«Frühstück» statt «Zmorge» – so wird der Wandel im Schweizerdeutschen erforscht
Das Pferd verdrängt das Ross, die Kartoffel den Härdöpfel und der Brudi den Kollegen. Stirbt die Mundart aus, wenn immer mehr Wörter aus dem Deutschen oder Englischen in die schweizerdeutschen Dialekte übernommen werden? «Das glaube ich nicht», sagt Anja Hasse, Linguistik-Professorin am Deutschen Seminar der Universität Zürich.
Hasse ist Teil eines Teams, die seit dem Jahr 2018 Dialektforschung mithilfe einer Smartphone-App betreibt. Rund 10'000 Personen luden die App «gschmöis» herunter und wurden von ihr in regelmässigen Abständen gefragt, wie sie Begriffe oder ganze Sätze in ihrem Dialekt sagen. Zu den Antworten wurde zudem die Herkunft der sprechenden Person erfasst, sodass auf Landkarten ersichtlich wurde, wo vor allem Anke und wo Butter oder Schmalz aufs Brot geschmiert wird.
Wortschatz ändert sich, Satzbau bleibt stabil
«Wir haben im Zuge unserer Forschung zwar festgestellt, dass am Morgen manche ein ‹Früehstück› statt einen ‹Zmorge› einnehmen, die Veränderungen im Wortschatz täuschen aber. Schweizer Dialekte sind erstaunlich stabil», sagt Hasse und macht ein Beispiel.
«Dialekte unterscheiden sich beispielsweise darin, wie das standarddeutsche Wort ‹Rücken› ausgesprochen wird. In Teilen der Zentralschweiz und im Oberwallis sagt man ‹Rigg(e)›, in gewissen Regionen der Kantone Bern, Solothurn, Aargau und Luzern sagt man ‹Rügg(e)› und in der Ostschweiz sagt man ‹Rugge›. Wenn wir nach dem standarddeutschen Wort ‹Brücke› fragen, zeigt sich ein sehr ähnliches Muster bei der Verteilung der Übersetzungen ‹Brigg›, ‹Brügg› und ‹Brugg›.»
Solche Dialektgrenzen könnten sich zwar verschieben, die Dialektmerkmale würden aber nicht so schnell komplett verschwinden wie einzelne Dialektwörter, sagt Dialektforscherin Hasse.
Auch der Satzbau verschiedener Dialektvarianten sei stabiler als der Wortschatz. So verdrängt zwar der Butter den Anken teilweise, andere Mundart-Eigenheiten sind stabiler. In gewissen Regionen brauche man «Münz für es Billett lööse», in anderen aber «zum es Billett lööse». «Für viele, die die eine Varianten sagen, ist die andere nicht möglich oder klingt schlichtweg falsch», sagt Hasse.
Neues App soll Dialekte noch genauer abbilden
Hasse und ihr Team haben nun eine neue App herausgebracht. Mit der Anwendung «nöis gschmöis» sollen die Dialekte noch genauer erforscht werden. In der App werden gut 100 Fragen zum Dialekt gestellt, dabei geht es zum Beispiel um Wortschatz und Aussprache, aber ebenso um Grammatik.
In den bisher von den Forschenden der Uni Zürich erhobenen Daten dominieren Antworten aus kleineren und grösseren Städten. Mit dem neuen Anlauf will das Team um Hasse darum mehr Antworten von Personen, die in Dörfern oder in der Agglomeration leben. Dazu sind öffentliche Veranstaltungen an verschiedenen Orten geplant.
Das Forschungsteam begeht neue Wege
Früher suchten Dialektforscher Teilnehmende, deren Familien seit Generationen in der selben Region oder gar im gleichen Ort lebten. Der Gedanke dahinter war, Dialekte möglichst frei von Einflüssen zu dokumentieren.
Die Sprachwissenschafterinnen und Sprachwissenschafter der Universität Zürich wollen nun aber explizit auch Personen befragen, die aus mehrsprachigen Familien stammen, das Schweizerdeutsche erst spät lernten oder Personen, deren Eltern zwei verschiedene Dialekte sprechen.
«Uns fasziniert, dass trotz grosser Mobilität gewisse Dialektunterschiede bestehen bleiben», begründet Hasse diesen Ansatz.
Fördergelder des Nationalfonds
Die Erkenntnisse aus den Befragungen per App werden in Blog-Beiträgen veröffentlicht.
Entstanden ist die App im Rahmen des Projekts RALD (Raising Awareness for Linguistic Diversity) der Universität Zürich. Nach dem Erfolg der ersten Dialektapp «gschmöis» 2018 kann die Uni Zürich nun mit der Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds dieses grössere Projekt durchführen. Dabei gehe es nicht nur ums Datensammeln, sondern auch darum, der Öffentlichkeit einen Einblick in die Inhalte und Methoden der Dialektforschung zu geben, heisst es im Projektbeschrieb.