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National League: So geht die Eishockey-Liga mit Gehirnerschütterungen um

L'attaquant zougois Gregory Hofmann, gauche, et le defenseur zougois Samuel Kreis, droite, laissent eclater leur joie, lors du match du championnat suisse de hockey sur glace de National League L ...
Von Zug zum SCB gewechselt: Samuel Kreis erlitt bereits mehrere Hirnerschütterungen.Bild: keystone

In jedem achten Spiel eine Gehirnerschütterung – wie die National League damit umgeht

Mit dem Start der Eishockeysaison kommt die Angst vor Gehirnerschütterungen: In jedem achten Spiel der National League erleidet ein Spieler ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma - rund 60 sind es insgesamt pro Jahr. Neue Therapien sollen die Spieler schneller zurück aufs Eis bringen und Langzeitfolgen verhindern.
16.09.2023, 10:02
Gina Kern / ch media
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Der seitliche Check kommt völlig unerwartet. Profi-Eishockeyspieler Samuel Kreis befindet sich in der Mittelzone, als der Puck schon weit weg ist. «Ich war nicht gefasst. Ich flog mit dem Kopf ins Plexiglas, knallte auf den Hinterkopf.» Kreis steht auf, spielt den Einsatz fertig. «Zwei Tage später bekam ich starke Kopfschmerzen und einen Schwindel, der sich anfühlte, als sei ich soeben aus einer Achterbahn gestiegen», so der 29-jährige Verteidiger des SC Bern.

Dieser Zwischenfall ereignete sich 2018. Damals fiel der Profisportler mit einer Gehirnerschütterung, der leichtesten Form des Schädel-Hirntraumas, viele Monate aus. «In meiner Karriere war ich schon drei Mal wegen einer Hirnerschütterung länger als zwei Monate ausgefallen.» Nicht mitgezählt sind die kürzeren Pausen, die er wegen einer traumatischen Hirnverletzung einlegen musste.

Gehirnerschütterungen werden unterschätzt

Die sportbedingte Gehirnerschütterung ist eine traumatische Hirnverletzung, die verursacht wird durch einen direkten Schlag gegen den Kopf, den Nacken oder den Körper, was zu einer stossartigen Kraftübertragung auf das Gehirn führt. Die häufigsten Symptome sind Kopf-/Nackenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwäche, Schwindel oder Sehstörungen.

Nina Feddermann ist Sportneurologin an der Universität und am Unispital in Zürich. Sie behandelt unter anderem Spitzensportler mit Gehirnerschütterungen, die durch ihren Sport immer wieder Traumas am Kopf erleiden, so wie auch Eishockeyspieler Samuel Kreis. «Nach einem Trauma stehen die Spieler wieder auf, haben anfangs vielleicht nur unspezifische Symptome wie etwa Kopfschmerzen und spielen weiter. Was zu einer weiteren Erschütterung des Kopfes oder einer anderen Verletzung führen kann.»

Sportneurologin Nina Feddermann.
Bild: zvg

Eine Gehirnerschütterung ist nicht vergleichbar mit einer anderen Sportverletzung wie einem Bänderriss oder einem Knochenbruch. Die Folgen der leichtesten Form des Schädel-Hirn-Traumas, können einen Spieler unter Umständen ein Leben lang tangieren. Neurologin Feddermann warnt: «Es gibt auch immer wieder schwere Fälle, die in Einzelfällen zur Beendigung der sportlichen Karriere führen können.»

In der Regel heilen die Symptome aber innerhalb von zwei Wochen ab und die Spieler sind nach einem Monat wieder auf dem Eis.

Hohe Dunkelziffer

Schweizweit kommt es laut der Unfall-Statistik des Unfallversicherers Suva zu über 40'000 Gehirnerschütterungen pro Jahr. Autounfälle, Stürze, Schläge. Im Sport sind Kontaktsportarten wie Eishockey, Rugby, American Football, Fussball und Handball betroffen, aber auch alle Wintersportarten mit hohen Geschwindigkeiten, Drehungen und Sprüngen.

Berns Sven Baertschi im Eishockey Testspiel der National League zwischen dem SC Bern und Lausanne HC, am Samstag, 3. September 2022, in der PostFinance Arena in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Die Karriere von Sven Bärtschi wurde durch Gehrinerschütterungen aus der Bahn geworfen.Bild: keystone

Sportneurologin Feddermann warnt auch hier: «Gehirnerschütterungen werden noch immer von Sportlern und Ärzten als leichte Verletzungen eingestuft und in ihren Konsequenzen unterschätzt.» Derzeit müsse davon ausgegangen werden, dass rund die Hälfte aller Gehirnerschütterungen übersehen werden – die Dunkelziffer ist dementsprechend hoch. «Viele Symptome eines leichten Schädel-Hirn-Traumas sind nicht sichtbar», daher fehle oft die Sensibilität. «Was harmlos anfängt, kann einen langwierigen Verlauf nehmen.»

