Die Staatsanwältin forderte eine Verurteilung der heute 52-jährigen Schweizerin wegen versuchten Mordes und wegen Drohung. Sie verlangte eine 13-jährige Freiheitsstrafe sowie eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 100 Franken. Die Freiheitsstrafe sei zugunsten einer stationären Massnahme aufzuschieben. Die Frau habe skrupellos und heimtückisch gehandelt – ein klarer Fall von versuchtem Mord.
Der Verteidiger plädierte für eine Verurteilung seiner Mandantin wegen versuchten Totschlags, nicht wegen Mordversuchs sowie wegen Drohung. Angemessen seien maximal fünf Jahre Freiheitsentzug. Diese seien zugunsten einer stationären Massnahme aufzuschieben. Auch eine Geldstrafe sei aufzuschieben.
Die Tat vom 30. September 2020 habe die Frau unter starker seelischer Belastung verübt. Es sei zu einer «Entladung von angestauten Gefühlen» in einer «entschuldbaren, heftigen Gemütsbewegung» gekommen. Seit vielen Jahren habe es in der Ehe grosse Spannungen gegeben. Die Frau habe sich allein gelassen gefühlt, habe an Suizid gedacht.
Die Vertreterin des 61-jährigen Ehemanns verlangte einen Schuldspruch gemäss Anklage. Die Frau sei im Grundsatz schadenersatzpflichtig zu erklären. Dem Mann sei eine Genugtuung von 45'000 Franken zuzusprechen.
Die Beschuldigte leidet an einer bipolaren Störung. Laut Gutachterin war sie bei der Tat in mittlerem Grade schuldunfähig.
Wie aus ihren streckenweise etwas wirr wirkenden Aussagen vor Gericht deutlich wurde, fühlt sie sich häufig schlecht behandelt, angegriffen oder bedroht. So machte sie geltend, der Mann habe sie «psychisch fertig» gemacht, ständig habe er sie kritisiert, angeschrien, beleidigt.
Laut dem geschädigten Ehemann ging die Frau wegen der kleinsten Bemerkung jeweils sofort in die Luft. Auseinandersetzungen seien immer wieder eskaliert. Dabei sei es jeweils bei Worten geblieben, bis auf einen Vorfall Anfang Mai 2020.
Damals habe die Frau ihm mit einem Messer in der Hand gedroht, ihm den Penis abzuscheiden. Auf diesen Vorfall bezieht sich der Anklagepunkt Drohung. Laut Verteidiger war alles ein Missverständnis.
Am Abend des 30. September 2020 fuhr die Frau per Velo zur Wohnung, wo der Ehemann mittlerweile wohnte. In einem Rucksack brachte sie unter anderem drei grosse Küchenmesser mit. Sie habe «einfach die grössten» eingepackt, sagte sie. Als der Mann ihr die Tür geöffnet und ein Messer gesehen habe, habe er sie angegriffen. Da habe sie zugestochen.
Gemäss den laut Staatsanwältin glaubhaften Ausführungen des Mannes schloss die Frau sofort die Tür seiner Wohnung ab und ging auf ihn los. Versuche, sie zu beruhigen, ihr das Messer wegzunehmen oder aus der Wohnung zu flüchten, blieben erfolglos.
Schliesslich sackte er zusammen, konnte aber noch um Hilfe rufen und damit Nachbarn alarmieren. Erst als die Polizei kam, liess die Frau von ihm ab.
Er habe Todesangst gehabt, sagte der Mann. Die Beschuldigte erklärte, sie sei nicht in Tötungsabsicht zu ihm gefahren. Das Ganze sei «eine Art Hilferuf» gewesen. Sie räumte jedoch ein, dass sie seinen Tod «in Kauf nehmen musste».
Die Rechtsmediziner stellten später mehr als zehn Stich- und Schnittverletzungen fest. Einzelne davon waren lebensgefährlich. Die Beschuldigte gab an, sich nur an zwei Messerstiche zu erinnern.
Das Paar ist nach wie vor verheiratet, mittlerweile seit über 24 Jahren. Der Mann lebt heute mit den beiden Söhnen im Teenageralter in der damaligen Familienwohnung. Seit der Tat vom 30. September ist die Frau inhaftiert. Seit Juni 2022 befindet sie sich im vorzeitigen Massnahmenvollzug in einer psychiatrischen Klinik. (sda)
Seit dem Vorfall vom 30. September 2020 befindet sich die Frau in Haft. Mitte Juni 2022 trat sie den vorzeitigen Massnahmenvollzug in einer psychiatrischen Einrichtung an. (lab/sda)