Ein Blick zurück hilft uns, die Gegenwart zu verstehen. 18. April 2019. Der SCB rockt Zug im Final in Zug 3:1. Von dieser Niederlage erholen sich die Zuger nicht mehr. Zwei Tage später holen die Berner mit einem 2:1 auf eigenem Eis den Titel. Die dritte Meisterschaft in vier Jahren. Der SCB ist das Mass aller Dinge.
Kehren wir in die Gegenwart zurück. 25. Februar 2021. Der SCB hat in Zug nicht den Hauch einer Chance und verliert 1:7. Das Resultat ist erstaunlich. Der Zustand des Meisters von 2019 ist es noch viel mehr.
Dazu ein interessantes statistisches Detail: Am 18. April 2019 dominierten die Zuger mit 37:19 Torschüssen und verloren trotzdem 1:3. Gestern resultierte aus optisch-statistischer Ausgeglichenheit (26:26 Torschüsse) ein 7:1.
Der SCB war im April 2019 unter Kari Jalonen das bestorganisierte und härteste Team der Liga. Abgesichert von Leonardo Genoni. Er hütet nun den Kasten in Zug.
In weniger als zwei Jahren haben die Berner durch sportliches Missmanagement alle Vorteile verspielt. Keine Mannschaft kann auf Dauer die Liga dominieren. Aber der SCB-Absturz müsste nicht so heftig sein.
Das Fundament in Bern steht noch. Dieses Fundament ist die Leistungskultur der Kerngruppe rund um Captain Simon Moser. Bei allen Wirren in den Büros der Sportabteilung – die SCB-Kabine ist intakt geblieben. Aber auf diesem Fundament stehen nur noch taktische Ruinen aus der ruhmreichen Ära von Kari Jalonen.
Das ausgeglichene Schussverhältnis (25:26) beim 1:7 dokumentiert den Einsatzwillen und die Leidenschaft der Berner. Aber eben auch ihre taktische Verwahrlosung. Nach einem halben Jahr unter den «Operetten-Trainern» Don Nachbaur und Mario Kogler spielt der SCB defensives «Pausenplatz-Hockey». Engagiert, mutig, willig – aber defensiv wild und unorganisiert wie die Buben auf dem Pausenplatz. Logisch, dass Tomi Karhunen nach dem 4. Gegentreffer resigniert und am Ende mit einer Fangquote von 72 Prozent in die Kabine muss.
Doch das Innenleben der Mannschaft ist so gut, dass heute Abend gegen den gleichen Gegner eine heftige Reaktion möglich ist. Aber eben: Die taktische Ordnung ist dahin und für den SCB gilt mehr denn je, was über die tapferen britischen Infanteristen des 1. Weltkrieg gesagt worden ist: «Löwen, geführt von Eseln». Und schon die alten Griechen pflegten zu spotten: «Eine Armee von Hirschen, die von einem Löwen geführt wird, ist mehr zu fürchten als eine Armee von Löwen, die von einem Hirsch kommandiert wird.»
Der Meister hat gegen Spitzenteams nur dann noch eine Chance, wenn es mit immensem Energieaufwand in den Zweikämpfen gelingt, einem taktisch und spielerisch überlegenen Gegner «Pausenplatz-Hockey» aufzuzwingen. Überspitzt erklärt: Wenn sich das Spiel in Zweikämpfe «auflöst» und die spielerischen und taktischen Vorzüge der gegnerischen Mannschaft nicht mehr zum Zuge kommen.
Die Zuger haben beim 7:1 meisterliches Hockey zelebriert. Cool, präzis, hellwach, konzentriert, nie hektisch, dem Gegner in jeder Beziehung und Situation einen Schritt voraus. Und zum ersten Mal seit Menschengedenken robuster als die Berner.
Trainer Dan Tangnes stand bereits am 18. April 2019 an der Bande. Es war seine erste Saison in Zug. Am Anfang seiner Mission – ein Meisterteam aufbauen – stand also eine Niederlage. Aber auch die ruhmreiche Karriere von General Douglas MacArthur, einem amerikanischen Helden, hat einst mit einer Niederlage begonnen.
Nach dem 7:1 bleibt der Norweger so cool wie es zuvor seine Jungs auf dem Eis waren: «Wichtiger als das Resultat ist für mich die Art und Weise, wie wir auftreten.» Es gehe auch um Eigenschaften, die nichts mit Talent oder dem Salär zu tun haben: Disziplin, Engagement, Charakter. Das Spiel sei nicht perfekt gewesen. Aber mit dem Auftreten seiner Mannschaft war er zufrieden.
Auch wenn Dan Tangnes nichts von einem SCB-Komplex hören mag: dieses 7:1 gegen den Meister ist ein erster Schritt zu einem meisterlichen Selbstvertrauen. Aber nur, wenn heute Abend in Bern die Bestätigung folgt.
