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Videogames: Schweizer Teenager zocken gegen schlechte Stimmung

Beim «Fortnite»-Spielen kann es auch mal krachen.
Beim «Fortnite»-Spielen kann es auch mal krachen.

Studie zeigt: Tausende Schweizer Teenager haben ein gestörtes Verhältnis zum Gamen

Eine repräsentative Schweizer Studie zeigt: Hochgerechnet 25'000 Jugendliche zwischen 14 und 15 spielen Videogames, um eine negative Stimmung zu lindern. Jugendberater, Suchtforschende und Game-Industrie benennen Warnzeichen.
31.03.2025, 06:5031.03.2025, 07:52
Maurizio Minetti / ch media
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Ein Gegner ist noch übrig. Ben versteckt sich in einer Box und erholt sich vom vorherigen Fight. Die letzten zwei Spieler liefern sich einen taktischen Baukampf, schiessen aufeinander, verstecken sich. Ben türmt sich in luftiger Höhe auf – und stirbt an Fallschaden. Mist! Der 15-Jährige schlägt fünfmal die Faust mit voller Wucht auf die Tischplatte.

Solche Szenen spielen sich in der Schweiz täglich in Tausenden Haushalten ab. Insbesondere bei Jungen im Teenageralter ist das Videospiel «Fortnite» seit Jahren eines der beliebtesten Games. Der 2017 lancierte Survival-Shooter ist einer der meistgespielten Titel.

Das Game ist kostenlos, doch wer etwas auf sich hält, kauft digitale Gegenstände. Zum Beispiel sogenannte «Skins». Das sind Kostüme, um die eigene Spielfigur von der Masse abzuheben. Oder ein «Fortnite Crew»-Abo für 11 Franken pro Monat, das unter anderem tausend «V-Bucks» bietet, wie das virtuelle Geld in Fortnite heisst.

«Fortnite» ist das mit Abstand erfolgreichste Game des US-Herstellers Epic. Genaue Zahlen gibt das Unternehmen nicht heraus. Wer hierzulande digitale Güter bei «Fortnite» kauft, erhält von Epic Games eine Mail, an deren Ende eine Adresse steht: Epic Games Commerce GmbH mit Sitz im luzernischen Root.

Fortnite logo displayed on a laptop screen and DualSense controller are seen in this illustration photo taken in Krakow, Poland on December 8, 2023. (Photo by Jakub Porzycki/NurPhoto via Getty Images)
Die «Fortnite»-Entwicklerfirma antwortet nur ausweichend auf Fragen.Bild: NurPhoto

Tatsächlich ist kaum bekannt, dass Epic in der Schweiz seit Jahren mehrere Gesellschaften betreibt. Vor fünf Jahren berichtete die «Handelszeitung», der Luzerner Sitz beherberge das Kronjuwel des Spieleherstellers: die Unreal Engine. Das ist eine Software, die bei der Entwicklung von Games eingesetzt wird. Ohne Unreal Engine kein «Fortnite» und ohne «Fortnite» kein Milliardenumsatz für Epic.

Laut dem damaligen Bericht der «Handelszeitung» ist die Luzerner Gesellschaft für die Abwicklung der Lizenzrechte an der Unreal Engine zuständig. Ein typischer Grund für die Ansiedlung solcher Unternehmen in der Schweiz ist, dass geistiges Eigentum hierzulande tiefer besteuert wird als anderswo.

Zurückhaltender Spiele-Entwickler

Am Sitz von Epic in Root deutet nichts darauf hin, dass hier ein Milliardenkonzern angesiedelt ist. Das Büro ist dezent angeschrieben, die Amerikaner sind nicht vor 9 Uhr anzutreffen. Nachfrage bei der Medienstelle von Epic Games: Warum ist Epic in die Schweiz gekommen? Wie viel Umsatz macht Epic hierzulande?

Der amerikanische Spieleentwickler antwortet auf solche Fragen nicht – oder ausweichend. Ein Firmensprecher sagt, Epic Games beschäftige über dreissig Mitarbeitende in Luzern und Zürich. Das Team «unterstützt Projekte» rund um die Unreal Engine. Epic Games wickelt laut dem Sprecher einige in den Games getätigte Käufe für virtuelle Gegenstände über die Schweizer Niederlassung sowie über andere Niederlassungen auf der ganzen Welt ab. Es gebe mehr als 500 Millionen registrierte «Fortnite»-Konten weltweit. Mehr verrät das Unternehmen nicht.

Zurück zu Ben. Der Teenager hat sich nach einer wüsten Auseinandersetzung mit seiner Mutter mittlerweile etwas gefasst. Er verspricht, nur noch eine Runde zu spielen. Weil er aber früh scheitert, hängt er noch eine an. Und noch eine.

