Namen sind nur auf den Dress genähte Buchstaben. So wird im Eishockey die Kraft des Kollektivs begründet und beschworen. Eine Kraft, die sehr oft über grosse Namen zu triumphieren vermag. Eishockey als letzter echter Teamsport.
Namen spielen hingegen bei den Coaches sehr wohl eine Rolle. Der Marktwert eines Spielers hängt von seiner Leistung auf dem Eis ab und verblasst in der Regel ziemlich zügig. Der Marktwert eines Coaches kann hingegen Krisen und Jahre unbeschadet überstehen, wenn er die Kunst der Eigenvermarktung versteht. Ein formidables Beispiel dafür liefert uns Chris McSorley (59). Nie Meister und doch in Lugano verehrt wie ein Meister.
Sein Vorgänger Serge Pelletier hatte letzte Saison Lugano in der Qualifikation auf den 2. Platz geführt. Und wusste schon vor dem Scheitern in den Playoffs gegen die Lakers, dass er Chris McSorley Platz machen muss.
Nun ist Chris McSorley mit Lugano soeben auf dem 9. Rang gestrandet. Seit dem letzten Titel von 2006 war Lugano in der Qualifikation nur ein einziges Mal (im Frühjahr 2011) auf Rang 10 noch miserabler. Keiner seiner Vorgänger konnte sich mit solchen Resultaten im Amt halten. Weil sie eben nicht das Charisma von Chris McSorley hatten und nicht so schlau waren und das meisterliche Konzept als Dreijahresplan verkauften. Solche Mehrjahrespläne öffnen den Weg zur besten aller Ausreden: Nächstes Jahr wird alles besser. Und so denkt in Lugano niemand daran, die Arbeit des Kanadiers kritisch zu beurteilen. Es wäre hockeytechnische Blasphemie.
Chris McSorley hat seinen «Fanclub» in Luganos Führungsetage im ersten seiner drei Vertragsjahre nicht enttäuscht und die schwache Qualifikation bereits mit einem Zückerchen versüsst: Er hat Servette in den Pre-Playoffs überraschend eliminiert. Auf dem Papier ein grosser, klar besserer, wenn nicht gar übermächtiger Gegner: In der Qualifikation auf Rang 7 um 12 Punkte besser und darüber hinaus Vorjahresfinalist! Ein Triumph auch für die Legendenbildung: Chris McSorley hatte Servette vor 20 Jahren in der NLB übernommen und zum bestfunktionierenden Sportunternehmen in der Westschweiz gemacht.
Vor einem Jahr musste er gehen und kämpft nun vor Gericht um eine Abgangsentschädigung von 7.6 Millionen. Und nun die Rache auf dem Eis. Und er sagt rückblickend, er habe eigentlich nie daran gezweifelt, diese Pre-Playoffs zu gewinnen. Seine Bewunderer dürfen sagen: Diese Zuversicht hat sich auf die Mannschaft übertragen und das Wunder ermöglicht.
Im Viertelfinal trifft Lugano auf Zug. Auf den Meister und Qualifikationssieger. Sozusagen ein «Traumgegner». Gewinnt Lugano, wird Chris McSorley künftig im gleichen Atemzug mit John Sletvoll (zwischen 1986 und 1990 in Lugano viermal Meister) genannt. Verliert Lugano mit ein bisschen Spektakel und Getöse in vier Partien, ist er immer noch ein Held. Er wird schlau in seinen Ausführungen darauf hinweisen, welch übermächtiger Gegner die Zuger waren und sicherlich diesen oder jenen Entscheid der Schiedsrichter in seine Argumentation einbauen.
Und alle werden glücklich sein. «Nein, so ist es nicht» widerspricht er, die solchen Ausführungen innewohnende Ironie sehr wohl spürend. «Niemand ist bei uns glücklich, wenn wir verlieren.» Aber man könne mit einem Ausscheiden leben, wenn jeder sein Bestes gegeben habe. Und wessen Urteil zählt bei der Beurteilung, ob man das Beste gegeben habe? Natürlich das von Chris McSorley.
Um Zug in Bedrängnis zu bringen, braucht es allerdings auch einen grossen Torhüter. Niklas Schlegel ist einer der Gründe für das überraschende Scheitern im Viertelfinal vor einem Jahr gegen die Lakers. Er ist nach wie vor Luganos Torhüter Nummer 1. Bei Zug heisst die Nummer 1 Leonardo Genoni. Niklas Schlegel so gut wie Leonardo Genoni? Niemals wird ein Trainer, der bei Sinnen ist, seinen eigenen Goalie kleinreden. Aber Chris McSorley, dieser Hexenmeister der Selbstvermarktung und Kommunikation, findet auch auf eine solche heikle, ja boshafte Frage eine kluge Antwort: «Leo (Leonardo Genoni – die Red.) ist Leo. Das wissen wir alle und darüber brauchen wir keine Worte zu verlieren.»
Wir können davon ausgehen, dass Lugano nächste Saison eine Ausländerlizenz für einen grossen Torhüter einlösen wird.