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Warum die Schweiz wieder das Feindbild der USA wird

Da geht ein Graben zwischen den zwei Ländern auf.
Da geht ein Graben zwischen den zwei Ländern auf.Bild: Shutterstock
Analyse

Warum die Schweiz wieder das Feindbild der USA wird

Nach den Holocaust-Geldern und dem Bankgeheimnis geraten wir wieder ins Visier der Amerikaner.
17.03.2023, 12:3417.03.2023, 14:26
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Als die Schweiz sich nach dem Überfall der Russen auf die Ukraine rasch den EU-Sanktionen angeschlossen hatte, erntete sie Lob von höchster amerikanischer Stelle. Präsident Joe Biden zeigte sich erfreut und verkündete öffentlich, selbst die neutrale Schweiz mache mit. Obwohl es der Bundesrat gemächlich anging, bekräftigte Scott Miller, der Botschafter der USA in Bern, in einem Interview mit der NZZ dieses Lob:

«Ich habe volles Verständnis dafür, dass der Bundesrat mit seinem eigenen Tempo regiert. Aber dann ging die Schweizer Bevölkerung in hoher Zahl auf die Strasse und drückte ihre Unterstützung für die Ukraine aus. Es war berührend, das zu sehen.»
Bundespraesident Alain Berset, Mitte, und Vizebundespraesidentin Viola Amherd, links, begruessen Scott Charles Miller, Botschafter USA bei der Ueberbringung der Neujahrsgruesse durch das Diplomatische ...
Bundespräsident Alain Berset und Bundesrätin Viola Amherd begrüssen den amerikanischen Botschafter Scott Miller.Bild: keystone

Millers Lob hat mittlerweile ins Gegenteil umgeschlagen. Der US-Botschafter übt harte und offene Kritik an der Haltung der Schweiz. Er konstatiert, die Schweiz befinde sich in «der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg», und stellt klar, dass sie in Sanktionen gegen Russland weit mehr tun könnte:

«Die Schweiz könnte 50 bis 100 Milliarden zusätzlich blockieren. Schauen Sie: Sanktionen sind nur so stark, wie der politische Wille dahinter. Wir müssen so viele Vermögenswerte wie möglich finden, diese einfrieren und allenfalls einziehen, um sie der Ukraine für den Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen. Aber dazu braucht es internationale Koordinationsabkommen. Ich hoffe, es gelingt uns als internationale Gemeinschaft, an diesen Punkt zu kommen – und vor allem in Kriegszeiten kein russisches Geld nach Russland zurückzuschicken.»

Miller hält auch unmissverständlich fest, die Schweiz könne sich nicht mit Hinweis auf ihre Neutralität aus der Verantwortung stehlen:

«Die Schweiz kann sich nicht als neutral bezeichnen und zulassen, dass eine oder beide Seiten ihre Gesetze zum eigenen Vorteil ausnutzen. Das geschieht jedoch. Der Bundesrat hat anderen Staaten untersagt, der Ukraine Waffen weiterzugeben, um sich und ihre kritische Infrastruktur zu verteidigen. Vom Wiederausfuhrverbot profitiert der Aggressor, der alle Prinzipien des internationalen Rechts verletzt.»

Millers Interview hat heftige Reaktionen ausgelöst. Erinnerungen an die Auseinandersetzungen der Schweiz in Sachen Holocaust-Gelder und Bankgeheimnis werden wach. Es sind keine guten Erinnerungen. Beide Male hatte die Schweiz das schlechtere Ende für sich. Da watson-User tendenziell jung sind, hier ein kurzer historischer Rückblick:

In den Neunzigerjahren brach ein heftiger Konflikt zwischen amerikanischen Juden und Schweizer Banken aus. Die Geldinstitute würden sich weigern, die auf ihren Konten gelagerten Gelder von im Holocaust umgebrachten Juden herauszurücken, und sie selbst einkassieren, so der Vorwurf. Ein republikanischer Senator namens Alfonse D’Amato griff diesen Vorwurf auf und veranstaltete zusammen mit den jüdischen Organisationen einen Riesenwirbel.

