In den ersten 20 Sekunden auf beiden Seiten je ein Pfostenschuss. Der Puck rutscht und fliegt hin und her. Fast wie beim Tennis.
So wird es bis zur letzten Sekunde gehen. Mit drei annullierten Treffern für Langnau und als Finale fünf Tore im Schlussdrittel. Spektakel also. Mit 32:37 Torschüsse. Der Held des Abends ist Oskars Lapinskis. Der lettische Nationalspieler mit Schweizer Lizenz, der pro Saison in der National League noch nie mehr als drei Treffer erzielt hat, trifft zum 3:3 und zum 4:3.
Ein Phänomen, fast (aber doch nicht ganz) so selten wie Nordlicht über der Schrattenfluh, zeigt, dass diese Partie ein besonderes Schauspiel war. Wenn ein Spiel zu Ende ist, streben die Besucherinnen und Besucher sofort den Ausgängen zu. Entweder um zügig, aber ohne Hast die parkierte Benzinkutsche zu erreichen und zu besteigen oder sie eilen in den Tigersaal zu einem Bierchen oder Entlebucher Kaffee (mit Schnaps). «Stalldrang», in der Sprache der alten Bauern. Deshalb gibt es sogleich nach der letzten Sirene ein Gedränge.
Nur ganz, ganz selten bleiben alle nach vollbrachtem Schauspiel noch einen Moment auf ihren Plätzen. Wie einst nach einem Gottesdienst in der Kirche zu Lützelflüh, wenn auch die aufmüpfigsten Bauern nach einer donnernden Predigt von Pfarrer Gotthelf die eindringlichen Bibelworte noch eine Weile wirken lassen mussten. Bevor sie sich dann doch noch an die Wirtshaustische setzten. Noch fünf Minuten nach Spielschluss gibt es im ausverkauften Hockey-Tempel an der Ilfis kein Gedränge. Noch immer applaudieren fast alle auf ihren Plätzen.
Es war ja wahrlich ein donnerndes Spektakel gegen ein starkes Davos. Zwei im positiven Sinne «geladene» Teams, die auf den Zehenspitzen stehen, jede Gelegenheit zur Vorwärtsbewegung nützen und sich in den Zweikämpfen auf offenem Eis, entlang den Banden und im Infight vor den Toren nichts schenken.
«Rüfenacht-Hockey», sagte ein gewitzter Matchbesucher, der oben auf der Medientribüne den einstigen meisterlichen SCB-Vorkämpfer Thomas Rüfenacht entdeckt hatte, der in seiner neuen Funktion als Spieleragent mit seinem Sohn dem Spiel beiwohnte. Rüfenacht Junior hatte von der ersten Minute an einen Sieg der Langnauer prophezeit.
Oskars Lapinskis erzwingt mit dem 3:3 (53. Minute) und 4:3 (56. Minute) die Entscheidung. Am 16. November hatte er in Biel sein bisher einziges Tor in dieser Saison erzielt. Das 1:0 in der 19. Minute und die Langnauer siegten 1:0. Wenn Oskars Lapinskis trifft, gewinnen die Langnauer. Er ist ein Mann aus der 4. Linie mit limitierter Eiszeit.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Aus dem Minimum von 8:41 Minuten, die ihm der Trainer zugesteht, holt er gegen Davos mit zwei Treffern ein Maximum heraus. Saku Mäenalanen machte aus mehr als doppelt so viel Eiszeit (20:41 Minuten) keinen einzigen Skorerpunkt. Eine Lohnerhöhung gibt es trotzdem nicht. Lapinskis Agent Sven Helfenstein, sonst ein Lohntreiber vor dem Herrn, hat sich im Oktober von Sportchef Pascal Müller zu einer vorzeitigen Verlängerung bis 2027 überreden lassen. Der Lette war am Samstag der kostengünstigste Doppeltorschütze der Liga. Und wird zur Symbolfigur für Langnaus neue Zuversicht.
Oskars Lapinskis kommt, inspiriert von Ivars Punnenovs, im Alter von 14 Jahren aus Lettland nach Langnau. Exakt in dem Alter, in dem die Bauernbuben im Emmental endlich mit dem Töffli fahren und die Welt draussen im Flachland entdecken dürfen, verlässt der Lette seine Heimat Riga und kommt in ein fremdes Land, um die Welt zu erobern. Obwohl er natürlich nicht mit dem motorisierten Zweirad angereist ist, dürfen wir sagen: der Mann, der einst mit dem Töffli nach Langnau gekommen ist. Er hat seine Karriere im Emmental bei den Mini-Junioren begonnen und lebte in der vom Klub sorgsam betreuten WG.
