Um die Welt und vor allem unsere Spezies vor den Folgen des Klimawandels zu schützen, bedarf es neuer Technologien. Und zwar in rauen Mengen. E-Autos, Windkraft- und Solaranlagen – unser Leben wird zunehmend digitalisiert und elektrifiziert. Klimatechnisch bedeutet das einen Fortschritt, denn ohne das Ende der fossilen Energieträger wird auch die Klimawende nicht zu schaffen sein.
Doch der Abbau der Rohstoffe für Batterien und IT-Produkte ist oft mit Umweltbeeinträchtigungen und Menschenrechtsverletzungen verbunden. Zudem sind auch diese Rohstoffe endlich. Ganz im Gegensatz zur Nachfrage: Diese dürfte in den nächsten Jahrzehnten explodieren. Der Bedarf nach seltenen Erden könnte sich nach Angaben der Europäischen Kommission bis 2050 verzehnfachen.
Woher also nehmen, wenn nicht stehlen?
Die Antwort darauf könnte buchstäblich auf dem Grund des Ozeans liegen. Dass die Tiefsee reich an wertvollen Rohstoffen ist, weiss man zwar schon seit über 100 Jahren. Bislang war es aber technisch kaum möglich, diese abzubauen.
Doch mit dem wachsenden Bedarf wurde in den letzten Jahren viel in Forschung und Technik investiert, sodass der Rohstoffabbau in den Untiefen der Ozeane nicht mehr eine Frage der Technik ist, sondern der Zeit.
Funktionieren soll das Abschürfen des Meeresgrunds folgendermassen: Roboter sammeln in 2000 bis 6000 Meter Tiefe Manganknollen, kobaltreiche Eisen- und Mangankrusten sowie Massivsulfide und Erzschlämme ein.
Dabei sind vor allem die Manganknollen interessant, da sie lose auf dem Meeresboden liegen. Mittels hydraulischen Pumpen werden die Knollen an die Wasseroberfläche zum Schiff befördert, wo sie gereinigt werden. Überflüssiger Schlamm wird auf ungefähr 1200 Meter zurückgepumpt. Das liegt unterhalb der mesopelagischen Zone, also dort, wo kein Licht mehr vorhanden ist. Dabei soll es sich um die Tiefe handeln, in der am wenigsten Schaden angerichtet wird.
Die Schweizer Firma Allseas bereitet in Rotterdam gerade das weltweit erste Schiff für den kommerziellen Abbau von Manganknollen vor. Auf Anfrage bestätigt Allseas, in den kommenden Wochen erste Tests durchführen zu wollen.
Dabei sind die genauen Auswirkungen eines Tiefseebergbaus auf industrieller Stufe unklar. Die Tiefsee ist eine der letzten nahezu unberührten Gebiete der Welt, dementsprechend spärlich das Wissen darüber. Was man jedoch weiss: Das dortige Ökosystem mit ihren an die extremen Lebensbedingungen angepassten Arten ist äusserst empfindlich. Die Lebensräume mit ihren Artengemeinschaften sind oftmals einzigartig. Bergbauliche Vorhaben könnten die seltenen Tiere und Habitate unwiederbringlich zerstören, schreibt zum Beispiel das deutsche Bundesamt für Umwelt.
Die wenigen Studien, die zu den Auswirkungen des Tiefseebergbaus durchgeführt wurden, lassen vermuten, dass die Konsequenzen tatsächlich verheerend wären. Eine Studie hat ein Knollenfeld im Perubecken besucht, das 1989 zwecks Simulation von Tiefseebergbau gepflügt worden war. Die Studie kam zum Schluss, dass sich die Mikroorganismen auch nach 26 Jahren nicht mehr erholt hätten. Diese würden am Anfang der Nahrungskette in der Tiefsee stehen.
Weitere Studien warnen vor Artensterben und einem irreversiblen Verlust von Biodiversität. Auch soll der Lärm der Pumpen schädlich sein für die Fauna. In einem weiteren Bericht wird argumentiert, dass der Tiefseebergbau Sedimentfahnen erzeugen würde. Diese kann man sich als eine Art Unterwasser-Sandsturm vorstellen. Die Sedimentfahnen könnten laut der Studie das Mittelwasser-Ökosystem bedrohen. Dies ist eine kritische Zone im Ozean, die 90 Prozent der Biosphäre der Erde ausmacht. Das Mittelwasser-Ökosystem beherbergt eine Fischbiomasse, die dem 100-fachen des jährlichen weltweiten Fischfangs entspricht. Sie reguliert Kohlenstoff und unterstützt sogar das pelagische Nahrungsnetz durch Nährstoffregeneration.
Damit diese Risiken möglichst klein gehalten werden, sollen Umweltstandards eingeführt werden, welche von der International Seabed Authority (ISA) mit Sitz in Jamaika definiert und kontrolliert werden.
Rund 81 Prozent aller Manganknollenfelder dieser Welt befinden sich in internationalen Gewässern. Sie gehören gemäss dem Internationalen Seerechtsüberenkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen somit zum «Gemeinsamen Erbe der Menschheit».
Das macht die Bemühungen um einen kommerziellen Tiefseebergbau zu einem weltweit einzigartigem Experiment. Die ISA ist verantwortlich für die Lizenzvergabe zum Abbau und gleichzeitig auch für den Schutz der Umwelt. Ein schwieriger Spagat. Der Behörde wird vorgeworfen, sich mehr für den Profit als für die Umwelt zu interessieren. Die Entscheide der ISA seien intransparent. Ehemalige Mitarbeitende berichten zudem von Entlassungen von Wissenschaftlern, die Bedenken hinsichtlich der Geschwindigkeit, mit der Entscheidungen über den Tiefseebergbau getroffen werden, äusserten.
