Das Gespräch mit Mike Müller und Viktor Giacobbo findet in Müllers altem Revier statt. In Olten, wo der Schauspieler und Satiriker aufgewachsen ist. Das Gespräch findet im Kulturlokal «Coq d’Or» statt. Bevor das Interview beginnt, inspizieren Giacobbo/Müller die etwas heruntergekommene, mit Kajütenbetten ausgerüstete Künstlergarderobe. Er wolle den letzten Zug hier lieber nicht verpassen, sagt Giacobbo. Während sich die Fotografin vorbereitet, zanken die zwei wie ein altes Ehepaar. Er müsse sich wieder mal die Haare schneiden, frotzelt Viktor Giacobbo. Mike Müller raunzt zurück: «Jaja, ich habe ja nicht mal Zeit, einen Termin zu vereinbaren.»
Wie viel haben Harry Hasler und
Donald Trump gemeinsam?
Viktor Giacobbo: Hasler ist Trump,
einfach mit weniger Erfolg im Business.
Geistig könnte Donald Trump
tatsächlich aus Schwamendingen
kommen. Aber stopp, das darf ich
so nicht sagen, sonst kriege ich wieder
Post, es sei gar nicht so schlimm
da.
Mike Müller: Stimmt ja auch, in
Schwamendingen entstehen viele architektonisch
gute Bauten.
Giacobbo: (fröstelt) Es ist etwas
kühl hier drin.
Müller: Das ist jetzt halt eben Olten,
Viktor.
Giacobbo: Stimmt, es ist dieselbe
Kälte, die ich von dir jeweils spüre.
Zurück zu Trump. Gölä hatte ja
auch gerade seinen Trump-Moment,
als er in einem Interview
gegen Homosexuelle, Linke und
Arbeitslose wetterte.
Giacobbo: Gölä war wohl immer so.
Jetzt hat er sich einfach mal deutlich
dazu geäussert, was er von der «linken»
Schweiz hält.
Müller: Ja, ja, aber die grossen Konzerte
spielt er dann trotzdem in Zürich und nicht im Chalet im Berner
Oberland. Ich glaube, es gibt schon
eine Trumpisierung in der Schweiz,
aber ich würde die nicht auf Gölä beziehen.
Was er sagte, war einfach ein
inkonsistentes Spiel mit alten Mythen.
Mist, Gölä ist wieder leer ausgegangen. #NobelPrize
— Viktor Giacobbo (@viktorgiacobbo) 13. Oktober 2016
Nach 8 Jahren Giacobbo/Müller …
Müller: Neun! Wir haben immer gesagt,
es wären acht Jahre gewesen,
aber dann habe ich mal nachgerechnet
und bin zum Schluss gekommen:
neun!
Giacobbo: Jetzt habe ich die Frage
vergessen.
Ich hab sie gar noch nicht gestellt:
Hat sich das Land in den
neun Jahren verändert?
Giacobbo: Das ist eine etwas gar
grosse Frage.
Müller: Wir fühlen uns nicht so dazu
berufen, eine Grossanalyse über
diese Zeit zu machen, weil die Erinnerung
meistens täuscht.
Giacobbo: Ich mach ja schon seit 25
Jahren Fernsehen, und natürlich hat
sich technisch sehr viel verändert,
die Beiträge wurden kürzer und
schneller …
Ich meine etwas anderes: Von
aussen betrachtet hat sich im
Kulturkuchen schon markant viel
verändert: Da existieren plötzlich
dieselben ideologischen Gräben,
wie sie auch in der Politik zu finden
sind. Das ist doch neu.
Müller: Da bin ich nicht so sicher.
Chris von Rohr und Krokus hatten
schon immer ein Problem mit allem,
was ein wenig links ist. Schon vor 30
Jahren. Die lecken immer noch ihre
Wunden, weil die Poch Solothurn
(Anm. d. Red.: eine linke Partei) mal
schlecht über sie sprach. Eigentlich
wären sie nun in einem Alter, in dem
sie das vergessen könnten. Man ging
auch früher schon aufeinander los.
Giacobbo: Als wir in den 80er-Jahren
mit Stuzzicadenti im «Rössli»
Stäfa Premiere hatten, war das für
die Zürcher Theaterspektakel-Organisatoren
ein No-Go. Die schnödeten
über diese Winterthurer, die im
«Rössli» spielen, und wir fanden sie
arrogante Zürcher. Man schnödete
damals noch nicht so politisch.
Die vom Satiriker Andreas Thiel ausgelösten Diskussionen über Subventionen sind rein politisch. Giacobbo: Ich finde es ja grundsätzlich gut, dass es einen Thiel gibt, diese Auseinandersetzungen sind belebend. Ich mag ihn persönlich auch sehr gut. Aber wenn es angeblich nur einen rechten Satiriker gibt in der Schweiz, wieso schafft er es dann nicht, ein Theater mit rechten Zuschauern zu füllen?
Aber der Subventionshass, die
Beschimpfung «Staatskünstler».
Ist das nicht eine neue Dimension?
Giacobbo: Das sind Thiels Worte.
