Die Schweiz siegt in Gibraltar 6:1. Die Tore erzielen Cedric Itten (10./84.), Ruben Vargas (50.), Christian Fassnacht (57.), Loris Benito (75.) und Granit Xhaka (86.). Der Ehrentreffer für Gibraltar gelingt Reece Styche (74.). Mehr braucht es über das letzte Länderspiel des Jahres gegen einen Kontrahenten, der in der Weltrangliste hinter Aruba und vor Somalia rangiert, nicht zu sagen. Das viel Wichtigere nämlich ist: Die Schweiz ist abermals EM-Teilnehmer. Und weil die Dänen in Irland 1:1 spielen, ist sie das gar als Gruppensieger – und kommt in der Auslosung am 30. November höchstwahrscheinlich in Lostopf 2.
Das Minimalziel ist erreicht, zum vierten Mal in Folge überhaupt. Das mag eine Premiere sein, aber kaum erstaunen, wenn fast die Hälfte der europäischen Verbände im Frühsommer 2020 ebenfalls durch die zwölf gastgebenden Städte tingelt. Auch deshalb wird diese Teilnahme vom Publikum als selbstverständlich betrachtet, und doch sei die Frage erlaubt: Darf es das überhaupt?
Es gehört zum oft bemühten Selbstanspruch dieser Generation von Schweizer Spielern, sich in unmittelbarer Nähe der Eliteklasse der europäischen Nationalmannschaften zu bewegen. Besser als jeder Gruppengegner waren die Schweizer gewiss in jedem Spiel, aber selten überzeugend, weil die Resultate nicht mit den Leistungen auf dem Platz korrelierten. Und nach Nachlässigkeiten oft späte Gegentore fielen. Weshalb Yann Sommer diesen Parcours einen «Knorz» nannte, und Stephan Lichtsteiner von einer letztlich «komischen EM-Qualifikation» sprach.
2019 ist das Jahr, in dem sich die Schweizer das Leben selbst unnötig schwermachten. Mit zahlreichen Geschichten am Rande, die auf das Sportliche abfärbten. Xherdan Shaqiri spielte keine Sekunde in dieser EM-Qualifikation und war doch stets Thema. Trainer Vladimir Petkovic ist dauerhaft im Gegenwind, nicht aus sportlichen Gründen. Seine Zukunft ist weiter ungeklärt. Schliesslich kamen Verletzungen und individuelle Probleme in den Klubs dazu.
Und dann ist da noch Captain Lichtsteiner. Beim deutschen Nachbarn zog Trainer Joachim Löw einen klaren Schnitt, beendete Nationalmannschaftskarrieren renommierter Spieler auf brüske und unwiderrufliche Weise. Petkovic liess Lichtsteiners Schicksal lange offen. Er schlug seinem Captain teils mit widersprüchlichen Argumenten zwar die Vordertüre zu, liess aber die Hintertüre offen. Der 35-jährige Lichtsteiner ging durch diese hindurch, fand zurück ins Team und gab ihm wieder mehr Mentalität.
In der Summe umweht dieses Schweizer Team ein Gefühl der Stagnation. Es schweben viele unbeantwortete Fragen. Zum Beispiel auch: Welche Veränderungen sieht Petkovics neuer Chef, der Nationalmannschaftsdirektor Pierluigi Tami? Und schliesslich: Wie und mit wem wollen die Schweizer besser kommunizieren und eine Wiederannäherung an die entfremdete Fanbasis schaffen?
Es gibt also viel Aufarbeitungs- und Reaktionspotenzial um das Schweizer Nationalteam. Diesen Schluss gibt es sowohl aus der Innensicht der Spieler und als auch aus dem Blickwinkel des Anhangs. Dabei kann diese Mannschaft doch so begeistern und Freude bereiten. Dabei ist die Hoffnung doch da, irgendwann diesen Viertelfinal an einem grossen Turnier zu erreichen. Und immerhin hat es im November mit Itten und Vargas noch einmal zwei Lichtblicke gegeben. Ihre Sterne sind am Schweizer Fussballhimmel aufgegangen. Doch wird sich weisen, wie hell diese tatsächlich für Petkovic im nächsten Sommer leuchten.
Bilanz ziehen und vorausschauen auf die EM will Petkovic erst in ein paar Wochen und damit wieder einmal später. Dabei gelobten der Verband und auch Petkovic gerade diesbezüglich Besserung nach der eingehenden Analyse der WM. Es scheint, als wollten sie aus der Vergangenheit nichts lernen. Petkovic wird am 13. Dezember reden, an einem Freitag. Wenn das bloss kein böses Omen ist.