Die Schweizer Bankiers reagierten darauf hochnäsig, die Schweizer Politik ungeschickt. Der damalige Wirtschaftsminister Pascal Delamuraz sprach gar in einem Interview von einem «Erpressungsversuch der jüdischen Organisationen» und goss damit hektoliterweise Öl ins Feuer.

Der Streit eskalierte, auch die Rolle der Schweizerischen Nationalbank während des tausendjährigen Reichs geriet in die Schlagzeilen. Der Bundesrat musste schliesslich den ETH-Historiker Jean-François Bergier damit beauftragen, den Vorwürfen minutiös nachzugehen – Jahre später kam heraus, dass wenig Fleisch am Knochen war – und die Banken konnten sich nur noch mit einem Ablass in der Höhe von 1,86 Milliarden Franken aus der Affäre befreien.

Jean-Pascal Delamuraz, Bundesrat von 1984-1998.
Trat ins Fettnäpfchen: der verstorbene Bundesrat Pascal Delamurz.Bild: Karl Heinz Hug

Das Schweizer Bankgeheimnis war den Amerikanern – und nicht nur ihnen – längst ein Dorn im Auge. Kaum ein Thriller, in dem der Bösewicht nicht sein ergaunertes Geld auf einem anonymen Konto bei einer Schweizer Bank versteckte. Die Schweiz ihrerseits war gewillt, dieses Geheimnis mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Der damalige Finanzminister Hans-Rudolf Merz rief gar im Parlament aus: «Am Bankgeheimnis werdet ihr euch die Zähne ausbeissen.»

Bald darauf waren es jedoch die Schweizer Bankiers, die den Zahnarzt aufsuchen mussten. Die USA beschuldigten elf Schweizer Banken, Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet zu haben. Die amerikanischen Strafverfolger konnten sich dabei auf einen Whistleblower in den Reihen der UBS verlassen, der minutiös schilderte, wie er reichen Kunden geholfen hatte, Geld am Fiskus vorbeizuschleusen.

Diesem Druck konnte die Schweiz nicht standhalten. Bundesrat und Parlament stimmten einem von den Amerikanern diktierten Gesetz zu, das das Bankgeheimnis für Ausländer ausser Kraft setzt. Seit Juni 2014 leistet die Schweiz Amtshilfe, wenn eine entsprechende Anfrage aus den USA vorliegt.

Nun also sitzen wir wegen unserer diffusen Haltung zu Russland wieder in der Patsche. Nicht zu Unrecht. Es trifft zu, was Constantin Seibt in der Republik schreibt: «Bundesrat und Parlament haben weder bei den Oligarchengeldern noch beim Rohstoffhandel die geringste Neugier gezeigt. Bis heute weiss niemand, wie viele russische Gelder in unserem Land gebunkert sind.»

Gemäss Bankiervereinigung sollen es 150 bis 200 Milliarden Franken sein. Beschlagnahmt wurden indes bisher einzig 7,5 Milliarden Franken.

Bundespraesident Alain Berset spricht waehrend der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 14. Maerz 2023 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Verheerendes Interview: Bundespräsident Alain Berset.Bild: keystone

Der Bundesrat macht bislang erneut keine gute Figur. Wie einst Delamuraz heizte Bundespräsident Alain Berset mit einem Interview in der «NZZ am Sonntag» die Diskussion an. In eidgenössischem Hauruck-Stil berief er sich auf die Neutralität, um das Verbot zu rechtfertigen, dass Staaten wie Deutschland aus der Schweiz bezogene Munition nicht an die Ukraine weiterreichen dürfen. Wie die Putin-Versteher forderte er sofortige Verhandlungen; und als Höhepunkt eines Interviews, das als saudumm zu bezeichnen eine krasse Untertreibung wäre, sprach er gar von einem «Kriegsrausch», in den die Unterstützer der Ukraine angeblich verfallen seien.

