Ein Trainer kann in einem kurzen Einakter des Amtes enthoben werden. Die Anstellung eines neuen Trainers ist hingegen ein Theaterstück in mehreren Akten mit ungewissem Ausgang. Erst recht beim SC Bern.
Seit dem Wiederaufstieg von 1986 waren Entlassungen und Neueinstellungen der Trainer nicht viel mehr als «Radwechsel» auf der Strasse des Ruhmes. Ein Grundsatzentscheid musste nie gefällt werden. Weil der SCB konstant zu den sportlichen Titanen gehörte. Ein bekannter Name löste den anderen ab. Das Risiko war gering.
Nach der Entlassung von Johan Lundskog ist nun eine Grundsatzentscheidung erforderlich. Mit Don Nachbaur, Mario Kogler (der als Nothelfer noch der Beste seit Kari Jalonen war) und Johan Lundskog ist der SCB mit den Rängen neun (zweimal) und elf in die tiefste sportliche Depression seit 1986 gestürzt.
Mit dem neuen Trainer soll eine neue Ära beginnen. Nach drei Jahren «Selbstverwaltung», bei der sich Chris DiDomenico in den letzten Wochen wie ein Spielertrainer aufführte, soll die Führung wieder an den Trainer übergehen. Oder noch einfacher: Erstmals seit dem Frühjahr 2020 soll die Mannschaft nun wieder richtig gecoacht werden. Von einem echten Bandengeneral. Also von einer starken, charismatischen, durchsetzungsstarken, allseits respektierten Trainerpersönlichkeit.
Das ist gar nicht so einfach. Ist der neue Mann zu autoritär, riskiert er den Rückhalt der Leitwölfe zu verlieren. Vermag er sich nicht durchzusetzen und führt die Mannschaft wie eine Kommune mit Selbstverwaltung, verliert der SCB den Anschluss an die Spitze. SCB-Trainer zu sein, ist wie einen Vogel in der Hand zu halten: Drücken wir zu fest zu, brechen die Flügel. Halten wir ihn zu wenig entschlossen, fliegt er davon. Zu autoritär geht nicht, zu verständnisvoll auch nicht.
Wenn über einen zu langen Zeitraum nicht mehr der richtige Trainer gefunden wird und Trainerentlassungen nicht mehr eine Ausnahme sind, sondern zur Regel werden, kann sich eine Dauerkrise entwickeln. Wie bei Lugano. Der letzte Titelgewinn (2006) liegt nun schon 16 Jahre zurück. Obwohl oft genug Talent da war, um Meister zu werden.
SCB-Manager Raeto Raffainer betont, der neue Trainer werde kein «Nothelfer» sein. Sondern eine Dauerlösung über diese Saison hinaus. Der SCB kann sich bei bedrohlich sinkendem Publikumsaufmarsch (im Schnitt nur noch 14'204 pro Spiel und weniger als 85 Prozent Stadionauslastung) nicht noch einmal eine «verlorene» Saison leisten. Die Botschaft, die mit dem Trainerwechsel verbunden ist: Erfolg hier und jetzt mit dem richtigen Trainer. Und nicht mehr der Verkauf von Hoffnung auf eine Wende in drei Jahren. Das Vertrösten auf Erfolg in späteren Jahren war marketingtechnisch der schwerste Fehler von SCB-Manager Raeto Raffainer.
Nun also ein richtiger Trainer. Der neue Mann an der Bande markiert eine Zeitenwende. Den Anfang einer neuen Ära.
Sportchef Andrew Ebbett hat in der Tat bereits richtige Trainer oder ihre Agenten kontaktiert: unter anderem Stanley-Cup-Sieger und ZSC-Meistermacher Marc Crawford (61). Dominique Ducharme (47), Stanley-Cup-Finalist mit Montréal. Vaclav Varada (46), als Spieler Weltmeister mit Tschechien und Meister mit dem HCD, zuletzt mehrfacher Meistercoach und Coach des Jahres in Tschechien. Oder Travis Green (51), letzte Saison im fünften Amtsjahr bei Vancouver gefeuert. Ein Experiment mit einem exotischen oder unerfahrenen Kandidaten kann sich der SCB-Sportchef nicht leisen.
Andrew Ebbett hat die Qual einer Wahl, die auch eine politische Bedeutung hat. Die Nordamerikaner haben für seine Situation einen treffenden Ausdruck kreiert: «Cover your ass». Der SCB-Sportchef hat sich zusammen mit Raeto Raffainer im letzten Frühjahr mit Händen und Füssen gegen eine Entlassung von Johan Lundskog gesträubt. Nun musste er den Schweden doch feuern.
