Es ist schwierig, einem Nichteingeweihten das Cooper's Hill Cheese Rolling zu erklären. Als ich dies mal bei einer kalifornischen Dame versuchte, wählte ich die einfache Lösung und schickte eines der YouTube-Videos vom Event.
Die Antwort kam postwendend:
In der Tat, mutigere Menschen als die, die sich diesem sausteilen Hang im malerischen Gloucestershire hinunterstürzen, gibt es kaum. Ich jedenfalls gehöre entschieden nicht dazu (nein, ich bin nicht den Hang runter). Aber ich wollte seit eh und je die Sause live miterleben. Am letzten Montag war's schliesslich so weit.
Aber erst mal von vorne:
Am Cooper’s Hill Cheese Rolling and Wake bei Brockworth in der Grafschaft Gloucestershire geht es darum, einem Laib Double-Gloucester-Käse hinterher zu rennen, der einen Hügel herunterrollt. Angeblich geht die Tradition auf die Römerzeit zurück. Es soll dabei um Weiderechte gegangen sein. Als gesichert gilt, dass sie seit 200 Jahren durchgeführt wird. Die Rennen finden in mehreren Runden statt. Jeweils der schnellste Mann und die schnellste Frau gelten als Sieger.
2010 verbot der neue Polizeichef der Grafschaft die Veranstaltung aufgrund Sicherheitsbedenken. Und er wurde regelrecht zusammengestaucht, so beliebt ist die Tradition bei Lokalbevölkerung und Besuchern zugleich. Auch der absurde Ansatz, den Käsehersteller haftbar zu machen für eventuelle Verletzungen der Teilnehmer, wurde abgeschmettert.
Stattdessen hat man eine pragmatische Lösung gefunden: Der Event findet statt – aber inoffiziell. Will heissen: Es ist eine Megasause, die etliche Besucher aus aller Welt anzieht, aber ein definierter Veranstalter existiert schlicht nicht. Genaue Angaben darüber, wo und wann was abgeht, findet man im Web nur schwierig. Die Seite, die am ehesten als offizielle Webseite gelten könnte, informiert lediglich, die ersten Läufe würden so um 12 Uhr beginnen, weshalb man sich ordentlich früh einfinden soll. Ausserdem steht ein Disclaimer: Mitmachen auf eigene Gefahr.
Als ich und meine Begleitung um Halb 11 Uhr im unglaublich putzigen Brockworth eintreffen, ist bereits ein ziemlicher Pulk Menschen zu Fuss zum rund zwei Kilometer entfernten Cooper's Hill unterwegs. Sofort merkt man, dass es sich hierbei um eine dieser «only in England»-Veranstaltungen handelt. Obwohl grosse Menschenmassen unterwegs sind, kommt man gut aneinander vorbei. Die Polizei hat die Strassen um den Hügel herum abgesperrt (nööö deswegen ist die Sache längst kein «offizieller» Event) und informiert jeden Fahrer freundlich, wo man bequem den Göppel parkieren kann. Setzt man dann den Weg zu Fuss fort, folgt man einfach der Menschenmenge.
Es geht einen flauschigen Spazierweg hinauf, mitten durch die wunderschöne Landschaft Gloucestershires, über Felder und Zäune, mitunter ordentlich steil. Alle Altersgruppen sind vertreten, Locals und Besucher aus allen Herren Ländern. Und Hunde. Hunde allüberall. Die Stimmung ist super.
Alsbald hört man aus der Ferne Jubelrufe, die besagen, dass die ersten Rennen im Gange sind. Am Cooper's Hill angekommen, schlängelt man sich auf die eine oder andere Seite hinauf, nimmt seinen (Steh-) Platz in der Menge ein und stellt als Erstes fest: F me sideways ist das STEIL!
Und – ach guck! – da wird der Erste auch schon auf der Bahre weggetragen. (Zwei weitere Tragbahren-Episoden werden noch folgen.)
Wir waren rund zwei Stunden vor Ort und konnten uns so ungefähr die Regeln zusammenreimen – oder zumindest der Ablauf: Eine Gruppe Wettkämpfer versammelt sich am Fuss des Hügels und muss zunächst den Hügel hinaufrennen (hier versagen bereits die ersten, denn, wie gesagt, es ist so was von steil). Dieser Teil des Wettkampfs findet übrigens auch für Kinder statt (den Hügel hinunterrennen freilich dürfen die Balge dann doch nicht).
Einmal oben angekommen, beginnt das eigentliche Cheese Rolling: Das Publikum ruft im Chor «Cheese! Cheese! CHEESE! CHEESE!» – und dann kommt er schon hinuntergerollt, der Double Gloucester, und zwar mit einem Affenzahn, ... dicht gefolgt von den ersten Käse-Jägern. Die Führenden rollen, purzeln, fliegen regelrecht den Hang hinunter, begleitet von einem Aufschrei der Zuschauer.
Guck' – ich hatte das Handy dabei 😂
Eingefangen werden sie am Fuss des Hügels von den strammen Männern des örtlichen Rugby-Teams, die übrigens ganze Arbeit leisten. Probier' du mal, einen Erwachsenen aufzufangen, der kopfüber mit Fallgeschwindigkeit auf dich zu fliegt! Ohnehin ist die Idee, Rugbyspieler als Fänger einzusetzen, ein Geniestreich sondergleichen, denn es gibt kaum eine Disziplin, die dafür besser geeignet wäre. Ordentlich lustig wird es zuweilen, wenn sich das Team in einem Sauhaufen auf das Schlusslicht eines Rennens stürzt oder bei den Frauen-Läufen die eine oder andere Dame durchaus «romantisch» auffängt.
Um das ein für alle Mal klarzustellen: Das Cheese Rolling ist eine uriges Spektakel, das in seiner Kombination von Komik und Gefahr gar mittelalterlich wirkt. Furchtbar lustig, wie die Leute da den Berg hinunterpurzeln; furchtbar, wie sich einzelne verletzen. Als Zuschauer pendelt man stets irgendwo zwischen einem Lachanfall und Todesangst.
Und es ist grossartig. Es ist grossartig, wie die Menschen Spass höher als Vernunft gewichten und dies zu einem Community-Event erster Güte erheben. Nirgends wirst du ein wohlwollenderes Publikum erleben als am Rand des Cooper's Hill in Gloucestershire. Nirgends wirst du mehr Spass haben, als wenn du nachher im Pub in Brockworth mit einem der Sieger ein paar Biere hebst. Beschlossene Sache: Ich geh' wieder hin.
Ach ja: Den Käselaib eingefangen – was ja eigentlich Ziel des Rennens wäre – hat noch niemand. Das geht sowieso nicht: Das Ding ist bis zu 110 km/h schnell, wenn es unten am Berg ankommt.
Ich finds eine geile Sache. Mitmachen müsste ich wohl auch nicht unbedingt…