«Die Folgen der Rezession werden auch auf dem Lehrstellenmarkt zu spüren sein.» Das sagte kürzlich ein Vizedirektor im Departement von Wirtschaftsminister Guy Parmelin an einer Medienkonferenz. «Wir rechnen für mehrere Jahre mit einer schwierigeren Entwicklung, als wir sie in den letzten Jahren gesehen haben.»
>> Coronavirus: Alle News im Liveticker
Eine schwierige Entwicklung und dies für mehrere Jahre erwartet Parmelins Wirtschaftsdepartement. Der Bund befürchtet also eine Lehrstellenkrise. Doch man glaubt, aus der letzten Krise gelernt zu haben. «Wir hatten zu Beginn der Nullerjahre eine Lehrstellenkrise», so der Vizedirektor im Wirtschaftsdepartement. Das Gesetz zur Berufsbildung sei aufgrund dieser letzten Krise umgeschrieben worden. «Wir haben die gesetzliche Basis, um zu intervenieren. Die Kantone haben erprobte Instrumente, um Lehrstellen zu fördern.»
Rückblende: Die Krise der Nullerjahre bewegt die Schweiz. In der Coronakrise könnte es schwerer werden, das Versprechen der Berufslehre zu halten: Nahezu alle Jugendlichen, die wollen, sollen via Lehre in die Arbeitswelt einsteigen können.
In der Lehrstellenkrise der Nullerjahre gibt es keinen Einbruch, es bleibt bei einer wirtschaftlichen Stagnation. Zwei Jahre lang gibt es praktisch Nullwachstum. Die Arbeitslosenquote erreicht den Höchststand bei 5,1 Prozent. Aus dieser Wirtschaftsflaute wird erst durch die Demografie eine Lehrstellenkrise. Ab Mitte der Neunzigerjahre gehen jährlich mehr Jugendliche von der Schule ab. Das Angebot an Lehrstellen hält lange mit. Doch damit ist es vorbei, als die Wirtschaft stagniert. Im Jahr 2002 werden 2400 Lehrverträge weniger abgeschlossen als im Vorjahr.
Die politische Linke will das Recht auf berufliche Ausbildung in die Verfassung schreiben. Gewerkschafter unken, es würden 9000 Jugendliche ohne eine Lehrstelle bleiben. Wirtschaftsminister Joseph Deiss beruft eine Taskforce ein.
«Fleissig, willig – und kaum Chancen», titelt das Boulevardblatt «Blick». In einer Berner Abschlussklasse im Schulhaus Bethlehemacker wird gefragt, wer noch keine Lehrstelle hat. 13 Hände gehen in die Höhe, nur sechs haben schon einen Platz. Am Fernsehen lässt im «Club» keiner den anderen ausreden, Bundesrat Deiss geht unter. Am Ende wird die Lehrstellen-Initiative hochkant abgelehnt.
Das Gesetz für die Berufsbildung wird umgeschrieben. Es braucht einen Effort, um aus der Krise zu kommen. Neu können kleine und mittlere Betriebe einen Lehrling gemeinsam beschäftigen, in Verbünden. Die Kantone gehen Klinkenputzen oder appellieren via Medien an die Betriebe. Neue Programme werden angeboten, mit denen sich ein Jahr überbrücken lässt. Weniger beliebte Berufe werden beworben mit Imagekampagnen und Berufsweltmeisterschaften: etwa Schreiner, Metzger oder Maler.
In der Coronakrise stehen die Vorzeichen schlechter als in den Nullerjahren. Dieses Jahr bricht die Wirtschaft so stark ein, wie in der Nachkriegsgeschichte sonst nur in der Ölkrise. Im nächsten Jahr wird der Einbruch nicht aufgeholt sein. Es wird eine Arbeitslosenquote von zwischenzeitlich 6 Prozent erwartet.
Das kostet Lehrstellen. Gemäss einer Berechnung der Universitäten von Bern und Zürich lässt sich aus der Geschichte ableiten: Treffen die aktuellen Prognosen ein, würden 5000 bis 20000 weniger Lehrverträge unterschrieben. Bis der Schock ausgestanden ist, könnte es fünf Jahre lang dauern.
Die Rezession kommt zur Unzeit, ähnlich wie die Wirtschaftsflaute der Nullerjahre. Es stehen mehrere Jahre bevor, in denen jedes Mal mehr Jugendliche eine Lehrstelle suchen werden. Die Demografie könnte erneut aus einer Wirtschaftskrise eine Lehrstellenkrise machen.
Die Macht der Demografie zeigte sich auch in der Finanzkrise von 2008. Damals stützt sie die Berufslehre. Die Wirtschaft bricht stärker ein als in den Nullerjahren. Die Arbeitslosigkeit ist ähnlich hoch. Doch es gehen jährlich weniger Jugendliche von der Schule ab. Das genügt. Die Finanzkrise wird nie zu einer Lehrstellenkrise.
Gottgegeben ist auch in der Coronakrise nichts. Es kann besser kommen. Zum Beispiel, wenn die Jugendlichen weniger wählerisch sind als in der Vergangenheit. So sieht man das im Departement von Parmelin. «Wir appellieren, in dieser Situation auch einmal die zweitbeste Lehrstelle zu wählen», sagt ein Vizedirektor des Departements. Man solle gar nicht erst versuchen, die Krise auszusitzen und so den Traum von der Lieblingslehrstelle zu retten. «Die Aussichten sind vergleichsweise gering, dass es nächstes Jahr die erstbeste Lehrstelle wird.»
Gebt euren Traum auf – der ernüchternde Appell, den Bundesrat Parmelin ausrichten lässt, hat einen Hintergrund. Ein Brückenjahr hilft kaum, falls die Krise mehrere Jahre dauert. 2021 dürfte der Kampf um Lehrstellen wiederum eng werden. Und es gilt, was schon in Nullerjahren galt: Es hat eigentlich mehr Lehrstellen, als nachgefragt werden. Nur sind es Stellen, die kaum einer will. Es sind unpopuläre Berufe oder sie sind im falschen Kanton.
«Man muss endlich akzeptieren: Nicht alle können eine KV-Lehre oder eine Informatikausbildung machen», hiess es schon in den Nullerjahren vom Gewerbeverband. Und von Jugendlichen kam zurück: «Die traditionellen Berufe sind einfach nicht mehr beliebt.»
Also lernte ich was komplett anderes. Habe die Lehre durchgezogen, obschon schnell klar war: Dass wird nicht mein Leben.
Nach dem Lehrabschluss dann direkt ab in die erste Weiterbildung. Mittlerweile 5 gemacht in 20 Jahren.
Heute arbeite ich in einem Beruf, den es 1995 noch gar nicht gab. Und gerade die Coronakrise hat mir gezeigt, wie toll es mir geht.
Mein Appell daher: Lernt irgendwas, was geht. Zieht es durch, auch wenn’s hart ist. Arbeitet an eurem Weg, er führt eh nicht dort hin, wo ihr mit 14 meint gehe es hin.