Unterstützung für die LGBTQ+-Community treibt die NHL und deren Anführer seit Monaten um. In der vergangenen Saison kam es zu grosser Medienaufmerksamkeit, als einzelne Spieler sich weigerten, an den sogenannten Pride-Nights mit speziellen, mit regenbogenfarbenen Designs versehenen Aufwärmtrikots aufs Eis zu kommen.
Kontroversen mögen die Herren an der NHL-Spitze aber gar nicht. Deshalb haben sie in diesem Sommer eine Änderung bei diesen Themennächten beschlossen: Spezielle Aufwärmtrikots wird es nicht mehr geben. Nicht für Pride-Night. Nicht zur Unterstützung im Kampf gegen den Krebs. Nicht für militärische Feiertage. Doch kurz vor dem Saisonstart machte ein zusätzliches Memo der Liga die Runde: Neu soll auch die Verwendung von Pride-Tape – also regenbogenfarbenes Grip Tape für den Stock – verboten werden.
The NHL will no longer allow players to use rainbow Pride stick tape while on the ice, according to a memo sent to teams. Flyers forward Scott Laughton, one of the league's leading advocates for promoting LGBTQ+ acceptance, disagrees.
— The Philadelphia Inquirer (@PhillyInquirer) October 11, 2023
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Sofort gab es kämpferische Reaktionen. Scott Laughton, Stürmer der Philadelphia Flyers, kündete an: «Ihr werdet mich trotzdem mit Pride-Tape sehen. Wenn sie etwas sagen wollen, dann sollen sie. Aber das wird nichts an meiner Unterstützung fir die Pride-Community ändern.» Andere Spieler – darunter Connor McDavid, Morgan Reilly oder Zach Hyman – äusserten ihre Enttäuschung über den Entscheid der Liga. Und auch Minnesota-Verteidiger Jon Merril sagte: «Wenn wir das Tape trotzdem verwenden, was will die Liga machen? Mich vom Eis nehmen? Mich bestrafen? Dann sieht die Liga extrem schlecht aus.»
Tatsächlich stand die neue Regel von Beginn weg auf wackeligen Beinen. Denn im NHL-Regelbuch steht bei Regel 10.1:
Wie absurd das Memo an die Spieler war, hat nun Travis Dermott bewiesen. Der Verteidiger der Arizona Coyotes ist beileibe kein Star, der durch sein Geld oder seinen Status geschützt ist. Bei den Coyotes verdient der 26-Jährige 800'000 Dollar pro Saison und damit 50'000 Dollar über dem Liga-Mindestlohn.
Am vergangenen Samstag war Dermott der erste NHL-Spieler, der trotz des angekündigten Verbots mit Pride-Tape am Stock auflief. Der Verteidiger kündigte das nicht gross an, auch seine Mannschaftskollegen oder die Teamverantwortlichen wussten nichts davon. Erst im Laufe des Spiels fiel es Zuschauern auf, dass etwas Regenbogenfarbe an Dermotts Stock klebt.
Travis Dermott became the first player to use Pride Tape on his stick in a game since the NHL banned special warmup jerseys and other on-ice gear around theme nights.
— B/R Open Ice (@BR_OpenIce) October 23, 2023
Link to full story: https://t.co/Ue1zRkV5dB pic.twitter.com/LDBpHgUxFA
«Mein Gedankengang war: ‹Also gut, ich mache das und kümmere mich später um die Konsequenzen.› Ich hoffe so, einen positiven Einfluss auf Menschen zu haben, die einen solchen positiven Einfluss brauchen», erklärte Dermott seine Aktion später bei «The Athletic». Es sei einfach zu vergessen, dass Probleme existieren, wenn sie nicht direkt vor einem stehen. Es sei einfach zu vergessen, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die das Gefühl hat, hier nicht hinzugehören. Und der Kanadier ist sich sicher: «Wenn wir aufhören, daran zu denken, dann wird es gefährlich.»
Er hätte nicht erwartet, dass seine Aktion derart grosse Wellen schlage. Aber Konsequenzen seitens der Liga blieben bislang aus – auch bei der NHL scheint man sich der Tatsache bewusst, wie schlecht das in der Öffentlichkeit aussehen würde.
Und: «Ich habe gespürt, dass ich meine komplette Mannschaft als Unterstützung im Rücken habe», sagt Dermott. Tatsächlich deutet derzeit viel daraufhin, dass die Liga zurückkrebst und die Pride-Tape-Weisung wieder rückgängig macht. Die Liga denke gar über einen speziellen Tag nach, an dem Spieler mit ihrem Equipment auf Organisationen oder Umstände aufmerksam machen können, die ihnen wichtig sind, berichtet der renommierte NHL-Journalist Chris Johnston.
"Behind the scenes, there has been some talk at the league level [...] I think that there's a recognition that this was probably an overreach." @reporterchris updates us on the Pride Tape ban on the latest #CJShow.
— sdpn (@sdpnsports) October 21, 2023
🎧: https://t.co/akTMBLGlje
📺: https://t.co/73dTjNGBYZ pic.twitter.com/azayZYozk9
Auch in anderen Bereichen der (kanadischen) Gesellschaft regt sich Widerstand gegen die neuen NHL-Regeln. Scotiabank – die drittgrösste Bank des Landes – verteilt derzeit an diversen Standorten und in Zusammenarbeit mit den Herstellern gratis 5000 Rollen Pride-Tape.
Thank you so much to our good friends @scotiabank for their support not only today but since the very beginning. Free Pride Tape at the attached locations. pic.twitter.com/pqkGDMILGJ
— Pride Tape (@PrideTape) October 23, 2023
Dass Travis Dermott erst im fünften Saisonspiel mit Pride-Tape am Stock auflief, hatte übrigens logistische Gründe: «Ich habe mein Pride-Tape beim Umzug von Vancouver nach Arizona verloren und musste zuerst wieder bestellen.» Heute Nacht beim Spiel gegen die LA Kings werde er darauf verzichten. Er habe nun schon für genügend Aufmerksamkeit gesorgt und sei nicht auf einen Krieg mit der Liga aus.
Am kommenden Freitag veranstalten die Arizona Coyotes, wo auch Janis Moser unter Vertrag steht, als erstes NHL-Team in dieser Saison und unter den neuen Regeln wieder eine Pride-Night. Es ist zu erwarten, dass Dermott dann nicht als einziger Spieler der Coyotes gegen die Pride-Tape-Regelung verstösst. Er sagt: «Wir werden weiterhin darüber sprechen, auch wenn die Liga dagegen ist. Als Sportler haben wir eine so grossartige Plattform, um Liebe zu verbreiten. Und ich finde, wenn wir diese Liebe nicht verbreiten, was zum Teufel tun wir dann?».
Auf freiwilliger Basis ist das natürlich etwas ganz anderes.