Noch knapp 26 Jahre bleiben der Schweiz, um klimaneutral zu werden. Bis 2050 sollen die Treibhausgasemissionen auf Netto-Null reduziert werden. Wozu sich der Bundesrat bereits mit dem Pariser Abkommen verpflichtet hat, bestätigte im vergangenen Juni die Stimmbevölkerung. Seither ist das Netto-Null-Ziel im Gesetz verankert.
Ein zentrales Instrument auf dem Weg zur klimaneutralen Schweiz ist die CO₂-Abgabe. Wer fossile Brennstoffe wie Heizöl oder Erdgas nutzt, um daraus Energie zu gewinnen, muss eine Lenkungsabgabe entrichten. Diese beträgt pro Tonne verursachtem CO₂ 120 Franken und fällt sowohl für Unternehmen als auch für Haushalte an. Allerdings gibt es Ausnahmen: Bestimmte Unternehmen können sich von der Abgabe befreien lassen, wenn sie sich stattdessen zur Reduktion ihrer CO₂-Emissionen verpflichten – oder wenn sie am Emissionshandelssystem teilnehmen.
Diese Ausnahmen sind ausgerechnet Firmen aus energieintensiven Wirtschaftszweigen vorbehalten, also solchen, die besonders viele Emissionen verursachen. Die Überlegung dahinter: Wenn ein Unternehmen – etwa aus der Industrie – zu hohe CO₂-Abgaben zahlen muss, dann verliert es international an Wettbewerbsfähigkeit; es droht ein Abbau von Arbeitsplätzen in der Schweiz. Von der Ausnahme Gebrauch machen können gemäss Auflistung des Bundes zum Beispiel Firmen aus der Uhrenindustrie, der Glasherstellung oder dem Pflanzenanbau in Gewächshäusern.
2022 liessen sich 1233 Firmen von der CO₂-Abgabe befreien. Sie mussten sich im Gegenzug dazu verpflichten, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Doch nun kommt die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) zum Schluss: Die Reduktionsziele sind zu wenig ambitioniert. Zwar handle es sich bei der CO₂-Abgabebefreiung um ein akzeptiertes Instrument, doch die Anforderungen an die befreiten Unternehmen seien «nicht sehr hoch». Die Reduktionsziele, welche für jedes Unternehmen individuell festgelegt werden, seien zu wenig ehrgeizig. Zudem sei nicht nachvollziehbar, weshalb sich die Anforderungen an die Unternehmen «nicht verändert haben, obwohl sich die CO₂-Abgabe zwischen 2013 und 2020 mehr als verdreifacht hat».
Wie die EFK in ihrem Bericht ausführt, senkten die befreiten Unternehmen – die meisten davon sind Industriebetriebe – ihre Treibhausgasemissionen zwischen 2013 und 2020 um 19 Prozent. Im selben Zeitraum gingen die Emissionen der gesamten Industrie um 20 Prozent zurück. Dieses Ergebnis ist aus Sicht der EFK «enttäuschend». Schliesslich haben die von der Abgabe befreiten Unternehmen in diesen Jahren 900 Millionen Franken eingespart, weil sie keine CO₂-Abgabe entrichten mussten. Doch erreicht haben sie damit gemäss EFK nicht mehr als die restlichen, nicht befreiten Unternehmen des Industriesektors.
Für die Schweizer Bevölkerung hat die Befreiung gewisser Unternehmen von der CO₂-Abgabe direkte Auswirkungen: Das Geld aus dem Abgabetopf – rund 1,2 Milliarden Franken – wird zu rund zwei Dritteln an Bevölkerung und Wirtschaft zurückverteilt. Der Rest fliesst zu weiten Teilen in das Gebäudeprogramm, ein kleinerer Betrag zudem in den Technologiefonds. Ist weniger Geld im Topf, wird auch weniger verteilt.
In ihrem Bericht kritisiert die EFK weiter, dass «viele der befreiten Unternehmen kaum grosse Investitionen – etwa in erneuerbare Energien – getätigt haben», wie Projektleiterin Véronique Merckx sagt. Stattdessen seien oft Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz ergriffen worden. Das sei zwar auch wichtig, doch für die Dekarbonisierung seien umfangreiche Investitionen nötig. Dass solche nur selten getätigt werden, ist allerdings auch auf die behördlichen Vorgaben zurückzuführen: Wer sich von der CO₂-Abgabe befreien lässt, der muss lediglich jene Massnahmen ergreifen, die wirtschaftlich, also rentabel sind und sich innert einiger Jahre amortisieren lassen.
Brigitte Christ, stellvertretende Direktorin der EFK, kommt deshalb zum Schluss: «Wenn das Instrument der Verminderungsverpflichtung weiter bestehen und ausgedehnt werden soll, dann braucht es anspruchsvollere Ziele und stärkere Anreize.»
Eine Ausdehnung ist bereits in Planung: National- und Ständerat diskutieren derzeit über die Revision des CO₂-Gesetzes für die Zeit nach 2024. Teil der Revision sind auch Anpassungen bei der CO₂-Abgabe. Künftig sollen alle Unternehmen die Möglichkeit haben, sich von dieser befreien zu lassen, wenn sie sich stattdessen zur Reduktion ihrer Emissionen verpflichten. Diese Verminderungsverpflichtungen sollen noch bis 2040 möglich sein, danach müssen alle Firmen die CO₂-Abgabe zahlen. Gemäss Botschaft des Bundesrates schaffe dies Anreize, um bereits vor 2040 aus den fossilen Energieträgern auszusteigen.
Wenig Verständnis für das Urteil der EFK haben die beiden Energieagenturen EnAW und act. Sie vermitteln den abgabebefreiten Unternehmen im Auftrag des Bundesamts für Energie und des Bundesamts für Umwelt Energieberater und begleiten die Firmen nach eigenen Angaben auf dem Weg der Emissionsreduktion. Gemäss EnAW-Geschäftsführer Frank Ruepp habe der Industriesektor «im Gegensatz zum Gebäudebereich und dem Verkehr seine CO₂-Reduktionsziele stets erreicht – auch dank der Verminderungsverpflichtung».
Ohnehin sei «nicht nachvollziehbar», weshalb die EFK Zahlen miteinander vergleiche, die gar nicht vergleichbar seien. Dass der Industriesektor 20 Prozent der Emissionen reduziert und somit leicht mehr eingespart habe als die Unternehmen mit Abgabebefreiung, ergebe sich nur wegen Schliessungen von sehr grossen Betrieben, wie zum Beispiel jener der Tamoil-Raffinerie 2016 in Collombey und zweier Papierfabriken.
Für Ruepp bleibt klar: «Die Möglichkeit, dass sich energieintensive Unternehmen von der CO₂-Abgabe befreien und stattdessen eigene Reduktionsmassnahmen ergreifen können, schützt den Werkplatz Schweiz.» Würden die Anforderungen an die Unternehmen verschärft, so drohten Verlagerungen und Schliessungen der Industrie. (aargauerzeitung.ch)