Herr Brülhart, Sie haben sich schon öfters positiv über die Erbschaftssteuer geäussert. Vielleicht kam deswegen von SVP-Nationalrat Thomas Aeschi in der SRF-«Arena» kürzlich der Vorwurf, Sie seien jemand, der «auffällt» mit «linksextremen Rezepten».
Marius Brülhart: Als Professor an einer Schweizer Universität habe ich das enorme Privileg, unabhängig von finanziellen und politischen Einflüssen forschen und mitreden zu können. Ich bemühe mich, unvoreingenommen und methodisch sauber an wirtschaftspolitische Fragen heranzugehen. Wie jeder Mensch habe auch ich meine Werthaltungen. Aber wäre ich wirklich ein Linksradikaler, dann hätte ich es wohl kaum jahrelang im wissenschaftlichen Beirat von Avenir Suisse ausgehalten (lacht).
Kommen wir zur Sache: Entgegen dem Gefühl vieler bleibt die Einkommensungleichheit in der Schweiz seit Jahren auf einem recht stabilen Niveau. Gleichzeitig steigt aber die Vermögensungleichheit stark an. Was sind die Gründe für diesen Anstieg?
Man könnte denken, dass die Vermögensungleichheit vor allem aufgrund des Zuzuges ausländischer Reichen gestiegen ist. Aus Schweizer Sicht wäre das ja etwas Gutes – wir könnten von vermögenden Ausländern profitieren und die resultierende Ungleichheit wäre unproblematisch. Solche Zuzüge spielen tatsächlich eine Rolle, aber eine untergeordnete: Nur etwa ein Sechstel der steigenden Ungleichheit ist gemäss unserer Analysen damit zu erklären.
Das heisst also, einheimische Faktoren spielen immer noch die grösste Rolle?
Genau. Hier würde ich zwischen zwei Faktoren unterscheiden. Einerseits gibt es marktwirtschaftliche Gründe: Reiche besitzen verhältnismässig mehr Aktien und Immobilien als der Durchschnitt. Deren Werte sind in den letzten Jahren schneller gestiegen als die Wirtschaftsleistung.
Und andererseits?
Die Schweizer Steuerpolitik dürfte auch eine Rolle gespielt haben. Eine jüngere Studie der ETH und der Uni Zürich kam zum Schluss, dass etwa ein Fünftel der steigenden Vermögensungleichheit der letzten Jahrzehnte auf die gesenkten kantonalen Vermögenssteuern zurückgeht.
Und die Erbschaftssteuer ...? Diese wurde ja noch stärker gesenkt in den letzten Jahrzehnten.
Das stimmt. Pro vererbtem Franken fallen heute noch 1,6 Rappen an Steuern an. In den Neunzigerjahren waren das im Schnitt noch 4,3 Rappen. Allerdings machte die Erbschaftssteuer schon damals anteilsmässig weniger aus als die Vermögenssteuer. Man kann also davon ausgehen, dass die Senkung der Erbschaftssteuer einen vergleichbar grossen Effekt hatte wie die Senkung der Vermögenssteuern. Das ergäbe grob geschätzt einen Anteil von bis zu 40 Prozent – die Steuerpolitik trug also durchaus zum Zuwachs der Vermögensungleichheit bei.
Wo liegt aus ökonomischer Sicht eigentlich das Problem von wachsender Ungleichheit?
Wenn wir uns fragen, wie gut die Menschen über die Runden kommen, wie sorgenfrei sie in materieller Hinsicht leben, dann müsste man die Einkommensungleichheit anschauen. Und dort insbesondere die Frage, wie gut es den Menschen geht, denen es am schlechtesten geht.
Das heisst, die Vermögensungleichheit ist irrelevant ...?
Nein – sonst würde es mich ja nicht so interessieren (lacht). Sie ist aber weniger aus rein ökonomischer und mehr aus gesellschaftspolitischer Sicht relevant.
Warum?
Weil man sich mit sehr, sehr grossem Vermögen Einfluss und Macht kaufen kann. Wir sprechen da nicht von Mittelklasse-Familien, die sich eine schöne Zweitwohnung leisten können. Besitzt aber jemand mehrere hundert Millionen, kann sich diese Person damit Einfluss kaufen. Das ist demokratiepolitisch problematisch. Unsere Demokratie ist auf dem Prinzip aufgebaut: ein Mensch, eine Stimme. Was passiert, wenn das aus dem Lot gerät, sehen wir gerade in den USA.
