Ökonometriker
Es ist daher höchste Zeit, dass das BAG hier handelt.
Um die Impffrage bei schwangeren Frauen herrscht Verwirrung. Schwangere sollen sich gegen das Coronavirus impfen lassen, sagen die einen: Die Infektion mit Covid-19 könne für das Kind wie für die Mutter lebensbedrohlich sein. Schwangere sollen sich nicht impfen lassen, sagen die anderen: Die Impfung sei noch zu wenig gut erforscht, Nebenwirkungen für den Fötus seien nicht auszuschliessen.
Wer sich nun an den Empfehlungen der Behörden orientieren will, wird enttäuscht. So erging es etwa der 29-jährigen Winterthurerin Nadine. Sie schreibt watson: «Ich bin unsicher, ob ich mich in der Schwangerschaft impfen soll. Die Stellungnahme des BAG ist schwammig und telefonisch erhält man keine bessere Antwort.» Jetzt müsse sie sich entscheiden, ohne eine Empfehlung. Das sei unangenehm. «Die Chancen stehen momentan bei 50 zu 50, dass ich mich impfen lasse.»
Ein Blick auf die Website des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) zeigt: Kommuniziert wird vage. Im FAQ steht: «Eine Impfung von schwangeren Frauen ist vorerst noch nicht generell empfohlen, da noch nicht ausreichend Studiendaten vorliegen.» Gleichzeitig schreibt das BAG in der allgemeinen Impfempfehlung: «Die Covid-19-Impfung kann [...] allen impfwilligen schwangeren Frauen ermöglicht werden.»
Tatsache ist:
Unzufrieden mit der aktuellen Empfehlung ist auch der höchste Impfchef, Christoph Berger – obwohl er sie selber mit ausgearbeitet hat. «Viele Schwangere, die impfwillig wären, verwirrt man mit der aktuellen Empfehlung. Das war nicht die Idee», sagt der Präsident der eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF). «Aufgrund der neuen Erkenntnisse wollen das BAG und die EKIF die Schweizer Impfempfehlung überarbeiten», so Berger. «Ich rechne damit, dass die Empfehlung in den nächsten Monaten angepasst werden kann.»
Inzwischen sei klar, dass die Covid-Impfung keine Gefahr ist – weder für Schwangere noch für das Kind. Ganz im Gegensatz zu einer Infektion mit Covid-19. Werdende Mütter haben im Vergleich zu Nicht-Schwangeren im gleichen Alter ein leicht höheres Risiko auf einen schweren Verlauf, erklärt Berger.
Er stützt sich dabei auf den Bericht der US-Gesundheitsbehörde CDC. Dieser hält fest: Kommt es zu einem schweren Verlauf, kann das für Mutter und Kind gefährlich werden. Als Risiken werden Schwangerschaftsvergiftung, Früh- oder Totgeburten genannt. Zwar sind die Komplikation eher unwahrscheinlich, aber die Gefahr besteht.
Neben den USA empfiehlt auch Grossbritannien bereits die Impfung für Schwangere. In beiden Ländern gilt die Empfehlung besonders für die mRNA-Impfstoffe von Moderna und Pfizer/BioNTech. Mittlerweile habe man verlässliche Daten von fast 200'000 schwangeren Frauen, die geimpft wurden, und es gebe keine Sicherheitsbedenken, sagte Pat O'Brien, Vizepräsident des britischen Verbands der Geburtshelfer und Gynäkologen, Anfang August.
Warum das BAG seine Empfehlung erst jetzt anpasst, erklärt Impfchef Berger so: «Wir waren am Anfang sehr zurückhaltend, Schwangere sind eine spezielle Gruppe, man testet eine neue Impfung nicht als Erstes an ihnen.» Ausserdem wollte man falsche Rückschlüsse tunlichst vermeiden. Im ersten Trimester der Schwangerschaft passieren statistisch gesehen die meisten Aborte – auch ohne Corona oder ohne eine Impfung.
«Wir wollten verhindern, dass Frauen, die sich in den ersten Schwangerschaftswochen impfen lassen und dann eine Fehlgeburt haben, den Grund dafür bei der Impfung vermuten», sagt Berger. Das wäre eine falsche Schlussfolgerung – wissenschaftlich spricht man in diesem Fall von einer zeitlichen Assoziation, nicht von einem ursächlichen Zusammenhang (Kausalität): «Es gibt keine Belege, dass die Covid-Impfung einen Abort verursacht.» Jetzt zeigten immer mehr und bessere Daten, dass der Impfstoff kein Risiko für Mutter und Kind darstelle – «weder vor der Schwangerschaft, noch währenddessen, noch danach oder beim Stillen», so Berger.
«Ich hoffe, wir können die Empfehlung so bald wie möglich anpassen, damit sich Schwangere mit gutem Gefühl für die Covid-Impfung entscheiden können», so Berger. Man sei jetzt daran, die aktuellsten Daten nochmals eingehend zu prüfen. In der Zwischenzeit erhofft sich Berger von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten eine klarere Positionierung. «Ich finde es schade, dass nicht mehr Gynäkologinnen und Gynäkologen ihren schwangeren Patientinnen ein Aufklärungsgespräch zur Covid-Impfung in der Schwangerschaft anbieten.»
Tatsächlich führt die schwammige Formulierung des BAG dazu, dass Ärztinnen und Ärzte ihren schwangeren Patientinnen oft kein Impf-Attest geben. So schreibt eine 31-jährige Userin an watson: «Ich bin schwanger und meine Ärztin unterzeichnet die Zustimmung nicht, die für die Impfung nötig wäre.» Die Verschreibung ist für Schwangere zwingend, so steht es in der allgemeinen Impfempfehlung.
In Deutschland ist die Lage ähnlich wie in der Schweiz. Die Ständige Impfkommission STIKO rät nicht generell zur Impfung, sondern nur Schwangeren mit Vorerkrankungen. Allerdings haben jetzt Fachgesellschaften Stellung genommen und sich für die Impfung von Schwangeren ausgesprochen – darunter auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.
Die Schweizerische Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) war bisher zurückhaltend. Auf ihrer Website verweisen sie auf die allgemeine Impfempfehlung. Doch im Hintergrund laufen die Getriebe bereits: Das BAG sei mit der SGGG für die Anpassung der Empfehlung im Gespräch, sagt Impfchef Christoph Berger.