Hochgerechnet 25'000 Jugendliche im Alter von 14 und 15 Jahren spielen Videogames, um eine negative Stimmung abzubauen.
Hochgerechnet 25'000 Jugendliche im Alter von 14 und 15 Jahren spielen Videogames, um eine negative Stimmung abzubauen.

Häufigkeit und Dauer sind nicht entscheidend

«Nicht aufhören zu können, ist eines der Anzeichen für problematisches Game-Verhalten», sagt Marina Delgrande Jordan. Sie ist Co-Leiterin der Forschungsabteilung von Sucht Schweiz und für die Durchführung der Studie «Health Behaviour in School-aged Children» (HBSC) in der Schweiz verantwortlich. Es ist die einzige nationale und repräsentative Studie in der Schweiz, die der Frage zur problematischen Nutzung von Games unter Jugendlichen nachgegangen ist. Über 3000 Schweizer Jugendliche wurden dafür im Jahr 2022 befragt.

Marina Delgrande Jordan betont auf Anfrage zunächst, Gaming habe viele positive Aspekte. «Es ist gerade für Jugendliche ein Mittel, um Kontakte zu pflegen. Manche Games können ausserdem das Strategiedenken und die Koordination fördern.»

Was die Gefahren betrifft, sagt sie: «Wer die Kontrolle verliert, kann eine Sucht entwickeln.» Die HBSC-Studie hat gezeigt, dass von den Schweizer Jugendlichen im Alter von 14 und 15 Jahren, die mindestens gelegentlich gamen, 3 Prozent eine problematische Nutzung aufweisen.

Hochgerechnet auf die ganze Schweiz sind das ungefähr 4000 Jugendliche. Doch diese Zahl bezieht sich nur auf die gamenden Jugendlichen, die mindestens fünf von zehn Anzeichen in den letzten zwölf Monaten oft erlebt haben. Auf einzelne Fragen haben die gamenden Jugendlichen unterschiedlich geantwortet.

Die aus der Sicht der Suchtforschenden zentrale Frage ist: Hast du gespielt, um eine negative Stimmung abzubauen? Und hier sind die Antworten besorgniserregend. Darauf haben nämlich 18 Prozent der Jungen und 16 Prozent der Mädchen mit «häufig» geantwortet. Hochgerechnet auf die Schweiz bedeutet das: Rund 25'000 Jugendliche zwischen 14 und 15 Jahren spielen Videogames, um eine negative Stimmung zu lindern.

Hochgerechnet 16'000 gaben an, häufig trotz negativer Folgen, etwa in Bezug auf Schule und Familie, viel zu gamen. 11'000 sind es, die häufig erfolglos versucht haben, die Gaming-Zeit zu reduzieren.

Bild

Die in der Studie verwendeten Fragen zeigen, dass weder Häufigkeit noch Dauer des Gamings entscheidend sind, um zu eruieren, ob der oder die Jugendliche ein Problem hat. «Viel wichtiger ist das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, sowie die erheblichen negativen Folgen für das tägliche Leben», erklärt die Forscherin. Man könne täglich gamen und trotzdem nicht süchtig sein.

Psychologische Tricks

«Fortnite» ist seit Jahren ein Phänomen in der Schweiz. Verschiedene Jugendberatungsstellen berichten, dass das Game schon im Primarschulalter bei vielen Jungen omnipräsent ist. Nicht selten kommt es zu Konflikten mit Eltern oder Lehrpersonen, weil die Schulleistungen darunter leiden. Manchmal ist «Fortnite» sogar schon im Kindergarten ein Thema.

Stefan Caduff ist selbst ein passionierter Gamer. Der Medienpsychologe ist Mitinhaber des Beratungsunternehmens Sapia in Luzern und hat oft mit Jugendlichen und deren Eltern zu tun. Er sagt: «‹Fortnite› ist vor allem unter Viert- und Fünftklässlern beliebt.» Der Hersteller Epic schaffe dank Kooperationen mit Stars wie Billie Eilish oder Eminem, Live-Events, einer geschickten Preisstrategie für digitale Güter und immer wieder neuen «Seasons» eine Umgebung, die für Jugendliche attraktiv sei.

Der Fachmann durchschaut die psychologischen Tricks: «Zum Beispiel wird bei den sogenannten ‹Skins› absichtlich eine Knappheit suggeriert. Wenn man einen bestimmten ‹Skin› will, muss man schnell zuschlagen und nicht lange überlegen.» Caduff berichtet von einem Schüler, der innerhalb weniger Jahre 2000 Franken für «Fortnite» ausgegeben habe. Ein anderer wollte nicht mehr ins Fussballtraining, um mehr Zeit für «Fortnite» zu haben. «Ein Alarmzeichen», sagt Caduff.

