Der SCB hat in Biel eine dramatische Partie nach einer 3:1-Führung im Schlussdrittel aus der Hand gegeben wie ein Liga-Neuling (3:4 n.P). Unfassbar, die Art und Weise, wie eine Mannschaft mit so vielen erfahrenen, talentierten und taktisch gut geschulten Spielern im dritten Spiel bereits in die dritte Niederlage taumelte. Es ist saisonübergreifend die 8. Pleite in den letzten 10 Partien. Der SCB hat unter seinem schwedischen Trainer nur noch 20 der letzten 55 Spiele gewonnen. Erfolgloser waren in dieser Zeit nur noch Ajoie und Langnau. In der ganzen Klubgeschichte (seit 1931) hat sich kein Trainer mit einer solchen Bilanz im Amt gehalten. Wie ist das möglich?
Der SCB hat durch den Einfluss des eloquenten neuen Managers Raëto Raffainer (seit dem 1. Februar 2021 im Klub) seine DNA verändert. Die kantige Arroganz, die aufmüpfige Selbstsicherheit und die konsequente Ausrichtung auf den sportlichen Erfolg («Bayern München des Hockeys») sind durch eine hoch entwickelte Ausredenkultur und eine freundliche Toleranz des Misserfolges ersetzt worden. Fast so, als sei der SCB die Auswahlmannschaft der bernischen Rudolf Steiner Schulen. Es gibt immer einen guten hockeytechnischen Grund, warum ein Spiel halt nicht gewonnen worden ist und man Geduld haben muss.
Hingegen ist profanes Erfolgsdenken und die Reduktion eines Sportunternehmens auf Siege und Niederlagen beim SCB einfach nicht mehr zeitgemäss. Cheftrainer Johan Lundskog und seine Assistenten Christer Olsson, Mikael Hakanson und Mark Markowitz sind tüchtige «Laptop-Boys» ohne Charisma. Sie sind fleissig, freundlich und fachkundig. Sie zerlegen jedes Spiel in Einzelteile, untersuchen jeden Spielzug wie einst der grosse Berner Universalgelehrte Conrad Gessner ein seltenes Insekt, bauen alles sorgfältig wieder zusammen und machen so ein berechenbares Spiel berechenbar. Sie haben auf jede fachliche Frage eine gute Antwort. Sie mahnen fast ein wenig an Ueli Schwarz.
Kein Wunder, sind diese verständnisvollen Chefs wohlgelitten bei den Spielern, beim Sportchef und beim Manager. Etwas weniger beim Präsidenten. Aber auch Marc Lüthi ist inzwischen verständnisvoller geworden. Management, sportliche Führung und Spieler pflegen mit ihrem Cheftrainer sozusagen eine platonische Beziehung: respektvoll, loyal, ehrlich. Aber es fehlt die Leidenschaft. Eine platonische Trainerliebe. Es rumpelt und knistert nicht. Manager Raëto Raffainer ist überzeugt, dass dieser neue Weg zum Erfolg führen wird. Neue Dressfarben, viel Tingeltangel auf den verschiedenen Kanälen der sozialen Medien und gute Werbesprüche ersetzen Siege. Hat denn einst, als er noch Verbandsdirektor war, sein Festhalten am arg kritisierten Patrick Fischer nach der missglückten ersten WM (2016 in Moskau Viertelfinal verpasst) nicht reichlich Früchte getragen und uns 2018 bis in den WM-Final gebracht? Eben. Es ist nachgerade boshaft, darauf zu verweisen, dass die Nationalmannschaft und ein Klub wie der SCB zwei verschiedene Paar Schuhe sind.
Der langjährige Präsident Marc Lüthi lässt Raëto Raffainer bei seinem Kuschelkurs gewähren und hat sich noch nicht eingemischt. Er sagt in Biel unmissverständlich: «Wir werden nach zehn Spielen Bilanz ziehen.» Nicht vorher. Nid dryschiesse. Das habe man auch früher so gehalten. Das stimmt. Nur wäre früher ein Trainer, der auf der ganzen Linie versagt hat (Rang 11), nach der Saison nicht mehr weiterbeschäftigt und noch einmal zum Countdown zugelassen worden.
