Sie schreiben das Märchen der Schwedischen Eishockey-Saison: die Spieler des Rögle BK. Nach einer tumultösen Qualifikation inklusive Trainerentlassung war die Mannschaft aus der Stadt Ängleholm auf Platz 9 klassiert und musste sich erst via Vor-Playoffs überhaupt für die entscheidende Meisterschaftsphase qualifizieren. Das gelang mit zwei Siegen gegen Timra. Im Viertelfinal traf Rögle dann auf Qualisieger Färjestad – und eliminierte den Titelfavoriten Nummer 1 mit 4:0-Siegen.
Im Halbfinal machte die Überraschungsequipe dann mit den Växjö Lakers, dem Quali-Zweiten, ebenso kurzen Prozess. Auch hier die Bilanz: 4:0-Siege. Und so steht die Mannschaft, die in der laufenden Meisterschaft lange Zeit mehrheitlich eine Kummertruppe war, sensationell im Playoff-Final. Dort wird sie auf Skelleftea treffen.
Mittendrin in dieser unglaublichen Story spielt auch ein Schweizer eine Hauptrolle. Lian Bichsel, heimisch im solothurnischen Wolfwil. Und eine der aktuell grössten Nachwuchshoffnungen der Eishockey-Nation. Dass der 19-Jährige überhaupt ein Teil dieses Märchens ist, war im vergangenen Herbst, als die Saison begann, noch nicht wirklich absehbar.
Der grossgewachsene Verteidiger mit den Gardemassen (1,97 Meter gross, 106 Kilogramm schwer) weilte damals noch in den USA und versuchte, sich einen Platz im NHL-Team der Dallas Stars, die ihn 2022 in der ersten Runde gedraftet hatten, zu erkämpfen. Der grosse Sprung in die beste Liga der Welt gelang Bichsel nicht, weshalb er seine ersten Erfahrungen im nordamerikanischen Eishockey im AHL-Farmteam Texas Stars sammeln musste.
Das tat er bis Ende November erfolgreich, entschied sich dann aber – in Absprache mit dem Dallas-Management – für einen Wechsel zurück nach Europa. Bei Rögle BK versprach sich Bichsel in der höchsten schwedischen Liga eine grössere Rolle und somit bessere Entwicklungsmöglichkeiten als in Texas. Was man jetzt schon sagen kann: Der 19-Jährige hat einen Volltreffer gelandet.
Bichsel betont, dass sein Plan, unabhängig vom aktuellen Erfolg seiner Mannschaft, aufgegangen wäre. Denn nicht alle haben den geografischen Schritt weg von der NHL verstanden. Der Wolfwiler sagt: «Ich bin überglücklich mit meiner Entscheidung. Ich habe genau das erreicht, was ich erreichen wollte.» Zum Beispiel? «Das Spiel mit dem Puck ist in Schweden sehr wichtig. Der Rhythmus ist sehr hoch, man muss gerade als Verteidiger mit der Scheibe schnell Lösungen und Passlinien finden. Und dann entsprechend gute Pässe spielen.»
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— Rögle BK (@roglebk) April 12, 2024
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Dazu kamen Aspekte wie das Schlittschuhfahren und die allgemeine Mobilität auf dem Eis – was gerade bei gross gewachsenen Spielern gerne Baustellen oder Schwächen sind. «Dazu konnte ich während der Playoffs auch punkto Physis nochmal eine Schippe drauflegen. Auch diesbezüglich muss ich mich im Hinblick auf die NHL verbessern», betont Bichsel, der pro Spiel weit über 20 Minuten Eiszeit erhält und vor Selbstvertrauen strotzt. Er sagt: «Ich fühle mich in der Form meines Lebens!»
Jetzt kämpft der Solothurner, der sein Eishockey-Einmaleins beim EHC Olten erlernte, also völlig unerwartet und quasi als Bonus-Level noch um den schwedischen Meistertitel. «Es ist wirklich unbeschreiblich», muss sich auch Lian Bichsel bisweilen immer noch selber kneifen, um zu realisieren, dass er sich nicht in einem Traum befindet. Er darf mit der Mannschaft, die im Dezember, als er zum Team stiess, noch auf einem Relegationsplatz klassiert war, um den den SHL-Pokal spielen. Das Motto ist klar: «Einfach so weiterfahren wie bisher und gar nicht zu viel überlegen.»
Auch bei den Dallas Stars, bei welchen Bichsel im vergangenen Sommer einen Dreijahresvertrag unterschrieben hat (er ist aktuell an Rögle ausgeliehen), nimmt man die immensen Fortschritte des jungen Verteidigers wohlwollend zur Kenntnis. «Während der Qualifikation standen wir wöchentlich in Kontakt. Sie haben meinen Werdegang in Schweden intensiv verfolgt. Es war mir auch wichtig, dass sie immer sehen, woran ich arbeite und wo ich mich verbessere», erzählt Bichsel. Während der Playoffs hat man die Kommunikation nun eingestellt. Einzig die Meistertiteljagd soll nun im Fokus stehen.
Entsprechend ist vorderhand auch noch offen, wie es für Lian Bichsel nach der Finalserie weitergeht. Ursprünglich wäre der Plan gewesen, nach dem Saisonende in Schweden wieder nach Nordamerika zurückzukehren. Durch den unverhofften Lauf Rögles hat sich nun alles etwas verändert. «Es ist alles offen», sagt der Wolfwiler.
Klar ist aber auch: Sollten die Dallas Stars, die zum engsten Favoritenkreis auf den Stanley Cup gehören, in den NHL-Playoffs weit kommen, dann dürfte Bichsel gute Chancen haben, zum Team zu gehören. Am Anfang vielleicht noch nicht in der Stammformation. «Aber ich weiss, dass ich nicht allzu weit entfernt bin vom NHL-Level», gibt er sich diesbezüglich selbstbewusst.
Und dann gibt es ja auch noch die Schweizer Nationalmannschaft, welche ab Mitte Mai in Prag an der Eishockey-WM teilnehmen wird. Angesichts der vielen Optionen, die Bichsel derzeit noch offen stehen, hat er sich diesbezüglich noch keine Gedanken gemacht. Er sagt aber: «Wenn mich Dallas freigibt und ich von Nationalcoach Patrick Fischer aufgeboten werde, dann spiele ich sicher gerne für die Nationalmannschaft.» Er wäre zweifellos eine Verstärkung für die zuletzt notorisch erfolglosen Eisgenossen.
Manchmal ist ein Schritt zurück der beste Weg für einen Stritt vorwärts. ;-)