Alles spricht von Strommangel. Wann geht denn in der Schweiz das Licht aus?
Christoph Brand: Die erste Klippe kommt 2025 mit den neuen EU-Regulierungen. Setzt Brüssel diese in extremis um, dürften die Importmöglichkeiten der Schweiz massiv reduziert werden. Gemeinsam mit einem extrem dunklen und kalten Winter sowie dem Ausfall eines Atomkraftwerkes kann es eng werden. Definitiv schwierig wird es dann, wenn die Kernkraft ganz wegfällt.
Da heisst spätestens 2044, wenn Leibstadt als letztes AKW nach 60 Jahren vom Netz gehen soll?
Es gibt kein fixes Datum. Solange die AKW sicher und wirtschaftlich betrieben werden können, betreiben wir sie. Müssten wir plötzlich eine Milliarde in ein Werk investieren, müssten wir über die Bücher gehen. Wenn es sich in einer solchen Situation nicht mehr lohnt, steigen wir aus. Wir können keine defizitären Anlagen betreiben.
Dennoch haben Sie bei Axpo die Plan-Laufzeiten für AKW von 50 auf 60 Jahre erhöht.
Es gibt keine im Vorfeld festgelegten fixen Laufzeiten. Weil der Ausbau der Photovoltaik um den Faktor zehn zu langsam vorankommt, hilft eine längere Laufzeit der AKWs, der Schweiz Luft zu verschaffen. Die zehn zusätzlichen Jahre geben der Politik Zeit, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass der Ausbau der Erneuerbaren stattfindet.
Es gibt auch Stimmen, die den Bau neuer AKW fordern.
Dann sollen diejenigen, die das fordern, ein Projekt lancieren und vor allem die Finanzierung dafür bereitstellen.
Kein Fall für Axpo?
Nein. Erstens gibt es einen Volksentscheid, der den Atomausstieg vorgibt. Es liegt nicht an uns, diesen infrage zu stellen. Zweitens ist die Kernkraft schlicht zu teuer. Eine Megawattstunde aus einer neuen Fotovoltaikanlage in Frankreich kostet rund 50 Euro. Die Kernkraft ist etwa doppelt so teuer.
Gemäss Ihren Berechnungen muss die Schweiz bis ins Jahr 2050 neue Produktionskapazitäten von rund 50 Terawattstunden zubauen, um den Strombedarf zu decken. Das ist mehr als die ganze Schweizer Wasserkraft heute. Was ist denn jetzt die prioritärste Aufgabe?
Wenn wir nur auf eine einzige Massnahme fokussieren müssen: Dann wäre das jetzt der Ausbau der Fotovoltaik. Das allein wird nicht reichen, aber das ist das drängendste und wichtigste.
Heute deckt die Schweiz nicht einmal 5 Prozent ihres Strombedarfs mit Solarstrom ab. Wie soll denn aus der Fotovoltaik nun plötzlich eine der Hauptenergiequellen des Landes werden?
Wir haben 250 Quadratkilometer Dachflächen, die man brauchen kann. Dann gibt es zum Beispiel noch Unmengen an Autobahnschallwänden oder Parkplatzüberdachungen. Es wird auch ein paar grössere Freiflächenanlagen brauchen. Ohne wird es nicht gehen.
Der Bundesrat will den Ausbau der Erneuerbaren mit seinem sogenannten Mantelerlass vorantreiben. Sind Sie zufrieden damit?
Grundsätzlich schon. Aber der Mantelerlass adressiert die beiden grössten Probleme nicht: Das erste ist das Bewilligungsproblem. Heute dauert ein Bewilligungsverfahren ewig und dreht viel zu viele Schlaufen. Das bedeutet Unsicherheit für alle Beteiligten. Eine massive Beschleunigung ist im Interesse aller. Das heisst nicht, dass es weniger Einsprachen geben wird.
Dies bedeutet: Sie wollen die Umweltverbände zurückbinden?
Nicht unbedingt, es gibt andere Wege. Die Franzosen haben beispielsweise die unterste Rekursinstanz gestrichen. Wir brauchen jetzt eine breite, gesellschaftliche Diskussion. Es gibt auch stramm bürgerliche Politiker, die mir sagen, dass sie auf ihrem Lieblingspass jedes Windrad bekämpfen werden. So wird das nichts. Es kann nicht jeder sagen: Windkraft ist gut, aber nicht bei mir.
Windräder töten halt auch Vögel?
Wer etwas für die Vögel tun möchte, der müsste Katzen verbieten! Aber im Ernst: Wir brauchen die 4 Terawattstunden Windenergie in der Schweiz. Das ist zwar sehr wenig, verglichen mit den 80 Terawattstunden, die wir insgesamt pro Jahr benötigen werden. Aber sie sind wichtig, weil viel davon im Winter anfällt. Es gibt nicht die eine Lösung, wir brauchen einen Mix.
Was ist das zweite Problem, das nicht angesprochen wird?
Das Finanzierungsproblem. Wenn die Schweiz Versorgungssicherheit will, muss jetzt investiert werden. Und dafür braucht es massiv mehr Geld aus dem Netzzuschlagfonds, der sich verschulden dürfen sollte - gemäss unseren Berechnungen mit bis zu 11 Milliarden Franken. Das muss möglich sein, sonst ist zu wenig Geld im System.