Und in der Schweiz?
Bei uns ist die politische Macht zum Glück viel breiter verteilt – Stichwort direkte Demokratie, Föderalismus und Konkordanzregierung. Hier hat niemand eine so grosse Macht wie ein US-amerikanischer oder auch ein französischer Präsident. Es schadet aber trotzdem nicht, ein Auge darauf zu haben.
Gibt es aber nicht auch rein ökonomische Argumente gegen eine zu grosse Vermögensungleichheit? Bei sehr reichen Menschen ist zum Beispiel die Konsumquote deutlich tiefer. Wäre es daher nicht effizienter, wenn das Geld besser verteilt wäre?
Jein, das ist ein zweischneidiges Schwert. Es stimmt, dass der Konsumanteil mit steigendem Vermögen sinkt. Gleichzeitig ist aber der Investitionsanteil verhältnismässig höher: Reiche Leute haben viel Kapital zur Verfügung, das investiert werden kann. Dazu gehört gerade auch Risikokapital. Aus der Forschung kennen wir beide Effekte.
Was halten Sie von der Erbschaftssteuer als Mittel zur Bekämpfung der zunehmenden Vermögensungleichheit?
Vorneweg: Wenn ich mich positiv über die Erbschaftssteuer äussere, dann nicht, weil ich sie in erster Linie als Instrument gegen eine Vermögenskonzentration sehe. Sondern, weil sie in meinen Augen innerhalb des Menüs verschiedener Steuerarten ein vergleichbar kleines Übel darstellt. Mit anderen Worten: Für mich dient die Steuer nicht als Selbstzweck.
Aber: Rein theoretisch kann die Erbschaftssteuer natürlich ein potentes Mittel sein gegen die Vermögensungleichheit. Sie ist vor allem deswegen elegant, da die Person selbst, die das Vermögen erspart oder erwirtschaftet hat, nicht belangt wird. Die Steuer bestraft damit keine eigene Leistung.
Wie meinen Sie das?
Praktisch jede andere Steuer ist potenziell leistungsmindernd: Erhöhen Sie zum Beispiel die Einkommenssteuer, dann spornt das die Leute ja nicht zu mehr Arbeit und damit zu mehr Einkommen an – im Gegenteil. Die Erbschaftssteuer jedoch kann sogar leistungsfördernd wirken: Wir sehen zum Beispiel in den Schweizer Daten, dass eine Erbschaft oft dazu dient, sich frühpensionieren zu lassen. Mit der Besteuerung von Erbschaften könnte man diesem Effekt theoretisch entgegenwirken.
Von der Theorie zur Praxis. Es gibt gegen die Erbschaftssteuer – und das sehen wir in der Diskussion um die Juso-«Initiative für eine Zukunft» erneut – drei sehr gängige Argumente. Es würde mich interessieren, was die Forschung dazu sagt. Erstes Argument: Eine Erbschaftssteuer ist unfair, weil das Substrat ja bereits einmal besteuert wurde.
Aus meiner Sicht ist das das schwächste Argument. Erstens stimmt es streng genommen gar nicht: Die Erbin bezahlt die Steuer – und nicht der tote Erblasser. Sie hat auf diesem Geld noch nie Steuern bezahlt. Zweitens: Selbst wenn man eine Familiendynastie als Einheit betrachtet, ist es ein sinnleeres Argument. Es gibt kein Geld, das in seinem Kreislauf nicht bereits irgendwo vorher besteuert wurde. Nach dieser Logik müsste man die Mehrwertsteuer, die beim Konsum anfällt, als Erstes abschaffen: Es handelt sich ja um Geld, auf das wir bereits Einkommenssteuern bezahlt haben.
Zweites Argument: Die Erbschaftssteuer würde viele Besitzerinnen und Besitzer von KMUs dazu zwingen, ihr Unternehmen zu verkaufen.
Der Freibetrag von 50 Millionen zeigt, dass es bei der Juso-Initiative höchstens um mittlere und grosse und sicher nicht um kleine Unternehmen geht. Das heisst nicht, dass es gar keine Betroffenen gäbe. Diese befänden sich tatsächlich, gerade bei einer 50-Prozent-Steuer, möglicherweise in einer komplizierten Situation. Obwohl hier oft argumentativ Dinge vermischt werden.
Welche Dinge?