Bislang hat die ISA nur Erkundungsverträge gutgeheissen. Doch internationale Rohstoffkonzerne fordern immer lauter, kommerzielle Bewilligungen für den Tiefseebergbau zu erhalten. Sie portraitieren den Tiefseebergbau als grüne Alternative zum herkömmlichen Bergbau. Auch pazifische Inselstaaten wie Nauru oder die Cook-Inseln wollen möglichst bald mit der Rohstoffgewinnung beginnen. Nauru hat im Juni 2021 bei der ISA den Antrag gestellt, die Genehmigung zum Beginn des Abbaus in der Tiefe zu beschleunigen.
Ob hinter den Forderungen von Nauru Rohstoffkonzerne wie The Metals Company (TMC) stehen, ist umstritten. TMC wurde 2011 gegründet, damals unter dem Namen DeepGreen. Der kanadische Konzern spezialisiert sich auf den Abbau von Metallknollen in der Tiefsee. Bereits 2012 investierte der Schweizer Rohstoffgigant Glencore fünf Millionen kanadische Dollar in das Unternehmen und sicherte sich im Gegenzug 50 Prozent des Kupfers und Nickels aus dem zukünftigen Abbau in Nauru, das mit TMC kooperiert.
Das Schweizer Unternehmen Allseas ist derweil seit 2019 strategischer Partner und Investor von TMC. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Verlegung von Offshore-Pipelines, den Transport von extrem schweren Gütern sowie Unterseekonstruktion. Die genauen Konditionen der Beteiligung wurden nicht veröffentlicht, Allseas soll jedoch rund 70 Millionen US-Dollar investiert haben. Allseas bestätigt diese Summe auf Anfrage nicht, will sie allerdings auch nicht dementieren.
Allseas wurde von TMC beauftragt, ihr Schiff «Hidden Gem» für den Tiefseebergbau umzurüsten. Allseas entwickelt auch die Sammelroboter für TMC. Mediensprecher Jeroen Hagelstein sagt gegenüber watson, dass das Unternehmen damit rechne, 2024 eine Lizenz der ISA für den kommerziellen Abbau zu erhalten.
Umweltschutzorganisationen wie WWF oder Greenpeace laufen Sturm gegen diese Pläne. So sagt Iris Menn, promovierte Meeresbiologin und Geschäftsführerin von Greenpeace Schweiz: «Es zeugt von Desinteresse gegenüber den Schätzen der Natur und grosser Profitgier, dass sich Allseas auf die Zerstörung der Tiefsee vorbereitet.»
Doch es sind nicht nur Umweltverbände, die das Vorhaben kritisieren. Im Frühjahr 2021 haben einige grosse Konzerne einen Aufruf für ein Moratorium veröffentlicht. Darin versprechen sie, dass sie für ihre Produktion auf Metalle aus der Tiefsee verzichten wollen. Gleichzeitig rufen sie dazu auf, alle Aktivitäten in diesem Bereich auf Eis zu legen, bis genau abgeklärt ist, welche Auswirkungen der Tiefseebergbau auf die Umwelt hat. Firmen wie BMW, Samsung, Google, Volvo, VW und Philipps haben den Aufruf unterzeichnet.
Einige Monate später folgten über 600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 44 Ländern mit einem eigenen Aufruf für ein Moratorium.
TMC und Allseas sehen das ganz anders. «Mit ihrer Forderung nach einem Moratorium riskieren die NGOs, genau die Forschung zu untergraben, die sie fordern, während die Uhr des Klimawandels weiter tickt», sagt Allseas-Mediensprecher Jeroen Hagelstein.
Er verweist darauf, dass Allseas und TMC derzeit nur Tiefseeforschung betreiben, keinerlei Bergbau. «TMC führt derzeit das weltweit grösste Forschungsprogramm von der Meeresoberfläche zum Meeresboden durch, um den Lebensraum Tiefsee besser zu verstehen.» Eine kommerzielle Gewinnung von Knollen am Meeresboden werde erst dann erfolgen, wenn strenge, mehrjährige Umweltverträglichkeitsstudien durchgeführt, überprüft und bewertet worden seien, so Hagelstein.
Im Anschluss daran könnten die 169 Mitgliedstaaten der ISA entscheiden, ob und wie man fortfahren wolle. Allseas und TMC seien jedoch überzeugt davon, «dass die Gewinnung polymetallischer Knollen die nachhaltigste Alternative zum terrestrischen Bergbau sein wird.»
Mit dem steigenden Bedarf an Metallen wie Kupfer dürfte es jedoch wahrscheinlicher sein, dass der Tiefseebergbau zum traditionellen Bergbau hinzukommt und ihn nicht ersetzt.
Die Schweiz vertritt beim Tiefseebergbau eine ambivalente Position. Im Juni 2021 hat der Grünen-Nationalrat Nicolas Walder eine Interpellation im Nationalrat eingereicht. Er wollte vom Bundesrat wissen, was dieser vom Tiefseebergbau und dem Aufruf für ein Moratorium hält.
In seiner Antwort schreibt der Bundesrat, dass er neue Erkenntnisse über die potenziellen Gefahren «zur Kenntnis nimmt» und die Möglichkeit eines Moratoriums auf internationaler Ebene überprüfe. «Parallel dazu fördert [der Bundesrat] die neuen Technologien sowie alternative Wege der Rohstoffbeschaffung.»