Der Medienpsychologe will allerdings weder Gaming an sich noch «Fortnite» im Speziellen verteufeln. «‹Fortnite› hat auch eine soziale Komponente, da meist mit anderen interagiert wird.» Es gebe Kinder, die drei Stunden pro Tag gamen, gut in der Schule sind und Sport treiben. «Andere spielen nur eine Stunde und vernachlässigen die Schule oder ihr Umfeld», so Caduff. In der Pflicht seien die Eltern: «Sie müssen sich damit auseinandersetzen und für ihr Kind die passende Umgebung schaffen.»

Ben hat mittlerweile die Konsole heruntergefahren. Aber nicht, bevor er im Shop für rund 20 Franken ein Paket des US-Streamers Clix gekauft hat. Im Paket sind zum Beispiel «Skins», Tanzbewegungen oder auch eine digitale Spitzhacke enthalten. Eine E-Mail aus Luzern bestätigt die Transaktion.

Das sagen Gaming-Verband und Epic
Die Swiss Interactive Entertainment Association (SIEA) ist der Verband der Schweizer Videospielbranche. Ein Sprecher verweist auf die schweizerische Initiative «Play Smart». Damit verfolge man das Ziel, bewährte Verfahren für die verantwortungsvolle Entwicklung der Familien und der Spieler zu fördern.

Darüber hinaus verweist der Sprecher auf ein Statement des Verbands Video Games Europe vom vergangenen Jahr. Darin heisst es generell, die Branche lege grossen Wert darauf, «positive Erfahrungen für die gesamte Spielergemeinschaft zu schaffen.» Man stelle benutzerfreundliche Tools für Spieler, Eltern und Betreuer zur Verfügung, mit denen sich zahlreiche Aspekte des Spielens verwalten lassen. «Milliarden von Menschen weltweit, jeden Alters und jeder Herkunft, spielen Videospiele auf gesunde und ausgewogene Weise», so der Verband.

Ein Epic-Sprecher ergänzt, man habe Fortnite «mit Blick auf die Sicherheit entwickelt», und jüngere Spieler seien von Anfang an besser geschützt. «Wenn ein Spieler in der Schweiz einen Fortnite-Account erstellt und angibt, dass er unter 16 Jahre alt ist, erhält er ein eingeschränktes Konto und kann auf bestimmte Funktionen wie Sprach- oder Text-Chat oder Käufe mit echtem Geld nur zugreifen, wenn ein Elternteil zugestimmt hat.» Epic verwende ausserdem Standardeinstellungen mit hohem Datenschutz für Spieler unter 18 Jahren: Sprach- und Text-Chat seien beispielsweise ausgeschaltet und Spielerprofildetails verborgen.

Mithilfe der Kindersicherung können Eltern Anpassungen vornehmen, einschliesslich der Einstellung von Inhaltsbeschränkungen auf der Grundlage international anerkannter Altersfreigaben, sozialer Berechtigungen und Kaufberechtigungen. Eltern können auch die Zeitlimit-Kontrollen und Zeitberichte von Fortnite nutzen, um tägliche Zeitlimits festzulegen und zu sehen, wie viel Zeit ihr Kind in «Fortnite» verbringt. Weiter erklärt der Epic-Sprecher: «Wir klären sowohl Eltern als auch Spieler proaktiv über die Schutzmassnahmen und Tools auf, die wir anbieten, um ihre Erfahrungen in Fortnite zu verwalten.»

(aargauerzeitung.ch)

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Setups, von denen viele Gamer und Gamerinnen träumen dürften
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Setups, von denen viele Gamer und Gamerinnen träumen dürften
quelle: reddit
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Videospiel liefert wertvolle Daten für die Forschung
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90 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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asdfasdf
31.03.2025 07:17registriert Oktober 2024
Warum soll man sich bei schlechter Stimmung nicht mit etwas spass etwas erholen? Wie viele Erwachsene trinken dann Alkohol? Soll man besser weiter schlecht gelaunt sein?
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Eidi
31.03.2025 07:38registriert Oktober 2018
Die positive Kehrseite der Medallie wird 0 beleuchtet. Ich habe übers Gamen Freunde fürs Leben gefunden, bin damit bestimmt auch nicht der einzige. Es Hilft Leuten die im RL ggf. etwas intovertierter sind Kontakte zu knüpfen und eim Sozialleben aufzubauen. Klar gibt es problematische Aspekte, aber die gibt es überall, sobald etwas Krankhaft wird.
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Pachyderm
31.03.2025 07:14registriert Dezember 2015
Warum der enge Fokus auf 14-15 Jährige?

Und warum ist es etwas schlechtes, wenn Jugendliche Spiele nutzen, um schlechte Stimmung abzubauen?
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    QDH: Wer ihn besiegt, ist ein Genie!
    Jede Woche quizzen wir unsere hellste Kerze der Redaktion. Und du kannst gegen sie antreten. Einfach wird es aber nicht.

    Liebe Huberquizzer

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