Das Unternehmen an sich ist ja nicht gefährdet. Es ist «lediglich» die Aktienmehrheit der Familienerben bedroht. Hier kann man darüber diskutieren, inwiefern das wirklich ein Problem ist. Es gibt zum Beispiel Studien, die zeigen, dass Erben oftmals nicht die am besten geeigneten Personen an der Unternehmensspitze sind. Andererseits gibt es natürlich in vielen Fällen auch gute Argumente für die Fortführung der Tradition von Familienunternehmen.
Hier gäbe es die Möglichkeit einer Stundung – dass also nicht die gesamte Steuer auf einmal bezahlt werden muss. Oder man könnte Ausnahmen machen für Familienunternehmen ... ?
Man müsste aufpassen, mit Ausnahmen nicht die Büchse der Pandora zu öffnen. Gut möglich, dass man so allen Vermögenden einen Anreiz gäbe, ihr Vermögen als Firma zu strukturieren. Solche Ausweichmanöver beobachtet man zum Beispiel in Deutschland.
Drittes Argument: Eine Erbschaftssteuer bringt nichts, weil gleich alle Betroffenen wegziehen würden.
Dieser Aspekt ist meines Erachtens der wichtigste. Ich habe zwar lange gesagt, dass das Mobilitätsargument übertrieben wird. Das zeigte sich auch so in den Daten. In den 1990er und den 2000er Jahren schwächten viele Kantone nacheinander die Erbschaftssteuer ab. Jedes Mal mit dem schlagenden Argument: Wenn wir es jetzt nicht auch tun, wandern die meisten Reichen in einen anderen Kanton ab.
Und, was ist passiert?
Wir haben das in einer wissenschaftlichen Studie untersucht und gemerkt: Es gab zwar eine leichte Wanderung von älteren Reichen in Kantone ohne oder mit tieferen Erbschaftssteuern. Aber niemals in einem Ausmass, in dem es sich finanziell für die Kantone gelohnt hätte, die Erbschaftssteuer so stark abzuschwächen. Zuvor befanden sich die Steuern ja eh bereits nur im einstelligen Bereich. Damit war der Unterschied zu einer Null-Steuer-Situation einfach zu gering, als dass ein ausreichender Anteil der Betroffenen einen Wohnsitzwechsel auf sich genommen hätte.
Im einstelligen Bereich: Das war natürlich deutlich weniger, als es die Juso-Initiative jetzt vorsieht ...
Ja. Hier geht es mit 50 Prozent um eine rund zehnmal höhere Steuer. Deshalb muss man mit einer ungleich grösseren Mobilitätsreaktion rechnen.
Sie haben diese potenziellen Effekte im Auftrag des Bundesrates geschätzt.
Ja, und ich kam zum Schluss, dass es in dem von der Juso vorgeschlagenen Szenario aufgrund der Abwanderungen wohl nicht zu zusätzlichen Einnahmen kommen dürfte. Sie sehen: Es ist immer eine Frage des Masses.
Aber die Juso-Initiative gewährt dafür einen relativ hohen Freibetrag von 50 Millionen. Nur die darüberliegenden Beträge würden mit 50 Prozent besteuert werden. Spielt dieser Freibetrag denn keine Rolle?
Doch, es liegt an der Kombination von Freibetrag und Prozentsatz. Gerade Leute mit so grossen Vermögen können ihren steuerlichen Wohnsitz relativ einfach verschieben. Und bei einem Satz von 50 Prozent ist davon auszugehen, dass solche Menschen ihre Erben von der Besteuerung verschonen wollen, auch wenn sie dafür in ihren alten Tagen noch umziehen müssen. Das zeigen empirische Studien.
Viele Unterstützerinnen und Unterstützer einer Erbschaftssteuer argumentieren hier mit der rhetorischen Gegenfrage: Wo sollen denn die Reichen sonst hin?
Schaut man sich nur die Erbschaftssteuer an, dann reicht bereits ein Umzug nach Österreich oder Italien. Österreich hat die Erbschaftssteuer abgeschafft, und in Italien beträgt sie für direkte Nachkommen nur 4 Prozent. Vermögenssteuern gibt es in beiden Ländern nicht, dafür aber eine Kapitalgewinnsteuer, die es bei uns nicht gibt. Kurz: Ob sich ein Wegzug – rein finanziell – lohnt, wird jeder und jede für sich selber ausrechnen müssen. Das kommt auf die Zusammensetzung des Vermögens und der Einkommen an.
Die Juso schlägt mehrere Instrumente vor, um die Umgehung einer Erbschaftssteuer zu verhindern. Was halten Sie zum Beispiel von einer einmaligen Wegzugsteuer?