Eine Niederlage, wie auch immer sie zustande kommen mag, brächte die Rückkehr der Dämonen des Zweifels. Zugs Trainer überschätzt gerade deshalb dieses 7:1 nicht. Er sagt, der SCB sei ein «Sleeper». Was wörtlich übersetzt «Schläfer» bedeutet. Er meint damit: Dieser SCB ist nach wie vor ein schlafender Riese, der jederzeit aufwachen kann. Der Respekt vor einem Team, das 2016, 2017 und 2019 Meister war.
Dan Tangnes ist daran, ein Spitzenteam taktisch und spielerisch zu justieren. Berns neuer Obersportchef Raeto Raffainer hat eine ganz andere Aufgabe. Er sagt: «Ich muss auf nächste Saison die Lohnsumme um eine Million reduzieren.» Und zwar die Lohnsumme der Spieler. Das Büro der Sportabteilung, wo es erhebliches Sparpotenzial hätte, ist nicht in dieses Sparprogramm integriert.
So kommt Raeto Raffainer die «Landflucht» gar nicht ungelegen: Mit Inti Pestoni, Yanik Burren, André Heim und Miro Zryd verlassen nicht weniger als vier Nationalspieler die Hauptstadt und ziehen aufs Land hinaus in die Leventina und ins obere Emmental.
Selbst wenn der SCB gewollt hätte, wäre es wegen des Spardiktates schwierig gewesen, diese Spieler zu halten. Miro Zryd ist sogar freiwillig aus einem weiterlaufenden Vertrag abgegeben worden.
Mit diesen Abgängen ist die Million schon fast eingespart. Aber sie können nicht ersetzt werden. Raeto Raffainer sagt: «Unter diesen Bedingungen können wir keine Transfers machen.» An einen Königstransfer wie etwa Sven Bärtschi sei gar nicht zu denken. Logisch auch, dass der Agent von Lausannes Etienne Froidevaux inzwischen eine Absage bekommen hat.
Erstaunlich, dass unter diesem Spardruck der Vertrag von Kyen Sopa (20) nicht verlängert worden ist. Der ehemalige SCB-Junior hat sich in zwei Jahren in Nordamerika zu einem bissigen, guten Flügel für den dritten und vierten Sturm entwickelt und wäre ein preiswerter Mitläufer.
Er hat in Bern im Herbst keine Chance bekommen und ist nach La Chaux-de-Fonds abgeschoben worden. Dort hat er fast einen Punkt pro Spiel gebucht. Der SCB-Sportabteilung ist offenbar diese Entwicklung entgangen. Verständlich: La Chaux-de-Fonds liegt halt 69 Kilometer westlich von Bern. Es ist ein weiter Weg dorthin. Jedenfalls sagt Raeto Raffainer: «Der Entscheid, mit Sopa nicht zu verlängern, ist von Florence Schelling schon vor meiner Ankunft in Bern gefällt worden.»
Inzwischen ist Kyen Sopa doch aus dem Jura zurückgeholt worden und hat sich in den letzten elf Partien einen Stammplatz erkämpft. Aber eben: zu spät. Er muss gehen.
Unter den gegebenen Umständen wird der SCB nächste Saison nominell noch ungefähr die Schuhgrösse der Lakers oder Ambris haben.
Deshalb ist das «Rückspiel» heute Abend im Hinblick auf die Zukunft besonders interessant: mit Tomi Karhunen war der SCB in Zug chancenlos. Ist der Meister mit Philip Wüthrich, der Nummer 1 der nächsten Saison, zu einer Reaktion auf dieses 1:7 fähig?
Gewinnt Zug auch das zweite Spiel in zwei Tagen, dann werden der 25. und 26. Februar 2021 als Wendepunkt in unsere neuere Hockeygeschichte eingehen: Als die Tage, die uns gezeigt haben, dass Zug das «SCB-Trauma» überwunden hat und sich der SCB sportlich an den Lakers und Ambri orientieren muss. Daran würde auch ein Cup-Sieg nichts ändern.
Aber junge Swissleague Topperfomer sollte man problemlos ins Team einbinden können. Bei ZSC und EVZ funktioniert dies schliesslich sehr gut.
Und Yanik Burren, André Heim und Miro Zryd als Nationalspieler zu bezeichnen, passt vielleicht am 1. April. An den restlichen 355 Tagen ist es ein schlechter Scherz. (Was wiederum zum 1. April passt). So gesehen hätte jedes NLA Team mind. 15 Nationalspieler.
Erst hast du geschrieben, Bern kann froh sein gibt es keinen Absteiger, diesen Monat hast du sie zum Meisteranwärter gekürt und jetzt sind wir wieder am Anfang.
Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.
Ich habe letztes Mal schon geschrieben, eine Schwalbe macht noch keinen Frühling.
Einzelne Spiele sagen wenig aus, deshalb spielt man ja die ganze Quali.