Das Eishockey ist ein Teil der Unterhaltungsindustrie geworden. Erst recht, weil das Eishockey den TV-Stationen den dringend benötigten «Rohstoff» für Live-Sendungen liefert. Zugleich erfordert diese Entwicklung den Aus- und Umbau der Infrastruktur (Stadien) und führt zu einer tiefgreifenden Veränderung des sozialen und wirtschaftlichen Umfeldes. Der insgesamt rückläufige Publikumsaufmarsch ist die Morgendämmerung einer Entwicklung, die unsere Hockeymacher noch auf Trab halten wird. Die Eröffnung des neuen Hockey-Tempels in Zürich mit einem kleinen Stehplatzangebot können wir auch als Beginn einer neuen Ära bezeichnen.
Gesamthaft ist die Stadionauslastung in der Liga im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit von 89,39 auf 79,58 Prozent zurückgegangen. Beim Zuschauer-Krösus SCB ist der Publikumsrückgang in Zeiten einer sich anbahnenden sportlichen Renaissance am auffälligsten (von 95,65 auf 83,86 Prozent). Dieser Rückgang ist so besorgniserregend wie bei keinem anderen Spitzen-Klub. Weil kein anderer Klub so auf die Gunst des Publikums angewiesen ist. Pro Spiel fehlen rund 2000 Fans. Bleibt der Trend so, fehlen am Ende der Saison 50'000 zahlende Kunden oder mehr als vier Millionen Franken an Einnahmen.
So wie die Dampfeisenbahn die Industrialisierung befeuerte, so war das Stehplatzpublikum als «Proletariat des Sportes» mehr als 50 Jahre lang der «wirtschaftliche Sauerstoff» des Hockeygeschäfts. Nach und nach haben ab den 1970er Jahren auch das Fernsehen, dann die Werbung (und die werbenden Firmen) und schliesslich der gehobene Mittelstand, die Eliten, das Eishockey entdeckt.
Zu Beginn der 1970er Jahre setzte ein Meisterteam weniger als eine Million um. Heute ist der Umsatz der grossen Klubs mit Sport und Sport-Nebengeschäften auf mehr als 50 Millionen angestiegen. Der Weg zurück zur Bescheidenheit ist nicht mehr möglich.
Wer viel Geld ausgibt für den Besuch eines Hockeyspiels oder seine Kunden einladen möchte, verlangt im Gegenzug Komfort. Auch deshalb werden die Stadien rundum erneuert oder sogar – wie zuletzt in Zürich – komplett neu gebaut.
Die neuen Tempel sind stärker auf die Bedürfnisse des besser bezahlenden Mittelstands und der zahlenden Firmenkunden und nicht mehr in erster Linie auf die billigeren Stehplätze ausgerichtet. Weil der Ertrag aus Sitz- und Businessplätzen ganz einfach höher ist als jener aus den Stehrampen.
In den neuen Hockeytempeln gibt es nach wie vor Stehrampen. Aber sie sind im Umfang reduziert worden. Bereits auf absehbare Zeit wird auf separate Stehplatzsektoren für Gästefans verzichtet werden. Sie verursachen Zusatzkosten und Umtriebe und bringen zu wenig Ertrag. Die eigenen Fans genügen für die Stimmung im Stadion vollauf.
Das Erfolgsrezept: das richtige Verhältnis zwischen Sitz- und Stehplätzen und zwischen Erlebniswert und Komfort. Wenn dieses Verhältnis nicht mehr stimmt, gehen die Erträge zurück. Die Stehrampe im Berner Hockeytempel ist die grösste der Hockey-Welt. Sie hat als «die Wand» Kultstatus und einen hohen Erlebniswert. Und wird inzwischen dem SCB zum Verhängnis: Sie ist so gross, dass Präsident Marc Lüthi und seine Manager glauben, man dürfe, könne nicht darauf verzichten.
Aber diese gigantische Stehplatztribüne wird nur noch in Ausnahmefällen voll besetzt sein. Zu gering der Komfort, zu wenig hoch der Erlebniswert in der Welt von heute. In den erneuerten oder neuen Hockeytempeln ist das Verhältnis zwischen Sitz- und Stehplätzen besser als in Bern. Als Beispiel der neue Hockeytempel der ZSC Lions: 12'000 Sitzplätze, 1900 Stehplätze. In Bern verfolgen mehr als die Hälfte der Zuschauerinnen und Zuschauer – 9778 von 17'031 – Spiele stehend.
Das bedeutet, dass die Konkurrenz schon mittelfristig mit dem Hockeybusiness höhere Erträge erzielen kann (die dann direkt in die Spielersaläre fliessen). Der SCB, seit den 1970er Jahren dank seiner riesigen Stehrampe ein Krösus, der ohne Mäzen auskommen konnte, fällt von der Spitzenposition mehr und mehr ins vordere wirtschaftliche Mittelfeld zurück.
Ein Stadionneubau wie in Zürich oder Biel ist in Bern ausgeschlossen. Weder gibt es private Investoren wie in Zürich noch hätte ein Neubauprojekt aus Steuergeldern politisch eine Chance. Also bleibt nur die Renovation des alten Tempels. Je eher der SCB seine Stehplätze zumindest in Teilen in Sitzplätze umwandelt, desto grösser die Chancen, wieder dauerhaft ein wirtschaftlicher und sportlicher Titan zu werden.