«He plays bigger than his size» ist eines der grössten Komplimente der Nordamerikaner und steht für den Willen und die Leidenschaft, mehr herauszuholen, als es die Postur vermuten liesse. Oskars Lapinskis ist von durchschnittlicher Statur (180 cm/80 kg) und wirkt ohne Ausrüstung schmal und schmächtig wie ein Unihockey-Spieler. Er ist im hockeytechnischen Sinne alles andere als «böse» oder einschüchternd. Dafür fehlt ihm die Postur. Mehr wie Joel Wicki, weniger wie Christian Stucki.
Die Langnauer haben in den letzten Jahren immer und immer wieder eine vielversprechende Ausgangslage in der entscheidenden Phase der Qualifikation doch noch preisgegeben. Statt die schon sicht- und greifbaren Playoffs oder Pre-Playoffs oder Play-Ins (die Bezeichnung wechselt sozusagen Jahr für Jahr) zu erreichen, stiessen sie an eine gläserne Decke. Erneut waren sie auch jetzt wieder mit sechs zum Teil schmählichen Niederlagen im Januar auf dem besten Weg, durch Genügsamkeit zu scheitern.
Aber Thierry Paterlini ist drauf und dran, den Langnauern die Dämonen der Genügsamkeit auszutreiben: Nach sechs Niederlagen in Serie ein 4:1 gegen die Lakers und nun zwei weitere unerwartete Siege. Nach Verlängerung in Fribourg (5:4) und 24 Stunden später gegen Davos (4:3).
Oskars Lapinskis führt seinen persönlichen Kampf gegen eine «gläserne Decke»: Dreimal hintereinander ist er nach dem letzten Testspiel doch noch aus Lettlands WM-Team gestrichen worden. Einmal wegen einer Handverletzung, zweimal weil er nicht gut genug war. «Aber eigentlich war ich gut in Form …»
Die Olympischen Spiele 2026 in Italien und die WM 2026 in der Schweiz sind nun seine grossen Ziele. Wer mit den Langnauern in die Playoffs oder Pre-Playoffs oder Play-Ins kommt (die Bezeichnung wechselt, wie gesagt, sozusagen Jahr für Jahr), wird es dann auch ins lettische WM- und Olympiateam schaffen.
Lapinskis trägt die Nummer 13. Eigentlich eine Unglückszahl und das könnte ja ein Grund für sein Nationalmannschafts-Pech sein. «Ja, ja, ich weiss, dass das eigentlich eine Unglückszahl ist.» Aber er habe sie trotzdem und ein bisschen gerade deswegen gewählt. Symbolisch für einen jungen Mann, der gewillt ist, gegen alle vermeintlichen Widerstände seinen Weg zu machen.
Weil er schon mit 14 nach Langnau gekommen ist, spricht er praktisch akzentfreies Berndeutsch und unsere Schriftsprache musste er dann erst nach und nach erlernen. Als fünfte Sprache neben Lettisch, Russisch, Englisch und ein wenig Französisch. So hat er auf der Geschäftsstelle der Langnauer erfolgreich seine KV-Lehre abgeschlossen.
Nun kommt die Ziellinie Playoffs oder Pre-Playoffs oder Play-Ins (die Bezeichnung wechselt, wie wir wissen, sozusagen Jahr für Jahr) in Sichtweite. Die Entscheidung dürfte diese Woche fallen: Am Dienstag die Reise nach Lausanne, am Mittwoch kommen die ZSC Lions, am Freitag gastiert der SC Bern (hoffentlich hütet dann Stéphane Charlin das Tor) und am Sonntag die Partie in Lugano.
Sechs Spiele in zehn Tagen. Das verrückteste Programm der Langnauer Hockeygeschichte (seit 1946). Ein Zeichen, dass die Playoffs oder Pre-Playoffs oder Play-Ins (die Bezeichnung kann man sich einfach nicht mehr merken, weil sie sozusagen Jahr für Jahr ändert) erreicht werden können: Zum ersten Mal seit Menschengedenken jammert niemand über den Spielplan, den ja jeder Klub im Sommer durch Unterschrift bestätigt.
Vielmehr heisst es jetzt kämpferisch, ganz im Sinne von Oskars Lapinskis: kein Problem. So bleiben wir im Rhythmus. Auf nach Lausanne! Die Zürcher und der SCB sollen nur kommen! Dann bodigen wir auch noch Lugano! Und wenn nicht? Dann war die Zuversicht halt ein Irrtum.