Noch einmal darf sich Andrew Ebbett bei der Trainerfrage nicht täuschen. Daher muss er darauf achten, sich nach allen Seiten abzusichern («Cover your ass») und sehr gute Ausreden zu haben, wenn es wieder nicht funktioniert.
Die beste Ausrede ist der Hinweis, nach menschlichem Ermessen habe man davon ausgehen müssen, dass es die richtige Wahl war. Beispielsweise, indem er sagen kann: Aber der Mann war Stanley-Cup-Sieger und Schweizer Meister und mit unserem Hockey vertraut! Der SCB ist doch mit Nordamerikanern in der Vergangenheit meistens gut gefahren! Politisch und ausredentechnisch gesehen wäre also Marc Crawford die richtige Wahl.
Die Trainerfrage kann aber auch die Autorität von SCB-Manager Raeto Raffainer knicken. Es ist zwar Sache des Sportchefs, der Geschäftsleitung die Trainerkandidaten zu präsentieren. Aber er wird nur einen Mann vorschlagen, mit dem auch Raeto Raffainer einverstanden ist. Andrew Ebbett ist ein kluger, mit dem SCB-Innenleben vertrauter Opportunist, der seine Entscheidungen gegen oben absichert. Sein Standardspruch bei den Verhandlungen mit Spieleragenten: «Ich muss das mit ‹Raffa› besprechen. Ich melde mich wieder.»
Mit dem Segen seines Vorgesetzten, Raeto Raffainer, präsentiert Andrew Ebbett der Geschäftsleitung die Trainerkandidaten. Die finale Entscheidung fällt das Kollektiv der Geschäftsleitung. Sie besteht aus Chief Executive Officer Raeto Raffainer, General Manager Andrew Ebbett, Chief Financial Officer Richard Schwander, Chief Human Resources Officer Stefan Moser, Chief Operating Officer Rolf Bachmann und Chief Hospitality Officer Sven Rindlisbacher.
Der Vorschlag, den Andrew Ebbett mit dem Segen von Raeto Raffainer macht, ist die Grundlage der Trainer-Entscheidung der Geschäftsführung.
Und Marc Lüthi? Er hat das Management Raeto Raffainer überlassen und sich auf die Position des Präsidenten zurückgezogen. Er bestätigt: «Die Anstellung des Trainers ist Sache der Geschäftsleitung.» Reden Sie also nicht mehr mit? «Natürlich reden wir miteinander. Aber die Entscheidung fällt die Geschäftsleitung.» Als Präsident könnte er aber eine Entscheidung der Geschäftsleitung umstossen? «Ja, aber dann brauchen wir keine Geschäftsleitung mehr.»
Vor der Anstellung von Johan Lundskog hatte Marc Lüthi, damals noch Manager, eine Überprüfung des Schweden durch eine Personalberatungsfirma angeordnet. Weil er dem Vorschlag von Sportchefin Florence Schelling nicht ganz über den Weg traute. Er sagt, das werde er nicht mehr veranlassen. Was wir als Vertrauensbeweis an den neuen Manager und den neuen Sportchef werten dürfen.
Marc Lüthi ist weise, leise und altersmilde geworden. Er mischt sich tatsächlich nicht mehr ins Tagesgeschäft ein. Das ist höchst bemerkenswert für einen Mann, der seit 1997 den SCB mit seinem Führungsstil geprägt und zu einem der erfolgreichsten Sportunternehmen im Land gemacht hat.
Wie wir es auch drehen und wenden: Wenn Raeto Raffainer und Andrew Ebbett erneut auf den falschen Trainer setzen, dann gibt es keine Ausreden.
Aber erste ernstzunehmende Kritik am Chief Executive Officer und am General Manager. Und nicht nur Nostalgiker werden monieren: Es geht nach wie vor nicht ohne Marc Lüthi. Der SCB ist zu wichtig, um die Führung Raeto Raffainer und Andrew Ebbett zu überlassen.
Wieso nicht, er hat sich ja noch nie getäuscht, da er noch gar keinen Trainer eingestellt hat bislang. Lundskog war das Erbe von Raffainer und mit grosser Wahrscheinlichkeit hat auch Raffainer Lundskog im Amt gehalten im Sommer. Wie wenn Ebbett den einfach hätte entlassen können im Sommer ohne Zustimmung von oben.