Schon im Juniorenalter ein wichtiges Thema

«Wegen Kopfschmerzen ging vor zehn Jahren keiner vom Eis», sagt Martin Schär, Teamarzt beim SC Bern. Heute sei Wahrnehmung aber eine andere. «Wir nehmen Gehirnerschütterungen sehr ernst. Bereits bei den Junioren sind Kopfverletzungen ein grosses Thema. Der Sport ist technischer geworden. Die Athleten im Juniorenalter schneller und kräftiger. Oft sind sie übermütig. Bei gewissen fehlt auch der Respekt und sie realisieren häufig nicht, dass es so zu gefährlichen Situationen kommen kann.»

Respekt ist im Eishockeysport ein Schlagwort. Der Eishockeyverband hat sogar eine Kampagne lanciert, die den Titel «Respect» trägt – für mehr Fairness im Eishockey. Das Regelwerk schützt die Gesundheit der Spieler heute besser dank der umfassenden Videoüberwachung. So werden auch versteckte und von den Schiedsrichtern übersehene Fouls sanktioniert. Seit der vergangenen Saison werden zudem Checks von hinten und gegen den Kopf härter bestraft.

Zudem sollen flexible Banden das Verletzungsrisiko minimieren: «Die Flexbanden reduzieren Prellungen und Quetschungen. Nicht aber unbedingt Gehirnerschütterungen, weil es dazu oft nicht einmal einen Kopfaufprall braucht», so der SCB-Teamarzt. Eishockey ist ein Kontaktsport mit einem hohen Verletzungsrisiko. Pro Jahr kommt es auf dem Eis zu über 5000 Verletzungen. Jede Vierte ist eine Gehirnerschütterung. In der höchsten Spielliga, der National League, kommt es alleine zu 60 traumatischen Hirnverletzungen pro Saison: Das ist in jedem achten Spiel ein Trauma.

Sport statt Ruhe

Nach einem Zwischenfall auf dem Eis werden die Eishockey-Spieler vom Teamarzt klinisch untersucht. Es wird ein neurologischer Test durchgeführt. Bei sogenannten «Red-Flag-Symptomen» wie zum Beispiel lang anhaltender Verwirrtheit oder Bewusstseinsverlust erfolgt eine notfallmässige Untersuchung im Spital mit CT oder MRT.

Dann braucht es 24 bis 48 Stunden absolute Ruhe. Dazu gehört das Ausschalten aller äusseren Einflüsse aufs Gehirn: Kein Handy, keine Musik, kein Fernseher.

Ein Lehrfilm zum Thema Gehirnerschütterungen.Video: YouTube/ZNS - Hannelore Kohl Stiftung

Nach dieser Zeit soll nach den neusten Leitlinien aber möglichst schnell wieder mit der körperlichen und kognitiven Aktivität begonnen werden: «Ab ins Bett, das war einmal», weiss Sportneurologin Nina Feddermann. «Eine lang anhaltende Ruhephase kann sich negativ auf die Heilung auswirken. Es kann dazu führen, dass die Symptome zunehmen, neue Symptome hinzukommen, anhalten und der Patient lange Zeit im Sport oder Beruf ausfällt.» Durch das Setzen von Reizen und Impulsen werden Kompensationsmechanismen ausgelöst, die die Heilung vorantreiben und so die Sportler wieder schneller zurück aufs Eis kommen.

Spätfolgen?

Ein Ausfall von zwei Monaten ist für einen Profisportler eine lange Zeit. «Klar habe ich mir Gedanken gemacht und mich gefragt, wie viele Gehirnerschütterungen kann mein Körper noch ertragen. Doch solange ich keine Mühe im Alltag habe, spiele ich weiter Eishockey», sagt SCB-Verteidiger Samuel Kreis. Und Berns Teamarzt Martin Schär fügt an: «Es gibt keine klaren Aussagen betreffend Spätfolgen, hier ist der gesunde Menschenverstand bezüglich der Sporttauglichkeit gefragt».

Was sind typische Anzeichen einer Gehirnerschütterung?
Kopf-/Nackenschmerzen, Schwindel, Balancestörungen, Sehstörungen, Kognitive Einschränkungen.

Wann muss ich zum Arzt?
Bewusstseinsverlust, Gedächtnislücke, Desorientiertheit, Krampfanfall, neuer Kopfschmerz, Erbrechen, Hinweise für Fraktur.
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