agglomeration Zürich gewohnt. Die Hälfte davon sogar in derselben Gemeinde. Die mittlere Umzugsdistanz in Neubauwohnungen liegt bei weniger als fünf Kilometern. Bei Bestandswohnungen sind es sieben Kilometer.
Wenn Personen in Neubauwohnungen ziehen, werden deshalb Wohnungen in der Umgebung frei. Diese bieten Wohnraum für andere aus der Umgebung. Eine Umzugskette setzt sich in Gang. Werden alle Wohnungen zusammengerechnet, die direkt oder indirekt durch den Bezug von Neubauwohnungen frei werden, finden in der Agglomeration Zürich pro Person, die in eine Neubauwohnung zieht, zwei weitere Personen eine Wohnung:
Grössere Neubauprojekte verändern die Bevölkerungszusammensetzung vor Ort. Es kommen vermehrt jüngere Menschen, viele davon haben oder kriegen Kinder. Durch den neuwertigen Wohnraum findet eine Aufwertung statt. Dennoch zeigt die Analyse, dass die Mietpreisentwicklung der Bestandswohnungen in unmittelbarer Nähe zu Neubauarealen mit mehr als 100 Wohnungen nicht angeheizt wird.
Die Mietpreisentwicklung ist gleich oder sogar etwas geringer als in den einen Kilometer weiter entfernten Referenzregionen. Dies zeigt: In der Umgebung von Neubauarealen entsteht offenbar kein zusätzlicher Druck auf die Mietpreise im Bestand:
Entstehen bei einem Neubauprojekt deutlich mehr Wohnungen, als dafür abgebrochen wurden, wirkt dies der Verdrängung aus dem Quartier entgegen. Die Hälfte der Zuziehenden kommt aus der erweiterten Nachbarschaft (<5 km). Neubauwohnungen schaffen somit zusätzlichen Wohnraum für Menschen aus der Umgebung, die umziehen müssen, etwa weil sie eine Familie gründen.
Durch Umzugsketten multipliziert sich dieser Effekt zusätzlich. Das Gegenteil davon bewirkt Ersatzneubau, der die Anzahl der Wohnungen nur geringfügig erweitert. In noch stärkerem Ausmass führen Totalsanierungen mit Leerkündigungen zu Verdrängung. Hier verlieren Ansässige ihre Wohnung und es ziehen Personen ein, die in der Regel einen höheren sozialen Status besitzen und oft nicht aus der Nachbarschaft kommen.
Das Forschungsinstitut Sotomo hat im Auftrag von Fürschi Züri – einer Initiative der Zürcher Handelskammer – die Bevölkerungs- und Wohnbaudynamik in den sechs grossstädtischen Agglomerationen der Schweiz empirisch untersucht und verglichen. Die Studie wirft dabei einen vertiefenden Blick auf die Agglomeration Zürich und ihre Teilregionen. Als Datengrundlage dienen die Bevölkerungs-, Wohnungs- und Gebäudestatistiken des Bundesamts für Statistik (BFS). Diese liegen als Vollerhebungsdaten vor. Mietpreise wurden anhand der Stichprobedaten der BFS-Strukturerhebung analysiert.
- Immobilien werden noch knapper und noch teurer – so schlimm ist es in der Schweiz
- Diese Umfrage zeigt das Dilemma mit der Wohnungsnot perfekt
- «Hoffnung hat sich zerschlagen» – die Schweiz findet nicht aus der Wohnungskrise
- Wohnungsmieten und Mehrfamilienhäuser werden teurer – Büros günstiger
- Einsprachen und Rekurse verhindern Wohnbauprojekte am häufigsten