Es waren fabelhafte Fangquoten, mit welchen Leonardo Genoni, 37, im Halbfinal und im Final an der WM dieses Jahres in Tschechien brillierte: 95,5 und 96,8 Prozent. Er lief zur Bestform auf. «Krank» sei es gewesen, was sein Schützling vollbracht habe, schwärmte Peter Mettler nach dem Turnier. Der Schwyzer amtete bis im Frühling als Goalietrainer der Schweizer Nationalmannschaft. Und: «Genoni hat einige Personen Lügen gestraft.» Mettlers Votum war ein Seitenhieb an die Kritiker, welche eine Wachablösung der «alten Garde» fordern.
Fast ein halbes Jahr ist seit dem verlorenen WM-Final gegen Tschechien vergangen. Und man mag es kaum glauben: Das Endspiel war der letzte Ernstkampf von Genoni. Mittlerweile ist mehr als ein Drittel der Qualifikationsphase vorüber und er durfte immer noch nicht sein Können unter Wettkampfbedingungen zur Schau stellen. Wann kehrt der Torhüter denn nun zurück? Es ist jene Frage, welche EVZ-intern wie auch dem Umfeld unter den Nägeln brennt.
Ein EVZ-Trainingsbesuch am Dienstag vermittelte die Botschaft: Das Comeback ist zum Greifen nah. Genoni erweckte einen unbekümmerten und lockeren Eindruck. Die Lust, zurückzukehren, ist riesengross. Nach dem Training – seine erste komplette Einheit mit der Mannschaft – nahm er sich Zeit, um über seine Emotionen und seine körperliche Verfassung zu reden. «Es fühlt sich gut an. Es ist keine Angst im Spiel und das ist für mich sehr, sehr wichtig», sagt der siebenfache Schweizer Meister.
Ein Teamtraining sei im Vergleich zu einem individuellem Goalietraining viel herausfordernder. «Das sind zwei Paar Schuhe. Positiv ist, dass ich in der letzten Woche zwei, drei grosse Schritte nach vorne machen konnte.» Gleichzeitig hält er fest: «Ich muss die anderen beiden Goalies ausstechen. Das war heute nicht der Fall, da bin ich ehrlich genug. Wenn ich etwas nicht kann, dann ist es durchschnittlich sein. Durchschnitt ertrage ich nicht. Ich will auf Top-Niveau zurückkommen. Das ist mein Anspruch.»
Fleissig, ehrgeizig, reflektiert wie eh und je. Genoni, der Perfektionist, der auf der Suche nach dem Leistungsmaximum nichts dem Zufall überlässt. Es sind Attribute, die den Goalie auszeichnen und ihn von anderen seiner Zunft abhebt. Ein halbes Jahr ohne Ernstkampf. Eine Tatsache, die ihn beunruhigt? «Mir ist das bewusst, aber ich mache mir deswegen keine Sorgen. Zudem haben mir die Testspiele im August ein gutes Gefühl vermittelt.»
Es war Anfang September, als sich Genoni im Training im Bereich der unteren Extremitäten verletzte. «Nicht so schlimm», dachte er sich. Er gönnte sich einen Tag Ruhe, doch sein Körper sendete keine guten Signale aus. Genoni ging zunächst von zwei bis drei Wochen Pause aus. Dann war die Rede von mehreren Wochen. Genoni peilte für seine Rückkehr den EVZ-«Papitag» am 25. Oktober an. Jedes Jahr wird abwechslungsweise den Müttern und Vätern der Spieler sowie des Staffs ein Einblick ins EVZ-Reich ermöglicht. Dann dürfen sie ihre Liebsten einen Tag lang begleiten.
Doch es folgte ein herber Dämpfer im Genesungsprozess. Genonis Fahrplan wurde über den Haufen geworden. «Ich bin nicht vorwärtsgekommen. Es hat keinen Sinn gemacht, da ich nicht schmerzfrei war», erzählt der Torhüter. Die Beschwerden hinderten ihn bei Bewegungsabläufen, zum Beispiel beim Aufstehen. So hiess es weiter: Geduldig bleiben, auf den Körper hören. Nicht genau zu wissen, wann die Rückkehr aufs Eis erfolge, sei für ihn völlig neu gewesen. Er habe Mühe gehabt, damit umzugehen. «Die Situation hat an mir genagt.»
Logisch, jeden Vollblut-Profi schmerzt es im Innersten, wenn er zuschauen muss. Doch Genonis oberstes Gebot während des Formaufbaus: Nicht zu viel riskieren. «Es wäre fahrlässig gewesen, den Wiedereinstieg ins Training zu forcieren. Ich bin nicht bereit, ein halbes Jahr lang Schmerzmittel zu nehmen, damit ich mich aufs Feld schleppen kann», so Genoni, der Vernunft walten lässt. «Solange du der Mannschaft nicht helfen kannst, solange wirst du vom Trainer auch nicht aufgestellt. Ich habe nie Druck verspürt seitens Trainer. Jetzt bin ich glücklich, dass ich so nah dran bin.» Schlussendlich entscheide der Coach, ob er der Meinung sei, dass er dem Team einen Mehrwert bringe. Genoni: «Das Letzte, was ich möchte, ist, aufgrund meiner Vergangenheit von einem Bonus zu profitieren.»
Das Wort Verletzung kennt Genoni eigentlich nur vom Hörensagen. Eine langwierige Verletzung hat er noch nie durchstehen müssen. Die letzte längere Absenz liegt über zehn Jahre zurück. Im Herbst 2013, als er noch im Dress des HC Davos die Pucks parierte, setzte ihn eine Blessur am Sprunggelenk zwei Monate schachmatt.
Genonis Stimmung ist gut. Sein erster Einsatz ist eine Frage von Tagen. Spielt er bereits am Donnerstag daheim gegen die Rapperswil-Jona Lakers (20 Uhr, TV 24 und 3+) wieder die erste Geige? Oder darf er am Freitag auswärts beim EHC Biel ran? Einen Tag vor dem Lakers-Spiel gibt Tangnes keinen Einblick in die Akte Genoni, sagt aber auch: «Mir gefällt seine Präsenz, er hat gut trainiert.» Klar ist: Genoni fühlt sich bereit für Grosstaten und brennt auf sein langersehntes Comeback. (aargauerzeitung.ch)