Die Parallele ist nicht zu übersehen. Arno Del Curto (61) und Luca Cereda (36) haben ihre Jobs nur bekommen, weil ihre Klubs sparen mussten bzw. sparen müssen.
Davos kann im Frühjahr 1996 die damalige schwedische Trainer-Ikone Mats Waltin nicht mehr bezahlen. Also wird der Vertrag mit dem Schweden nicht verlängert. Den Job bekommt Arno Del Curto. Er war soeben mit Luzern in die NLB aufgestiegen.
Auch Ambris grosser Vorsitzender Filippo Lombardi wird erst durch die finanzielle Not seines Klubs endlich auf den richtigen Weg gebracht. Also wählt er im Jahre des Herrn 2017 eine helvetische Lösung: Paolo Duca als Sportchef und Luca Cereda als Trainer.
Es gibt eine weitere Parallele. So wie Arno Del Curto setzt auch Luca Cereda seine ganz eigenen Vorstellungen durch. Er hat nicht ein kanadisches, schwedisches oder tschechisches Konzept übernommen. Er hat seine eigene Philosophie entwickelt, die im Grunde die kreativen Spektakel-Elemente aller Eishockey-Kulturen verbindet und zu einem Spiel ohne taktische Grenzen führt: im Zweifelsfalle vorwärts.
Diese Hockeyphilosophie ist riskant, mutig und spektakulär. Luca Cereda steht damit im Herbst 2017 im Gegensatz zum grossen taktischen Technokraten Kari Jalonen.
Das hat es so in unserem Hockey wahrscheinlich noch nie gegeben: der Trainer des nominell schwächsten Teams der Liga riskiert alles und versucht dem Tabellenende davonzustürmen. Der Trainer des Titelverteidigers, des nominell wohl besten Teams der Liga spielt ein extremes Sicherheitshockey und erstickt das Spiel mit seinem Defensivkonzept und versucht, möglichst jedes Risiko zu vermeiden.
Der mutige Aussenseiter bereichert die Liga. Der himmelhohe Favorit und Titelverteidiger langweilt inzwischen selbst gegen ein saft- und kraftloses Biel mit konservativem Hockeyschach. Nach dem Motto: «Safety first».
Klar, die letzte Wahrheit steht oben auf der Resultat-Anzeige. Kari Jalonen ist durchschlagend erfolgreich. Wie einst John Slettvoll, der taktische Architekt des «Grande Lugano» mit den vier Titeln von 1986, 1987, 1988 und 1990. John Slettvoll scheiterte schliesslich, weil er es mit seinem Wahn zur Spielkontrolle und zum totalen Defensivhockey übertrieb.
Wer in diesem Herbst mitreissendes, erfrischendes Hockey mag, besucht ein Spiel von Luca Ceredas Ambri und nicht eine lauwarme Vorstellung von Kari Jalonens SC Bern. Es gibt keine Mannschaft, die so mutig auf Tempo, Offensive und Forechecking setzt wie Ambri.
Der verdiente Lohn für dieses Risiko, der vorläufige Höhepunkt dieser neuen Welle aus der Leventina, war das 7:5 gegen den HC Davos. So viel Mut hatte noch nicht mancher Bandengeneral: Luca Cereda nimmt gegen Davos den Torhüter bei 39:58 raus und ersetzt ihn durch einen sechsten Feldspieler und 39:59 trifft Diego Kostner zum 5:4.
Cereda setzt sein Konzept kompromisslos um. Ohne Rücksicht auf grosse Namen und vergangenen Ruhm. Selbst der Titan Thibaut Monnet mit mehr als 1000 spielen Erfahrung muss zwischendurch auf die Tribüne. Seine Füsse sind nicht mehr schnell genug für das neue Ambri.
Und den Jugendstil setzt Ambri auch bei seinem Farmteam um. Die Ticino Rockets zelebrieren in der zweithöchsten Liga das gleiche Lauf- und Energiehockey wie Ambri in der National League. Am Sonntagabend haben sie in Langenthal einen Titanen ins Wanken gebracht. Der nominell klar bessere Titelverteidiger kam mit dem bissigen Forechecking des Aussenseiters nie zurecht und konnte sich erst im Penalty-Schiessen durchsetzen.
Ein Schweizer ist der modernste Trainer, der Trendsetter unseres Hockeys. Stürmt Luca Cereda mit diesem «totalen Hockey» am Ende gar in die Playoffs? Das hängt vor allem von drei Faktoren ab: Erstens: haben die Spieler genug Energie für dieses anspruchsvolle Hockey? Zweitens: kann Torhüter Benjamin Conz sein Leistungsniveau halten? Drittens: gelingt es, die Laufmeter in Tore umzumünzen? Das ist beim limitierten Talent schwierig.
Es ist im Gesamtinteresse unseres Hockeys, dass dieses gewagte Experiment des taktischen Mutes und der finanziellen Vernunft mit einem Schweizer Sportchef und einem Schweizer Trainer gelingt.
Ambri ist in diesem Herbst für unser Hockey wichtiger als der SC Bern.