Ich habe ihm ja auch schon gesagt,
dass er ironischerweise der einzige
bekannte Schweizer Kabarettist ist,
der beim einzigen nicht subventionierten
Theater nicht Aktionär ist.
Dem Casinotheater Winterthur
(Anm. d. Red: Viktor Giacobbo ist
Verwaltungsratspräsident und Mitgründer
des Theaters). Das hört er
nicht so gerne. Auch nicht, dass er in
Theatern bekannt wurde, die alle
subventioniert waren. Mit diesem
Widerspruch muss er selber klarkommen.
Müller: Der «Staatskünstler» ist
schon ein neues Konstrukt. Es ist
auch etwas auf die Schnelle entstanden
und deshalb nicht wirklich intelligent.
Was heisst das? Künstler, die
ausschliesslich im Sinne des Staates
Kunst machen? Subventionen werden
von Gremien wie einem Kuratorium
ausgeschüttet, in dem gar keine
Politiker sitzen. Da wird einfach
etwas viel vermischt, für ein knackiges
Schlagwort. Es gibt in der Kultur
aber tatsächlich ein Problem: Das
sind die Besitzständer. Jene, die den
Platz nicht frei machen und keinen
Nachwuchs fördern.
Das müsste die Rolle des Fernsehens
sein. Ein wenig nimmt das
SRF das auch wahr, indem es …
Giacobbo: (unterbricht) Nein, eigentlich
nimmt es diese Rolle nicht
wahr. Dass ein Dominic Deville nun eine
eigene Sendung hat, ist vor allem darauf
zurückzuführen, dass wir den Leuten
beim SRF immer wieder gesagt haben:
Wagt das doch!
Wie hat sich eigentlich euer Verhältnis
zum SRF entwickelt?
Müller: Bei aller Kritik daran, was mit
dem Sendeplatz am Sonntag passiert: Wir
haben seit Beginn unserer Sendung null
Einschränkungen. Natürlich hat Viktor
auch immer klargemacht, dass er sofort
das nächste Tram nimmt, wenn einer
reinredet. Trotzdem: Diese Freiheit ist
ein gutes Asset für einen Monopolsender.
Und: Das SRF ist nicht politisiert wie in
Deutschland, wo Politiker in den Aufsichtsgremien
sitzen. Ich hoffe, dass das
in der Schweiz so bleibt und nicht plötzlich
Parlamentarier die Chance haben,
ins Programm einzugreifen.
Für Politiker bedeutete ein Platz in
eurer Sendung maximale Aufmerksamkeit.
Ist das gut für eine Demokratie,
wenn eine Unterhaltungssendung
politisch so wichtig wird?
Giacobbo: Ich glaube nicht, dass satirische
Sendungen den Journalismus ersetzen,
auch in den USA nicht, wo die Behauptung
ja herkommt. Ich glaube vielmehr,
dass im Journalismus andere Verschiebungen
stattfinden, die viel wesentlicher
sind.
Inwiefern?
Giacobbo: Es wird überall gespart im
Journalismus. Das merkt man. Wir sind
sowohl Objekt wie Subjekt in den Medien.
Und es ist manchmal erhellend, mit
welcher Sorglosigkeit gewisse Dinge geschrieben
werden. Wir spüren das ganz
konkret: Da kommen dann Volontäre zu
uns, die kaum wissen, mit wem sie reden
und was sie fragen sollen.
Müller: Mittlerweile ist die Situation so,
dass die Branche selber zugibt, dass sie
ein riesiges Problem hat. Dann ist die Krise
manifest. Darum sind neue Ideen wie
das «Projekt R» des ehemaligen «Tages-Anzeiger»-Autors
Constantin Seibt auch
so begrüssenswert.
Giacobbo: Oder watson.
Medienschelte: «Heinz-de-Specht»-Song gegen «Blick» sorgt für Furore im Web - https://t.co/zVpqPt2vLr via @watson_news
— Viktor Giacobbo (@viktorgiacobbo) 27. August 2016
Das wird unser Verleger gerne hören.
Ist es eigentlich korrekt, eure Beziehung
zur Presse als Hass-Liebe zu bezeichnen?
Giacobbo: Jeder, der Kunst macht, hat
eine Hass-Liebe zum Journalismus.
Müller: Hass-Liebe finde ich etwas stark.
Aber die Kritik, dass Giacobbo/Müller
netter ist als deutsche Satire-Sendungen
…
Giacobbo: Erstaunlicherweise empfinden
deutsche und österreichische
Künstler das nicht so. Was wir über
Kirchen sagen, ist in den beiden Ländern
ein No-Go. Fragen Sie einen Josef
Hader oder einen Gerhard Polt.
Die kommen jetzt in der letzten Staffel
zu uns, weil sie die Sendung mögen. Die «Heute Show» ist super gemacht,
aber da ist alles geschrieben,
selbst die Dialoge. Wir machen das
nicht, auch wenn wir es uns manchmal
wünschten. Aber Scheisse sein
gehört manchmal dazu.
Müller: In dieser Kritik kommt auch
ein wenig der Selbsthass zum Tragen,
der in der Schweiz so verbreitet
ist. Im Fussball kommt das auch immer.