Es ist aus ihrer Sicht folgerichtig, dass die Juso damit versucht, das Killerargument Abwanderung zu entkräften. Die Frage ist, wie wünschenswert die jeweiligen Massnahmen sind. Ganz wilde Ideen wie eine Passabgabe bei Auswanderung wurden vom Bundesrat mit Verweis auf Grundrechte verworfen. Und auch bei einer Wegzugsteuer könnte man ja nie wissen: Zieht eine vermögende Person wirklich aufgrund der Erbschaftssteuer weg, oder hat sie vielleicht andere Gründe? Zudem würden solche Abwanderungs-Hürden den künftigen Zuzug neuer Vermögender ziemlich sicher zum Versiegen bringen.
Also würden Sie jede Massnahme zur Verhinderung verwerfen?
Nicht unbedingt. Die mildeste Massnahme wäre eine stärkere Kontrolle gegen Missbrauch: Es gibt immer wieder Fälle von Scheinumzügen. Gerade vor ein paar Wochen wurde ein vermögender Zürcher verurteilt, weil er sich beim Zuger Steueramt angemeldet hatte, ohne seinen Lebensmittelpunkt wirklich dorthin verschoben zu haben.
Ein weiterer Vorschlag kam vom Bundesrat selbst: Man könnte eine Art fiktiven Wohnsitz in der Schweiz geltend machen, anhand dessen Nachlässe von Abgewanderten noch bis zu fünf Jahre nach dem Wegzug der neuen Steuer unterlägen. Um einen solchen Anspruch umfassend durchzusetzen, bräuchte die Schweiz jedoch die Zusammenarbeit ausländischer Behörden. Das dürfte nicht ganz einfach zu erreichen sein.
Sie sagen, eine 50-Prozent-Steuer wie von der Juso vorgeschlagen würde sich unter dem Strich nicht lohnen. Was sagt denn die Forschung: Gibt es eine optimale Höhe einer Erbschaftssteuer?
Das ist schwer zu beantworten. Einer prominenten Studie der Ökonomen Piketty und Saez zufolge wäre die optimale Steuer in den USA und in Frankreich 50 bis 60 Prozent. Allerdings blendet diese Studie allfällige Migrationseffekte aus, die gerade in kleinen Ländern wie der Schweiz besonders ins Gewicht fallen.
Und was glauben Sie, wo läge der optimale Betrag für die Schweiz?
Es gibt noch keine Studien dazu. Was ich sagen kann: Im letzten Jahrhundert waren die Erbschaftssteuern hier mehr als doppelt so hoch wie heute. Auch die Vermögenssteuern waren höher. Und ich glaube nicht, dass die Schweizer Wirtschaft deswegen weniger gut funktioniert hat. Mit anderen Worten: Würde man eine Erbschaftssteuer in der damaligen Grössenordnung vorschlagen, wäre es sehr schwer, dagegen zu argumentieren. Gerade, wenn man die Erbschaftssteuer nicht als Selbstzweck, sondern als Alternative für andere Steuern betrachtet.
Wie meinen Sie das?
Es kommen neue Kosten auf den Bundeshaushalt zu, insbesondere für die AHV. Wie sollen sie finanziert werden? Soll man mit mehr Lohnabgaben die Arbeit verteuern oder mit höheren Mehrwertsteuern den Konsum? Oder wollen wir die Erbschaftssteuer wieder etwas anheben – auf ein Niveau, das wir vor nicht allzu langer Zeit schon hatten? Rein ökonomisch betrachtet schiene mir die dritte Option durchaus erwägenswert.
der Leistungsgesellschaft fabulieren. Dabei ist Erben der Inbegriff des leistunslosen Einkommens und sollte diesen Personen insofern ein Dorn im Auge sein.
Wenn man dann jedoch schaut, wie sie zu ihrem Vermögen kamen, ist ein nicht kleiner Teil davon selbst ein Gewinner der Erbschaftslotterie...ein Schelm, wer bei diesen "Leistungsträgern" was Böses denkt.
des Jammerns proportional mit dem Einkommen und dem Vermögen des Senders verknüpft sein muss?
Warum soll das beim Erben anders sein? Freibetrag von 5 Mio und darüber eine Erbschaftssteuer von 20%. Freibetrag für Unternehmen 50 Mio. Darüber auch 20% Erbschaftsteuer. Das ruiniert kein KMU.