Lian Bichsel gehört zu den besten jungen Verteidigern der Welt. Deshalb ist der 18-Jährige bei der Welt-Talentbörse – beim NHL-Draft – von den Dallas Stars schon in der ersten Runde ausgewählt worden.
Er ist so gut, dass ihm eine grandiose Karriere in der NHL zugetraut wird. In der wichtigsten und rausten Liga der Welt. Aber er ist nicht gut genug, um die Schweiz bei der wichtigsten Junioren-Weltmeisterschaft (U20-WM) zu vertreten, die am Dienstag im kanadischen Edmonton beginnt. Bei diesem Turnier treten alle Hockey-Nationen mit ihren besten Junioren an. Nur die Schweiz nicht, die auf Lian Bichsel verzichtet.
Halt, halt!, heisst es da von den Verantwortlichen um Junioren-Nationaltrainer Marco Bayer und Verbands-Sportchef Lars Weibel. Natürlich ist er gut genug. Aber er fügt sich nicht unseren Weisungen! Das geht nicht! Deshalb ist er nicht dabei.
Bichsel hatte wegen des NHL-Draftes, der seine Anwesenheit in Nordamerika erforderte, einen hektischen, intensiven Sommer. Deshalb wollte er die Vorbereitungsphase auslassen und direkt zum WM-Turnier anreisen. Um sich besser erholen zu können. Ein richtiger und vernünftiger Entscheid.
Ausnahmen sind im Teamsport eine heikle Sache. Je weniger Talent, desto wichtiger werden die Chemie im Team, die mannschaftliche Geschlossenheit, der taktische Gehorsam, die Disziplin. Es geht ums Prinzip. Ausnahmen sind diesen Erfordernissen nicht förderlich.
Wir haben im Schweizer Eishockey eine reiche Kulturgeschichte der Prinzipien und Ausnahme-Verweigerung: Manchmal ging es auf, manchmal nicht. Ralph Krueger hatte die Kultur des «Team über alles» zu höchster Blüte gebracht. Im Frühjahr 1998 fragen beispielsweise Renato Tosio und Sven Leuenberger den eben ins Amt eingesetzten Nationalcoach während der Vorbereitung auf die WM in Zürich und Basel, ob sie nach dem Wochenende etwas später einrücken dürfen. Was ihnen den Platz im WM-Team kostet. Die Schweizer werden sensationell WM-4.
Unvergesslich bleibt Ralph Kruegers Dauerfehde mit Reto von Arx, die unser Nationalteam jahrelang um den besten Mittelstürmer, um mehrere WM-Halbfinals und wohl eine Medaille brachte. Vor der WM 2019 sorgte der «Fall Malgin» für Polemik. Denis Malgin wurde von Patrick Fischer nicht fürs Titelturnier aufgeboten, weil er, wie es Fischer ausdrückte, «in unseren Augen früher nicht immer hundert Prozent Lust auf die Nationalmannschaft hatte».
Malgin ist längst wieder in die Nationalmannschaft zurückgekehrt und gehörte bei der letzten WM in Finnland zu den Besten der Welt. Das zeigt: Es kann funktionieren. Fischer ist smart und sensibel genug, um in heiklen Fällen richtig zu entscheiden.
Nun hat Marco Bayer einen der besten jungen Verteidiger der Welt seinen Prinzipien geopfert und schwächt mutwillig ein WM-Team, das ohnehin auf dünnem Eis steht. Für diese Mannschaft wäre Lian Bichsel im Quadrat wichtiger, als es etwa 2019 Denis Malgin für das WM-Team von Patrick Fischer war.
Wie wir es drehen und wenden: Bichsels Rausschmiss ist eine Dummheit sondergleichen. Weil hinter diesem Entscheid nicht kluge Überlegungen und Einfühlungsvermögen stehen. Sondern eher Arroganz und Selbstüberschätzung, die wir uns auf diesem Niveau nicht leisten können.
Vergeigt Marco Bayer auch diese WM, so wird es Zeit, sich zu fragen, ob es nicht besser wäre, künftig auf ihn zu verzichten. Das Wohl der Mannschaft und der Erfolg sind wichtiger als die Prinzipien und das Ego des Trainers und des Verbands-Sportdirektors.
Ein NHL-Erstrundendraft ist wichtig genug, um eine Ausnahme machen zu können. Es wäre auch äusserst schwierig gewesen, für andere Spieler in der Zukunft ebenfalls eine Ausnahme einzufordern…und wenn, dann hätten wir in der Schweiz mit so vielen NHL-Drafts ein Luxusproblem.