Jeder Feier ihren Rausch. Doch so unterschiedlich Feiern auch sein können, der Rausch folgt tendenziell den immer gleichen Phasen. Das Betrunkensein ist wie das Prinzip der Steuerschlupflöcher: Oberflächlich immer ein wenig anders, mechanisch hingegen stets identisch – und trotz aller negativen Aspekte für manche irgendwie ziemlich verlockend. Von Zeit zu Zeit zumindest.
Genug mit unnötigen (aber doch beinahe perfekten) Analogien und hin zu jenen Mechanismen, die das Betrunkensein definieren.
Ein paar scheue Schlückchen werden sich gegönnt, ein Schwippschen oder zwei machen sich bemerkbar. Unverbindlich und leicht. Ja, die Welt wirkt urplötzlich harmlos, beginnt einem zu bekommen. Eine Phase wie ein Gratis-Pröbli, das dir an einem lauen Freitagabend am Bahnhof unverblümt geschenkt wird. Und irgendwie fühlt es sich dennoch verdient an. Sogar sehr.
Die schönen Gesichter um dich herum, das Klirren der prostenden Gläser, der etwas zu schrille Lacher von irgendwoher, die küssende Sonne auf der Haut – Unreinheiten wie wegretuschiert, Schmeichelndes akzentuiert und halt noch irgend ein fescher Fotofilter über der ganzen Sache. Ja, dein Leben ist soeben zu einem Werbespot verkommen. Und ja, du bist dabei diese Katze in jenem Werbespot.
Obwohl das Phase-1-Du ein eigentlich äusserst friedvolles und harmoniebedürftiges Du ist, ist auch dieses nicht ohne Fehl und Tadel. Gar einer Todsünde muss es sich schuldig bekennen.
Oder um das Visuelle auszutexten: Phase-1-Du ist ein gieriger Sausiech. Und das kriegt das Phase-2-Du zu spüren. Denn plötzlich werden aus den oben zitierten ein, zwei Schwippschen ein einziger, ernstzunehmender Gross-Schwipps. Deshalb ist das Phase-2-Du eine vermeintliche Antithese zu seinem Vorgänger.
Ein Teil dieses verbalen Drills sickert vermeintlich in dein Bewusstsein ein und äussert sich traditionell in folgenden Aussagen.
Zugegeben, es gibt Momente, in denen ist das Phase-2-Du stark. Überzeugend. Autoritär. Da kommt es tatsächlich vor, dass dem Betrinkungsprozess ein Riegel vorgeschoben wird.
Falls dies regelmässig der Fall ist: Chapeau, Kudos, Lorbeerkranz.
Anderenfalls ...
... wird's jetzt erst richtig spannend.
Wer das Phase-2-Ich überwindet, der wähnt sich vorerst in einem Gefilde, dessen König er oder sie selbst zu sein scheint. Das Selbstvertrauen paart sich zärtlich mit dem Schalk und gebärt jenes Charisma, das dich tatsächlich als Herrscher*in legitimiert.
Macht und Erinnerung können schlecht koexistieren. Und so ermächtigt dich deine königliche Erhabenheit dazu, andere, noch in Phase 2 hängenbleibende Subjekte zu tadeln.
Dein Charisma tut so, als sei es in Stein gemeisselt, versiegelt und imprägniert. Doch auch dieses hat eine Achillesferse, ein Kryptonit. Wie es sich für mythische Abhandlungen (wie die Phasen des Betrunkenseins) gehört, kommt dies in bedeutungsschwangerer Natur daher; es ist die Selbstreflexion. Und zwar im wörtlichen Sinne.
Oder das Geschwurbel ins Konkrete übersetzt ...
Natürlich behältst du dieses schaurige Erlebnis für dich. Niemand soll an deiner überlegenen Lockerheit zweifeln, die Schwäche wittern. Ein letzter Blick, ein tiefer Atemzug – Licht, Kamera, Showtime, baby!
Nach neuerlichem gesellschaftlichem Brillieren deinerseits tut sich nach dem sagenumwobenen «Gnadenschluck» ein mysteriöses Portal zu einer tieferen Ebene auf.
Das Phase-5-Du ist – die Wortwahl sei mir verziehen – eine miese, hinterfotzige Qualle.
Es ist eine chaotische, durchtriebene Phase. Eine Phase, in der es verlockender erscheint, stundenlang um das selbe Thema zu kreisen, anstatt diskursiven Fortschritt zu goutieren. Eine Phase, in der die Tischplatte eine logisch erscheinende Metamorphose zur Tanzfläche vollzieht.
Eine Phase, in der regelmässig Bands gegründet, Bars eröffnet und Bunde geschlossen werden – verbal, mit Ablaufdatum im Stundenbereich. Idealerweise zumindest.
Es klingt sich aus, das Phase-5-Du derart penetrant, dass alle vorherigen Dus wie ein schaler Witz längst vergangener Zeiten erscheinen, die physische Hülle auf einem wackligen Fundament fussend.
Verabschiedungsmanöver werden initiiert; manche herzlicher, andere französischer. Tröpfchenweise schwinden die Menschentrauben um dich herum. Du kannst zwar nichts dafür (wie beim Klimawandel), kannst es aber alleine aufhalten (anders als beim Klimawandel). Denkt das gesellschaftsbedürftige Phase-6-Du zumindest.
Und spult die ganze Verabschiedungs-Vermeidungs-Palette ab.
Am Ende stehst du alleine da. Und merkst, dass der Rausch aus einem anfänglich herzigen, werbetauglichen Büsi einen Darth Vader in spe gemacht hat.