Wie kann es sein, dass der HC Davos in der laufenden Meisterschaft schlechter dasteht als vor einem Jahr der spätere Absteiger Kloten? Der Rückstand auf den letzten Playoffplatz ist grösser als jener der Klotener zum gleichen Zeitpunkt der letzten Saison.
Und nun ein 1:2 gegen ein starkes Team Canada. Eine höchst ehrenvolle Niederlage. Ein intensives, schnelles Spiel. Ein HCD ab dem zweiten Drittel auf der Höhe seiner Hockeykunst. Wie zu den besten Zeiten von Arno Del Curto. Gut organisiert, blitzschnell im Konterspiel, mutig in den Zweikämpfen, schlau im Timing des Forecheckings.
Wäre der Respekt vor dem Gegner am Anfang nicht so gross gewesen, hätten die Davoser von allem Anfang an ihr Spiel gespielt, hätten sie wahrscheinlich gewonnen.
Aber lassen wir alles hätte, könnte, wäre. Und gehen ganz einfach der Frage nach: Wie kann es sein, dass diese Mannschaft in der laufenden Meisterschaft auf dem zweitletzten Platz steht? Praktisch ohne Chance, die Playoffs noch zu erreichen. Eine historische Misere. Seit dem Wiederaufstieg von 1993 hat der HCD die Playoffs nie verpasst.
Wie kann das alles sein? Wenn wir das Spektakel gegen die Kanadier, die Entwicklung der Mannschaft seit dem Trainerwechsel in aller Ruhe betrachten, bekommen wir fast auf alle Fragen zur epochalen HCD-Krise eine Antwort.
Erstens: Der HCD hat seine Ausländerpositionen nicht gut genug besetzt. Jahrelang spielte es keine entscheidende Rolle, ob der HCD zwei, drei oder vier exzellente ausländische Arbeitnehmer hatte. Sie waren – von einigen Ausnahmen abgesehen – oft in der Rolle der Ergänzungsspieler.
Der HCD ist immer von der «Schweizer Garde» rund um Trainer Arno Del Curto («Zeugen DelCurtos») geführt worden. Aber jetzt gibt es diese Kerngruppe nicht mehr, die nominelle Besetzung mit helvetischen Spielern ist so schwach wie noch nie in diesem Jahrhundert. Das HCD-Spiel lebt also mehr als zuvor von den Ausländern. Wollen die Davoser wieder ein sicherer Playoff-Anwärter werden, brauchen sie vier überdurchschnittliche Ausländer.
Bis zu einem gewissen Grad kompensierten gegen Kanada die beiden Spengler Cup-Verstärkungsspieler Linus Klasen (von Lugano) und Dario Simion (von Zug) diese nominellen Schwächen. Es ist kein Zufall, dass sie Thierry Bader beim Anschlusstreffer zum 1:2 flankierten.
Zweitens. Der HCD hat ein Torhüterproblem. Ein grosser, ja schon ein überdurchschnittlicher Torhüter hätte den HCD gegen die Kanadier länger im Spiel gehalten und die zwei ersten Treffer verhindert. Anders Lindbäck war, wieder einmal, ein unkonstanter Spektakelgoalie.
Nicht die grossen Paraden (er hielt auch einen Penalty) zählen in der Endabrechnung. Sondern nur die kassierten Treffer – und in der Beurteilung, wie der Schwede diese zwei Treffer kassiert hat. Beide waren bei strenger Beurteilung haltbar. Wenn der Torhüter eine Ausländer-Lizenz beansprucht, dann ist die Beurteilung immer streng.
Drittens. Der HCD hatte ein Trainerproblem. Ganz offensichtlich ist es Harijs Witolinsch gelungen, Ruhe, Ordnung und Disziplin durchzusetzen. Die Verunsicherung weicht einem neuen Selbstvertrauen. Noch ist die HCD-Zuversicht ein empfindliches Pflänzchen. Aber es wird gedeihen. Der ruhige, kluge Michel Riesen ist der perfekte Assistent für den temperamentvollen neuen Chef, seine ideale Ergänzung.
Die Partie gegen Kanada war das dritte Spiel unter dem Nachfolger von Arno Del Curto. Nach zwei Siegen in Fribourg (3:2) und gegen Ambri (3:2 n.V) nun diese ruhmreiche 1:2-Niederlage. Die wilde Hektik, die ein Merkmal des HCD-Spiels während Arno Del Curtos Götterdämmerung war, gibt es nicht mehr.
Im Rückblick erkennen wir, dass diese Götterdämmerung spätestens im letzten Februar mit der Schmach im Cupfinal gegen die Rapperswil-Jona Lakers begonnen hat. Mit dieser 2:7-Pleite hatte ganz offensichtlich eine Entwicklung begonnen, die nicht mehr zu stoppen war.
Der HCD findet nun immer mehr zur spielerischen, taktischen, defensiven und auch sonstigen Normalität zurück. Was sich auch in einer Nebensächlichkeit neben dem Eis zeigt. Ach, war das jeweils ein Theater, bis Arno Del Curto nach einer Partie den Chronistinnen und Chronisten Red und Antwort stand. Manchmal geruhte er auch nicht zu den gewöhnlich Sterblichen zu sprechen.
Und nun ist es so unkompliziert wie bei allen anderen Klubs: Der Cheftrainer kommt, sagt ein paar Sätze, beantwortet geduldig und freundlich die Fragen und alle sind zufrieden.
Der Cheftrainer ist beim HCD nicht mehr der Zampano, um den sich ein ganzes Hockeyunternehmen dreht und nach dessen Pfeife alle tanzen. Der Cheftrainer ist, so wie anderorts, der wichtigste Angestellte der Sportabteilung. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.
Der HCD wird zwar auch unter neuer Leitung die Playoffs mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr erreichen. Aber der Ligaerhalt ist, anders als vor einem Jahr beim EHC Kloten – nicht in Gefahr. Zumal sich beim HCD, auch das wiederum im Gegensatz zum EHC Kloten, keine Auflösungserscheinungen zeigen und Präsident Gaudenz Domenig in diesen unruhigen Zeiten zu keinem Zeitpunkt die Übersicht und die Ruhe verloren hat.
Wir erkennen immer deutlicher: Die Zeit von Arno Del Curto war abgelaufen. Und es spricht für ihn, dass er das selber eingesehen und die Bühne verlassen hat. So viel menschliche Grösse hat vielleicht einer von 1000 Trainern.