Bis dann mal eine Sportmoderatorenlegende
wie Marcel Reif sagen
muss: «Bitte? Jetzt seid ihr in
den letzten 16 Jahren fast an jedem
grossen Turnier dabei gewesen. Ein
so kleines Kackland. Und ihr habt
noch einen dummen Latz?» Ich will
jetzt das nicht auf uns übertragen,
aber auch im Humor-Bereich gibt es
immer so eine Wir-könnens-einfach-nicht-Attitüde.
Es ist ja auch nicht alles Gold,
was glänzt, in unserem Nachbarland.
Die neuste humoristische
Intervention aus Deutschland
war ein schwarz angemalter «Verstehen
Sie Spass»-Moderator, der
Röbi Koller in der Sendung «Happy
Day» veräppelte.
Giacobbo: Ich musste kurz lachen,
als ich es sah.
Müller: Aber es geht natürlich nicht.
Giacobbo: Der Moment war lustig.
Ist es denn falsch verstandene
Political Correctness, dass solche
Scherze nicht mehr toleriert werden?
Müller: Political Correctness ist immer
das Hammerargument von
rechts. Damit hat es aber nichts zu
tun. Ganz ehrlich: Sexismus und
Rassismus sind eigentlich ziemlich
einfach zu identifizieren.
Giacobbo: Nimm die Aufschrei-Debatte: Wenn jemand einer Nationalrätin sagt, sie sei heute schön angezogen, dann ist das noch nicht sexistisch.
Müller: Nein, aber Frauen anfassen
ist sexistisch. Und das hat nichts mit
Political Correctness zu tun. Und
sorry: Blackfacing, Gesichter
schwarz anmalen, ist tief verwurzelt
in der Geschichte des Rassismus.
Was ist denn Ihre Haltung zur
Aufschrei-Debatte?
Müller: Es ist gut, dass sexuelle Belästigung
endlich aufs Tapet kommt.
Wir haben ein Sexismus-Problem,
das zu lange unter den Teppich gekehrt
wurde. Manche behaupten ja,
wegen der Political Correctness müsse man nun alles dreimal überlegen.
Nein, muss man nicht. Nochmals: Es
ist gar nicht so kompliziert, die
Grenzen zu sehen. Man kann einer
Frau ein Kompliment machen, ohne
dass es sexistisch ist. Jedenfalls nehme
ich das für mich in Anspruch.
Giacobbo: O. k., aber gerade an den
Universitäten in den USA gibt es
auch eine übertriebene politische
Korrektheit.
Müller: Dort gibt es einfach den
Trend zur Verrechtlichung. Die werden
ja nicht mehr lange Shakespeare
lesen können, weil es zu derb ist.
Ein österreichischer Profiler hat ja
mal mit einem Dramaturgen die
Königsdramen von Shakespeare analysiert.
Der Kriminalpsychologe sagt:
Aus seiner Sicht ist der Autor schwer
krank. Wenn einem solche Dinge in
den Sinn kommen, in einer solchen
Masslosigkeit, müsste man ihn eigentlich
einsperren. Das mein ich
mit Verrechtlichung.
Wir sind in Olten. Sie, Herr Müller,
kommen von hier. Viktor Giacobbo, Sie kommen aus Winterthur.
Verbindet das eigentlich,
wenn man aus Nati-B-Städten
kommt?
Giacobbo: Nein. Das ist purer Zufall.
Ich bin zufälligerweise immer
noch in Winterthur.
Müller: Ich wohne ja in Zürich. Und
so arrogant ist die Stadt also auch
nicht. Die Provinz will einfach öfters
mal hören, dass sie gar nicht so
schlimm ist. Was ja auch stimmt.
Wie fühlt sich das eigentlich an,
jetzt, wo es mit Giacobbo/Müller
zu Ende geht?
Müller: Viktor heult vor der Sendung.
Giacobbo: Es fühlt sich nicht speziell
an. Wir gehen einfach immer
noch arbeiten. Und wir freuen uns
auf unsere neuen Projekte.
Welche denn?
Giacobbo: Wir haben zusammen
Bühnenpläne. Eine Bühnenshow.
Mehr können wir noch nicht sagen.
Müller: Ich mache auch noch ein
Solo-Programm.
Giacobbo: Ich vielleicht auch.
Müller: Er macht mir alles nach.
Hast du vielleicht auch noch Lust auf
eine Krimiserie? Lustigerweise sagen
viele Leute: Jetzt hast du endlich
wieder freie Sonntagabende. Das ist
für mich eher eine Schreckensvorstellung.
Schon als Kind nervten
mich diese langweiligen Sonntage,
an denen die Eltern Mittagsschlaf
machten und man bei gewissen Familien
nicht klingeln durfte. Furchtbar.
Wer bekommt die Espresso-Maschine?
Müller: Vermutlich der Requisiteur.
Er hat mal gefragt. Sie gehört zwar
dem SRF, aber die ist längst amortisiert.
War der Espresso eigentlich gut?
Giacobbo: Ich weiss es nicht. Mike
hat immer beide getrunken.