Berset hat diese Aussagen teilweise revidiert, doch der Schaden ist angerichtet. «Jeder kann zu Verhandlungen aufrufen», antwortet Miller. «Aber das müssten Präsident Selenski und die ukrainische Bevölkerung wollen.»

«Wenn es regnet, dann schüttet es», lautet eine amerikanische Redewendung. Die aktuelle Krise der CS ist der Beweis dafür, dass sie nicht unbegründet ist. Das Verhalten der Schweizer Traditionsbank löst auf der anderen Seite des Atlantiks Kopfschütteln aus. Das SEC, die amerikanische Börsenaufsicht, rügt die CS wegen fehlerhafter Buchhaltung.

Namhafte Finanzkommentatoren haben sie bereits abgeschrieben. So stellt Duncan Mavin in der «Washington Post» fest, die Kultur der CS sei kaputt, «so kaputt, dass sie nicht mehr repariert werden kann».

Inzwischen hat man auch in Bern realisiert, dass sich da etwas zusammenbraut. Einzig die SVP macht auf Trotzhaltung. Franz Grüter, der Präsident der Aussenpolitischen Kommission, verurteilt die Aussagen von Miller als «ungeheuerlich». Noch-Nationalrat Roger Köppel wiederholt – wenn er gerade mal nicht singt – auf seinem Videokanal «Weltwoche daily» unablässig seine Bekenntnisse zur bedingungslosen Neutralität und fordert gar, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben.

Auf eine Mehrheit im Volk kann Köppel dabei nicht zählen. Der Tages-Anzeiger berichtet von einer aktuellen Umfrage der ETH zum Thema «Sicherheit 2023» und stellt dabei fest, dass «75 Prozent der Befragten die Sanktionen gegen Russland unterstützen, und ebenso viele der Meinung sind, die Sanktionen stünden im Einklang mit der schweizerischen Neutralität».

Damit steht die SVP einmal mehr allein auf weiter Flur. Die anderen bürgerlichen Parteien sind mit der Ukraine solidarisch. Im Bewusstsein, dass der sich verschärfende Konflikt zwischen den USA und China die Schweiz künftig in noch trügerische Gewässer führen wird, stellt etwa die FDP-Nationalrätin Christa Markwalder klar: «Man erwartet von uns, dass wir uns deutlicher zum Westen, den gemeinsamen Werten und Interessen bekennen.»

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149 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Tokyo
17.03.2023 12:53registriert Juni 2021
der Titel übertreibt masslos. Feindbild? Weil ein Botschafter der Schweiz mal seine Meinung geigt?

Die Geschichte um die Holocaust-Gelder war selbstverschuldet, die Schweiz hat gut verdient damals, und die Opfer bzw die Hinterbliebenen jahrzehntelang abgewiesen. Erst auf den massiven Druck hat man den Dreck ausgemistet.
Es passiert halt leider sehr viel in diesem Land erst auf Druck aus dem Ausland
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Atavar
17.03.2023 12:58registriert März 2020
Geld-Opportunisten in den USA und der Schweiz nehmen sich wenig. Die Kritik der USA ist deshalb billig.

Dessen ungeachtet kotzt mich der hier herrschende Geld-Opportunismus extrem an. Gerade, weil ersichtlich ist, dass man sich je nach Windrichtung gerne hinter Phrasen wie Neutralität versteckt.
Und wie weit Polit-Bern sich inzwischen von der Mehrheit der Bevölkerung entfernt hat braucht keine zusätzliche Dokumentation.
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Setschigg
17.03.2023 13:19registriert September 2020
Das Problem ist, dass Amerikaner davon ausgehen, dass man das machen soll, was ihnen passt. Und wenn nicht, dann ist man ein "Feind". Selber sind sie aber moralisch ein Fähnchen im Wind, wenn es darum geht zu bestimmen, was richtig ist und was falsch: Da ein Krieg, dort Sanktionen, dann wieder mal nichts, weil sie kein Bock haben...
Deshalb kann man so eine Analyse realpolitisch gebrauchen. Um moralische Urteile zu fällen, soll man aber nicht zu sehr schauen, was Uncle Sam meint.
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