Mittwochmorgen, 8.30 Uhr Ortszeit, in einem Londoner Nobelhotel. Die Bühne ist bereitet. Auftritt Ulrich Spiesshofer. Der ABB-Chef hat Investoren und Journalisten in die englische Hauptstadt geladen, um die nächsten Schritte des Industriekonzerns zu präsentieren. Was er sagt, hat es in sich. Eine Milliarde US-Dollar will ABB bis Ende 2017 einsparen – allein beim Personal. Den Hauptsitz in Zürich Oerlikon wird es dabei wohl am stärksten treffen. Der Grund: dort sitzen grosse Teile der Verwaltung. Und genau hier will Spiesshofer ansetzen.
Wenn der ABB-Chef von der Mitarbeiterstruktur spricht, dann nennt er zwei Bereiche: Auf der einen Seite die sogenannten «Blue Collar»-Mitarbeiter, was in etwa so viel heisst wie diejenigen in einem «blauen Overall». Jene, die vornehmlich in Fabriken getragen werden. Auf der anderen Seite stehen die «White Collar»-Mitarbeiter. Darunter versteht er diejenigen, die in Büros arbeiten und die eher das weisse Hemd als den Blaumann zur Arbeitskleidung tragen.
Erstere haben ihre Rosskur schon hinter sich. Die produzierende ABB-Belegschaft ist bereits auf 40'000 Mitarbeiter gestrafft worden. Hier sieht der Chef wenig Sparpotenzial. Deshalb sollen in diesem Bereich keine Stellen abgebaut werden. Anders sieht es bei den 10'000 Hemdenträgerinnen und -trägern aus. Die Effizienz der Produktion werde in der Verwaltung noch nicht erreicht, sagte Spiesshofer gestern. Dies werde man nun nachholen. Die Mitarbeiter in Oerlikon müssen also zittern, wenngleich ABB klarstellt: Am Hauptsitz Zürich werde nicht gerüttelt.
Ob Baden, wo die überwiegende Anzahl der ABB-Mitarbeiter «blau» statt «weiss» trägt, komplett aufatmen kann, blieb gestern allerdings offen. Über einzelne Standorte äusserten sich die Verantwortlichen nicht.
In jedem Fall werde man die anstehenden Einsparungen so sozialverträglich wie möglich durchführen, hiess es. Dafür wolle man die natürliche Fluktuation, also etwa das Ausscheiden von Mitarbeitern aus Altersgründen, nutzen und nur im Notfall Kündigungen aussprechen.
Die tiefen Einschnitte bei den Personalkosten sind Teil eines grösseren Plans. Die Marschrichtung vorgegeben hatte Spiesshofer vor genau einem Jahr an gleicher Stelle. Die erste Phase dieses Plans ist nun abgeschlossen und Spiesshofer mit dem Zwischenstand zufrieden. Jetzt steht Phase zwei an. Zu dieser gehört neben dem Sparprogramm eine umfassende Umstrukturierung des Konzerns. Während im letzten Jahr vieles unklar blieb, machte Spiesshofer diesmal deutlich: «Wir werden diese Firma umbauen.»
ABB, so das Ziel der Übung, soll näher zum Kunden rücken. Dafür werden die Divisionen von fünf auf vier reduziert und die Zuständigkeiten verschoben. Fast beschwörend betont Spiesshofer, wie entscheidend es sei, im Bereich der Stromnetze sowohl die Ausrüstung als auch deren Automatisierung anbieten zu können. Deshalb hat der Konzern die Division Energietechniksysteme – die ABB zuletzt die grössten Schwierigkeiten bereitete – aufgelöst und den Bereich zusammen mit den Starkstromlösungen und den Transformatoren aus der Division Energietechnikprodukte in die neue Division Stromnetze überführt. Den Gerüchten der vergangenen Wochen zum Trotz: Von einer Spaltung des Konzerns ist der CEO weit entfernt. Im Gegenteil.
Die neue Division Stromnetze werde die weltweite Nummer eins in den Bereichen Stromübertragung, Stromnetz-Automation, Transformatoren und Hochspannung, urteilen die Analysten der US-Bank Morgan Stanley. Das Geschäft werde für ABB über 12 Milliarden US-Dollar schwer sein, weise jedoch eine relativ geringe Marge auf. Besonders dann, wenn man den Vergleich zur profitableren Automatisierung heranzieht.
Einen speziellen Hinweis zu diesem Verhältnis liess sich Spiesshofer gestern nicht nehmen: Er erinnerte an die Zeit vor rund sechs Jahren, als ein Bereich von ABB alles andere als gut lief. Das damalige Problemkind war die Robotik. ABB hat trotzdem daran festgehalten. Das zahlt sich heute aus. Als Teil ebenjener profitablen Automationssparte stellen Roboter einen wichtigen Pfeiler in der ABB-Strategie dar. Hier will Spiesshofer auch mit verstärktem Engagement bei der Bereitstellung von Software punkten. Diese Verbindung, wie sie etwa der gestern vor einem Jahr vorgestellte Roboter Yumi verkörpert, sei ein grosser Wachstumsmarkt – nicht nur bei den chinesischen Smartphone-Herstellern, die jetzt schon am zweiarmigen ABB-Roboter sehr interessiert seien, sondern in verschiedensten Bereichen der fertigenden Industrie.