Schweiz
Zürich

Pilotversuch: Stadt Zürich testet 35-Stunden-Woche

Pilotversuch: Stadt Zürich testet 35-Stunden-Woche

16.03.2023, 08:31
Mehr «Schweiz»
FILE - A woman types on a laptop while on a train in New Jersey, May 18, 2021. A trial of a four-day workweek in Britain, billed as the world's largest, has found that an overwhelming majority of ...
Arbeit im Büro: Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer legen Wert auf die Work-Life-Balance.Bild: keystone

Weniger arbeiten zum gleichen Lohn: Die Zürcher Stadtverwaltung wird in einem Pilotprojekt die 35-Stunden-Woche testen. Der Gemeinderat hat am Mittwoch einen entsprechenden Vorstoss von AL und SP an den Stadtrat überwiesen.

Die links-grüne Mehrheit im Parlament überwies die Motion mit 60 zu 57 Stimmen an den Stadtrat. Dieser muss nun, gegen seinen Willen, ein Versuchsprojekt für eine 35-Stunden-Woche ausarbeiten.

Getestet werden soll die Arbeitszeitreduktion mit jenen Angestellten, die im Schichtbetrieb arbeiten und deswegen besonderen Belastungen ausgesetzt sind. Neben Mitarbeitenden in Pflege und Betreuung sind dies etwa jene in der Reinigung, bei der Polizei oder bei den Verkehrsbetrieben.

«Dringend entschleunigen»

«Wir müssen dringend entschleunigen», begründete AL-Gemeinderat David Garcia Nuñez den Vorstoss. Viele Angestellte würden heute unter Stress leiden oder gar monatelang wegen Burn-out ausfallen. «Wer, wenn nicht die reiche Stadt Zürich, kann sich einen Versuch mit der 35-Stunden-Woche leisten.»

Der Versuch soll wissenschaftlich begleitet werden. Die Stadt wird dabei in erster Linie ermitteln, wie sich der Gesundheitszustand der Angestellten verändert, aber auch die Produktivität und der CO2-Ausstoss durch reduzierte Pendlerwege sollen analysiert werden.

«Ein Versuch, der alle stresst»

Wie viel dieser Versuch kostet, ist noch unklar. Der Grüne Finanzvorsteher Daniel Leupi warnte in der Debatte vor einem «hyperaufwendigen Versuch, der alle stresst». Die städtische Personalabteilung könne so etwas kaum bewältigen.

Würde die Arbeitszeitreduktion bei gleichem Lohn in der gesamten Verwaltung eingeführt, würden auf die Stadt geschätzte Mehrausgaben von bis zu 110 Millionen Franken zukommen. Zudem müssten bis zu 1500 zusätzliche Angestellte gefunden werden, um die Lücken zu stopfen. «Ich weiss nicht, woher wir diese Leute nehmen sollen», sagte Leupi.

Zusätzlich zum «Selbstversuch» soll die Stadt zudem auf private Unternehmen zugehen und diese quasi zum Mitmachen motivieren. Auch diese Erfahrungen sollen dann wissenschaftlich ausgewertet werden.

Dagegen waren die Bürgerlichen einschliesslich der GLP. Letztere fand die Idee zwar «gut gemeint, aber utopisch». Die Mitte fand den Vorstoss zwar ebenfalls «sympathisch», wie es Christian Traber ausdrückte. «Aber wer zahlt das?»

Bundesrat fürchtet Wohlstandsverlust

Auch auf Bundesebene war die Forderung «Weniger Arbeit für gleichen Lohn» schon Thema, unter anderem wegen einer Motion der SP. Der Bundesrat hält die Arbeitszeitreduktion jedoch für eine schlechte Idee. Er fürchtet gar um den Wohlstand im Land.

Keine Angst vor Wohlstandsverlust haben offenbar die Isländerinnen und Isländer: Dort stellte das ganze Land im Jahr 2021 auf die 35-Stunden-Woche um. Heute arbeiten 90 Prozent der Isländerinnen und Isländer bei gleichbleibendem Lohn mit reduziertem Pensum. Produktivität und Steuererträge gingen bisher nicht zurück.

Auch andere Länder starteten oder planen neue Arbeitszeitmodelle, etwa Belgien, Spanien, Neuseeland, Frankreich oder Grossbritannien. (sda/oee)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
118 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Jonas der doofe
16.03.2023 09:09registriert Juni 2020
Schon spannend: die, welche es eingeführt haben, also die Isländer, finden es gut und offenbar gibt es keine negativen finanziellen Folgen.

Wir bei uns, wehren uns schon gegen den Test....
13535
Melden
Zum Kommentar
avatar
jabłko
16.03.2023 09:05registriert September 2021
Eine 42h Woche für Ärzte anstelle der vertraglichen 50h-Woche + Überzeit (und dies im Schichtdienst meist ohne Pausen) wäre schon mal ein gute Anfang.
10711
Melden
Zum Kommentar
avatar
saukaibli
16.03.2023 09:29registriert Februar 2014
"Bundesrat fürchtet Wohlstandsverlust" Für mich ist weniger Arbeiten mehr wert als irgendwelche Konsumgüter, also würde mein Wohlstand aus meiner Sicht steigen und nicht sinken. Wir sollten endlich davon loskommen, nur wirtschaftliches Wachstum als Wohlstand anzusehen, denn so werden wir zwangsläufig unseren Planeten zerstören, da gibt's keinen Ausweg. Leider sind immer noch ein Grossteil der Menschen so vom Kapitalismus und seinem ewigen Wachstum indoktriniert, dass sie sich gar nicht vorstellen können, dass es eine andere Wirtschaftsform geben könnte.
11725
Melden
Zum Kommentar
118
Die Mitte alleine auf weiter Flur: Die Kostenbremse-Initiative erklärt
Die Krankenkassenprämien steigen und steigen. Die Parteien haben unterschiedliche Rezepte, die sie dagegen vorschlagen. Mit der Kostenbremse-Initiative, über die wir im Juni abstimmen, will die Mitte-Partei das zulässige Prämienwachstum an die Lohn- und Wirtschaftsentwicklung koppeln. Wir erklären.

Wer in der Schweiz wohnt, verpflichtet sich per Gesetz, sich bei einer Krankenkasse seiner Wahl zu versichern. Durch die obligatorische Krankenversicherung, die 1996 eingeführt wurde, erhält umgekehrt auch jede Person die nötige medizinische Behandlung.

Zur Story