Ohne mehr Subventionen wird die Energiewende also nicht gelingen?
Die bessere Lösung wäre eine globale CO2-Steuer. Dann bräuchte es gar keine Subventionen. Doch das ist nicht realistisch. Deshalb braucht es eine Förderung der erneuerbaren Energien. Diese kompensiert die Subventionen der fossilen Energie. Das ist ökonomisch absurd. Aber es geht nicht anders. Ich möchte betonen: Der Grossteil der Kosten wird von den Firmen oder von Privatpersonen bezahlt, es braucht nur einen kleinen Beitrag vom Staat, so dass die Projekte für Investitionen attraktiv werden. Die Frage ist aber, ob die vorgesehenen Instrumente zur Verteilung des Geldes die richtigen sind.
Sie sind nicht überzeugt?
Gerade für Einfamilienhausbesitzer muss es genügend attraktiv sein, nicht nur für den Eigenbedarf einen Fünftel des Daches mit Photovoltaik zu bedecken. Sie müssen das ganze Dach bedecken, wenn die Energiewende gelingen soll. Heute gibt es die Anreize nicht.
Der Strompreis an der Strombörse ist in jüngster Zeit doch extrem gestiegen. Reicht dies nicht?
Wenn sich die Strompreise mittel- und langfristig auf diesem Niveau einpendeln würden, wären Anreize gegeben. Aber wir sind überzeugt, dass sie nur vorübergehend so hoch sind und bald schon wieder fallen werden.
Die Axpo ist dank der Infrastruktur aus der Monopolzeit Garantin einer sicheren Stromversorgung. Dies scheint Sie aber nicht zu interessieren. Sie sagen: Wir müssen bezahlt werden, sonst investieren wir nicht.
Wir investieren dort in die Produktion, wo es sich lohnt. Sonst würden wir über kurz oder lang Konkurs gehen. Die Verantwortung über die Versorgungssicherheit des Landes ist genauso wenig bei uns, wie die Versorgungssicherheit mit Impfstoffen bei der Firma Pfizer liegt. Wenn die Schweiz auf einen Versorgungsengpass hinsteuert, dann muss doch der Bund Massnahmen ergreifen. Und nicht die Axpo oder die BKW.
Energieministerin Sommaruga sieht es anders. Sie hat an Ihre Aktionäre, die Nordostschweizer Kantone, appelliert, in die Versorgungssicherheit zu investieren.
Wir können die Stromversorgung des Landes nicht auf der Hypothese aufbauen, dass sie defizitär erbracht wird.
Die Wasserkraft war einst der Stolz der Schweizer Stromindustrie. Jetzt scheint sie an Gewicht zu verlieren.
Die Wasserkraft bleibt ein riesiger und wichtiger Brocken. Gerade im Winter, wenn die Photovoltaik weniger produziert. Aber man darf sie auch nicht überschätzen, denn es gibt kein Ausbaupotenzial. Und das nicht nur wegen der Probleme mit den Bewilligungen, sondern vor allem, weil die guten Standorte schon erschlossen sind. Es gibt hierzulande nicht noch zig gute Standorte für grosse Staumauern.
Aber Axpo könnte bestehende Werke ausbauen. Gibts Pläne?
Neben den Bewilligungen hängt das auch von der Wirtschaftlichkeit ab. Und die ist bei der Wasserkraft in der Schweiz langfristig leider nicht gegeben: Heute müssen wir einen Viertel der Einnahmen als Wasserzins abtreten. So kann die Rechnung einfach nicht aufgehen.
Das Parlament hat das Wasserzins-Regime jüngst bis 2030 verlängert.
Dieser Entscheid ist sicher nicht förderlich für die Versorgungssicherheit.
Was ist mit den Gaskraftwerken? Wird Axpo investieren?
Wir gehen davon aus, dass es ab den 40er-Jahren - wenn die Kernkraftwerke vom Netz gehen - für die Wintermonate zwei oder drei grosse, klassische Gaskraftwerke brauchen wird. Um die Klimaziele nicht zu konterkarieren, wären diese Kraftwerke aber CO2-neutral, das heisst mit Grün- oder Synthesegas oder mit Wasserstoff zu betreiben. Und natürlich haben wir die Fähigkeiten, ein solches Gaskraftwerk zu bauen und zu betreiben. Aber wir haben keine konkreten Pläne. Auch hier zählt die Wirtschaftlichkeit, denn so ein Werk kostet schnell mal eine halbe Milliarde Franken und soll ja nur dann laufen, wenn es wirklich notwendig ist. (aargauerzeitung.ch)
"Zweitens ist die Kernkraft schlicht zu teuer. Eine Megawattstunde aus einer neuen Fotovoltaikanlage in Frankreich kostet rund 50 Euro. Die Kernkraft ist etwa doppelt so teuer."
Wie können sogar in die Verfassung schreiben "die Schweiz setzt auf AKWs". Bauen und betreiben wird sie trotzdem niemand.