Immerhin: Marc Lüthi sagt, nach zehn Partien werde Bilanz gezogen. Also kein Polemiker, wer daraus schliesst, dass der Countdown für Trainer Johan Lundskog laufe. Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins – und dann hebt die Mondrakete ab. Mit sonorer Stimme ist einst bei den TV-Direktübertragungen aus Cap Kennedy, noch in Schwarz-Weiss und kommentiert von Bruno Stanek, der Countdown bei Starts in den Weltraum heruntergezählt worden. Das Prozedere kennen wir auch aus dem Boxen: Wenn es einem auf die Bretter geschickten Kämpfer nicht gelingt, nach der vorgeschriebenen Zeit (in der Regel sind es zehn Sekunden) wieder sicher auf den Beinen zu stehen, wird er vom Ringrichter ausgezählt. Und nun also der SCB-Countdown für Johan Lundskog und seine «Laptop-Boys».
Der Countdown endet am 14. Oktober mit dem Heimspiel gegen Servette. Wird dann Johan Lundskog ausgezählt? Mit ein paar Siegen kann er mit seinen «Laptop-Boys» das Herunterzählen wohl stoppen. Und diese Siege sollten doch wenigstens gegen die Lakers, Ajoie und Kloten möglich sein. Oder? Marc Lüthi hat wohlweislich nicht gesagt, wie viele Siege es bis zum 14. Oktober sein müssen. Wie sich doch die Zeiten geändert haben. Einst hat in Bern eine Partie gegen die Lakers niemand ernst genommen. Niederlagen hat es zwar immer wieder mal gegeben. Doch die hatten keinerlei Folgen und sind als Kuriosum gewertet worden. Jetzt aber verneigt sich Bern vor dem Titanen aus dem Kanton St. Gallen und blickt dem Kräftemessen gespannt entgegen. Als sei es eine Playoff-Finalpartie.
Es gibt hoffnungsvolle Zeichen. Chris DiDomenico hat bei seinem SCB-Debüt in Biel das Spiel phasenweise dynamisiert und für Simon Mosers 1:0 aufgelegt. Vielleicht erholt sich ja Tempostürmer Dominik Kahun bald von seinen Blessuren und kehrt zurück. Wenn nicht, ist sein Fehlen immerhin eine wohlfeile Ausrede. Auch der noch etwas hüftsteife neue kanadische Verteidiger Eric Gélinas hat in Biel den ersten Ernstkampf bestritten. Der SCB hatte immerhin fünf Ausländer zur Verfügung. Die Mannschaft zeigte in Biel keine Anzeichen, die auf einen ungeliebten Trainer deuten. Aber auch keine, die einen autoritären, charismatischen Chef und Antreiber vermuten lassen. Mut, Fleiss und Wille sind weiterhin genügend. Es fehlt halt ein wenig die «Erotik »des erfolgreichen Hockeys der einstigen «Big, Bad Bears»: unerbittliche Härte, Leidenschaft, Geradlinigkeit, Dominanz, Einschüchterung. Der SCB ist zwar nach wie vor «Big» und «Bad». Aber nur noch hie und da und ein wenig. Nicht ganz und gar.
Vielleicht fehlte Johan Lundskog und seinen Musterknaben bisher bloss das Glück. Der grosse Napoléon, der etwas von Führung verstand, wusste schon, warum er bei einem Offizier, der ihm zur Beförderung in den Generalsrang vorgeschlagen wurde, auch bei allerbesten Referenzen nur eine Frage stellte: «Aber hat der Mann auch Glück?» So viel können wir sagen: Johan Lundskog wäre unter Napoléon nicht General geworden.
Bin kein Fan von Lundskog, (fast) komplett neues Team, gleicher Müll...ob das wirklich an den Spielern liegt? 🤔
Aber man wollte den Weg mit Lundskog gehen. Ich wäre definitiv mit einem neuen Trainer in die Saison. Jetzt ist es nicht fair nach 3 Spielen schon Bilanz zu ziehen. Sollte aber der Erfolg bis Ende Oktober ausbleiben, wird er wohl nicht mehr zu halten sein.