Als Dan Campbell die Öffentlichkeit zum ersten Mal als Cheftrainer der Detroit Lions adressierte, machte er eine Ansage an den Rest der NFL. «Wir werden euch die Zähne eintreten und wenn ihr uns zu Boden bringt, werden wir lächeln und wieder aufstehen. Und beim Aufstehen werden wir euch eine Kniescheibe abbeissen. Und wenn wir wieder hinfallen, nehmen wir auf dem Weg nach oben auch noch die andere Kniescheibe», sagte er im Januar 2021.
Für die Rede wurde er von vielen belächelt. Doch in Detroit traf er mit seinen martialischen Aussagen einen Nerv. Die Fans in der Arbeiterstadt schlossen den auf einer Farm aufgewachsenen Campbell schnell ins Herz. Auch wegen seiner riskanten und teils verrückten Spielzüge wie angetäuschten Punts oder Trick-Plays ist er mittlerweile einer der beliebtesten Coaches der NFL. Und die Mentalität des früheren Tight Ends sprang auf das Team über. Von diesem Tag an waren die Lions wie verwandelt.
Vor Campbells Amtsantritt hatte Detroit die Playoffs vier Saisons in Folge verpasst, der letzte Erfolg in der entscheidenden Saisonphase lag damals schon fast 30 Jahre in der Vergangenheit. Im dritten Jahr unter Campbell hat Detroit diese nun erstmals wieder erreicht – dank 12 Siegen in 17 Spielen und des ersten Division-Titels seit 1993 – und dort gar ein Spiel gewonnen.
Damit stehen die Lions im Viertelfinal der American-Football-Liga, wo sie gegen Tampa Bay heute Sonntag (21 Uhr) erneut als Favorit gelten. Aufgrund des K.-o.-Modus ist nun alles drin, noch drei Spiele müssten die Lions bis zum Titel gewinnen. Einfach wird das gerade gegen Konkurrenten wie San Francisco oder Baltimore nicht.
Sicher ist aber auch, dass ein Team unter Dan Campbell mit dem Messer zwischen den Zähnen um jedes Yard kämpfen wird. So sagte O-Liner Penei Sewell in bester Campbell-Manier: «Als ich hierherkam, war es das Ziel, die Playoffs zu erreichen, einen Fuss in die Tür bekommen. Aber jetzt ist es an der Zeit, die fucking Tür einzutreten.»
Eine andere wichtige Figur auf Detroits Weg zu einem Titelkandidaten ist Jared Goff. Der Quarterback wurde bei den Los Angeles Rams, seiner ersten Karrierestation, als für zu schwach befunden und nach Detroit geschickt. Mit Trainer Sean McVay hatte Goff kein gutes Verhältnis mehr, am Ende sprachen sie kaum mehr miteinander, wie der ehemalige Rams-Star Andrew Whitworth später einmal sagte. McVay traute Goff, der die Rams in der Saison 2018/19 in den Superbowl führte, den grossen Wurf nicht mehr zu.
Deshalb wurde Goff mit zwei Erstrundenpicks zu den Lions getradet, im Gegenzug kam Matt Stafford nach LA. Es zahlte sich aus: Stafford und die Rams gewannen in der ersten gemeinsamen Saison direkt den Superbowl. Doch der Trade erwies sich auch für die Gegenseite als ein Gewinn.
Zwar dachten viele, dass Goff nur eine Interimslösung auf der Position des Spielmachers sein würde, doch war für Lions-GM Brad Holmes von Beginn an klar: «Wir wollten Jared Goff. Ich habe ihn nie wirklich als Interims-Quarterback betrachtet.» Das Vertrauen, das der 29-Jährige auch bei Trainer Campbell und seinen Mitspielern geniesst, tut Goff sichtlich gut. «Jared ist die perfekte Person und der perfekte Quarterback für uns», sagt beispielsweise Runningback David Montgomery.
