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Wie Corsin Camichel vom Eishockeyspieler zum Mentaltrainer wurde

Wie Corsin Camichel vom Eishockeyspieler zum Mentaltrainer wurde

Der Hass im Internet nimmt auch im Eishockey zu. Darunter leiden die Spieler. Corsin Camichel hat selbst viele Schicksalsschläge in seiner Karriere erlebt. Nun hilft er den Eishockeyspielern bei Ambri und Olten.
26.01.2024, 18:36
soraya sägesser / ch media
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Ein schlechtes Spiel reicht heute bereits, damit einige wütend in die Tasten greifen und Hassnachrichten in den sozialen Medien verbreiten. Erst kürzlich betitelte jemand im Internet einen Ambri-Spieler als dumm sowie ohne Hirn, um ein Beispiel zu nennen.

Während es für die Absender Frustbewältigung ist, kreisen bei den Empfängern die Gedanken noch mehr. Eishockeyspieler erleben dies jede Woche. Jeder geht anders damit um, aber längst nicht alle können dies so gut wie einen Check an der Bande einstecken.

Während vor zehn Jahren die meisten Spieler noch mit den eigenen Problemen auskommen mussten, bieten mittlerweile viele Klubs professionelle Hilfe an. Diese Hilfe wird aber oft verschwiegen.

Der HC Ambri-Piotta kommunizierte als einer der ersten Klubs in der National League, dass er künftig auf einen Mentaltrainer setzt. Auch beim EHC Olten in der Swiss League ist dies kein Geheimnis mehr. In der Leventina und in Olten sind mentale Probleme kein Tabu mehr.

Von der Krebsdiagnose bis zum Karriereende

Die Verpflichtung schlug hohe Wellen im Tessin: Der ehemalige Eishockeyspieler Corsin Camichel kehrt zum HC Ambri-Piotta zurück. Der 42-jährige Bündner schnürt in der Leventina aber nicht mehr die Schlittschuhe und sorgt auch nicht für Spielentscheide an der Bande, sondern unterstützt die Spieler in einem 30-Prozent-Pensum bei mentalen Problemen. Wenn jemand weiss, wie sich ein hartes Schicksal anfühlt, dann ist es er.

Camichel hatte im Jahr 2001 einen erfolgreichen Start als Eishockeyprofi bei Ambri, ehe er in einen schweren Autounfall verwickelt war. Zwar hatte er Glück, dennoch war es der Start eines schicksalhaften Lebens. Im gleichen Jahr feierte der Bündner sein Debüt in der Nationalmannschaft. Drei Jahre später der nächste Schicksalsschlag: Sein Vater verstarb kurze Zeit nach der Saison an Krebs.

Der Zuger Corsin Camichel ist nach seiner Krankheit wieder zurueck auf dem Eis und wird von den Fans willkommen geheissen, beim Eishockeyspiel der NLA, National League A, Saison 2011/12 zwischen dem E ...
Die Fans in Zug feiern Camichels Rückkehr aufs Eis.Bild: KEYSTONE

An seinem 30. Geburtstag erhielt Corsin Camichel selbst ebenfalls die Schocknachricht: Krebs. Seine Welt brach zusammen. Doch er ist keiner, der so schnell aufgibt. Niemals. Er schloss die Chemotherapie erfolgreich ab und kehrte acht Monate später mit dem EV Zug zurück auf das Eis. Doch die Krankheit hinterliess ihre Spuren. Er beendete zwei Jahre später seine Karriere.

Als sein Bruder plötzlich tödlich verunfallte

Nach einer kurzen Pause wurde er Trainer beim EHC Seewen. Danach schlug das Schicksal wieder zu. Im Jahr 2015 starb sein Bruder Duri bei einem Autounfall in Costa Rica. «Es war taff und ich hatte einige Probleme danach», sagt Camichel rückblickend. Doch er konnte seine Vergangenheit selbst bewältigen, obwohl ihm einige Personen halfen.

Heute ist es Corsin Camichel, der den Spielern beiseitesteht. «Ich weiss, wie hart es als Profi ist», sagt der Bündner. Eine Verletzung oder fehlende Tore sehen alle, aber niemand das Innere eines Spielers.

Als er noch durch die Eishallen der Schweiz kurvte habe man mentale Probleme entweder ausgeblendet oder zu wenig gewichtet, sagt er und fügt hinzu: «Früher wollte man stark sein, denn Eishockey war der männlichste sowie ein ‹Zeig-keine-Schwäche-Sport›.» Heute sei vieles professioneller, die Menschen sind offener gegenüber mentalen Problemen und es gibt mehr Anlaufstellen.

Schweigeminute fuer den verstorbenen Duri Camichel vor dem Eishockey Meisterschaftsspiel der National League A zwischen dem EV Zug und dem HC Davos am Samstag, 12. September 2015, in der Bossard Arena ...
Ein Banner der EVZ-Fans nach dem Tod des ehemaligen Captains Duri Camichel.Bild: KEYSTONE

Im Gegenzug gibt es auch mehr Gründe für kreisende Gedanken. Da nennt Camichel ein Beispiel: Früher war ein schlechtes Spiel am nächsten Morgen wieder vergessen. Heute wird alles in den sozialen Medien festgehalten. «Jeder beliebige Bürger kann am Sonntagmorgen entscheiden, ob du gut oder schlecht gespielt hast», sagt Camichel. Das sorgt für viel Hass im Netz.

Mit Ambri-Urgesteinen an einer Seite

Camichel spielte einst mit dem Ambri-Sportchef Paolo Duca sowie Trainer Luca Cereda zusammen. Seit die beiden Klub-Urgesteine das Zepter bei Ambri übernahmen, wollten sie Camichel in der Leventina als Juniorentrainer. Doch der Bündner sagte immer wieder ab. Der Grund: «Gewinnen war bei mir nicht an erster Stelle, sondern der Mensch und, dass es ihm gut geht.»

Deshalb hat er sich gegen die weitere Karriere als Trainer an der Bande entschieden und bildete sich als Mentaltrainer aus. «Im Eishockey braucht es zwar Taktik, am Schluss werden die Spiele aber im Kopf entschieden», so der Bündner. Nun steht er in Ambri als Mentaltrainer unter Vertrag.

Aktuell nehmen rund zehn Spieler sein Angebot in Ambri in Anspruch. Darunter gehören eher die jungen Spieler im Team. «Die älteren Spieler haben mehr Routine und können die Höhen und Tiefen selbst lösen», sagt er. Von der Euphorie fällt man im Eishockey schnell in die Krise. «Viele kommen zu mir, wenn sie im Loch sind und denken, dass ich ihnen eine Pille gebe und dann alles wieder gut ist», sagt er. Aber dem sei nicht so.

Dass er ebenfalls in Olten seine Hilfe anbietet, hat mit Ambri zu tun. Denn Camichel spielte in seiner Zeit in der Leventina mit dem Oltner Ex-Trainer Lars Leuenberger zusammen. Dieser holte ihn schliesslich zum Swiss-League-Klub. Dort nehmen aktuell rund ein Drittel der Mannschaft die Hilfe des Mentalcoaches in Anspruch.

Camichel hilft in der Leventina und in Olten mit seinen Worten und dem offenen Ohr. Auf dem Eis sind die Hockeyspieler harte Kerle und haben doch einen weichen Kern.

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