Detroit @Lions GM Brad Holmes celebrating in the elevator after the team’s first playoff win since January 5, 1992. pic.twitter.com/LlKa5GTMBP
— Mark Pearson (@MarkPearsonTV) January 15, 2024
Holmes bewies nicht nur auf der Position des Quarterbacks ein gutes Händchen. Mit Spielern wie Receiver Amon-Ra St. Brown, Runningback Jahmyr Gibbs, Tight End Sam LaPorta oder Defensive End Aidan Hutchinson landete er in seinen ersten drei Drafts als Lions-Verantwortlicher gleich mehrere Volltreffer. Dabei achten Holmes und Co. nicht nur auf Athletik und Talent, die Spieler müssen die passende Mentalität mitbringen, um für Coach Campbell und die Lions zu spielen.
Dies erfüllt mittlerweile auch Goff, für den die Zeit in Detroit noch schlecht begann. Er haderte mit dem Trade und es mangelte ihm wohl auch an Selbstvertrauen, nachdem er in Los Angeles abgesägt wurde. Die ersten acht Spiele wurden alle verloren, danach kritisierte Campbell seinen neuen Schützling öffentlich. Der Coach nahm aber auch Änderungen an der Offensive vor. So übernahm er das Ansagen der Spielzüge gemeinsam mit Ben Johnson, der ab 2022 dann zum Offensiv-Koordinator wurde. Johnson gilt als einer der heissesten Kandidaten für die offenen Stellen als Cheftrainer in der NFL.
Unter ihm kann sich Goff viel stärker einbringen, anders als in Los Angeles, wo Trainer McVay ihm oftmals genau vorschrieb, was er zu tun hatte. Es ist mit ein Grund dafür, dass Goff sich in der besten Form seiner Karriere befindet. Heute sagt er: «Der Trade ist wohl dafür verantwortlich, dass ich heute der Quarterback bin, der ich bin.»
Geändert habe sich an Goff dadurch jedoch nichts, sagt sein Mitspieler Frank Ragnow: «Ob in seiner ersten Saison hier, als wir nur drei Spiele gewannen, oder jetzt, er ist immer derselbe Typ. Er ist extrem beständig und dafür respektiere ich ihn sehr.» Damit konnte Goff das gesamte Team hinter sich scharen – und nun auch die Fans erlösen.
Die lange Leidenszeit ohne Playoff-Erfolg endete am vergangenen Sonntag nach 32 Jahren – ausgerechnet gegen die Los Angeles Rams. Es war also ein doppelt spezielles Spiel für Goff. Dank des knappen 24:23-Siegs und des gleichzeitigen Ausscheidens der Dallas Cowboys kommt Detroit nun gleich zu einem weiteren Heimspiel, nachdem zuvor ziemlich genau 30 Jahre kein einziges Playoff-Spiel in der Stadt im Bundesstaat Michigan stattgefunden hatte.
Fans wie Benjamin Capp, der seit 66 Jahren Saisonkartenbesitzer ist und so einige Tiefpunkte durchleben musste, hatten nach dem Erfolg Tränen in den Augen. Es war ein emotionaler Moment für die von Armut und Arbeitslosigkeit gebeutelte Stadt. Capp wird wie der aus Detroit stammende Rapper Eminem, der eine Art Galionsfigur seiner Heimatstadt ist, wohl auch heute Abend im Stadion sein und auf einen weiteren Erfolg hoffen. Eminem heizte den Fans bereits in der letzten Woche ein.
Eminem + Lions playoff football = LOUD DETROIT 🔥 pic.twitter.com/cSHErcxNX9
— Yahoo Sports (@YahooSports) January 15, 2024
Schon jetzt ist die Saison ein Erfolg für das lange gebeutelte und belächelte Team, das wenig zu feiern hatte. Doch das reicht den Lions, die eines von nur zwei Teams sind, die nie im erstmals 1967 ausgetragenen Superbowl standen, obwohl sie von Beginn an zu der NFL gehörten, nicht. Jared Goff stellte nach dem Sieg in der 1. Runde klar: «Das ist erst der verdammte Anfang.»