Auf bittere Niederlagen gibt es unterschiedliche Reaktionen der Trainer: schweigen oder mürrisch in Baukasten-Sätzen reden oder die ganze Sache mit Grandezza kommentieren. Schweigen und Baukasten-Sätze sind die Regel. Grandezza eigentlich in Zeiten der Playoffs eher die Ausnahme.
Biels Trainer Antti Törmänen entscheidet sich für Grandezza. Er spricht kaum eine Viertelstunde nach Spielschluss schon fast mit pastoraler Ruhe über das 2:3 und die Aussichten nach dieser Niederlage. Keine Ausreden. Und auf die Frage, wie schlimm es um die Verletzung von Damien Brunner stehe, redet er nicht um den heissen Brei herum und sagt, er rechne im Viertelfinale nicht mehr mit ihm: «Er fällt aus.» Damien Brunner hatte magistral das 1:0 für Biel vorbereitet und musste nach einem Zusammenstoss mit Jesse Zgraggen (kein Foul) das Eis kurz vor Ende des zweiten Drittels humpelnd verlassen.
Das bedeutet, dass von der eidgenössischen Paradelinie (Künzle, Cunti, Brunner) im nächsten Spiel am Freitag in Biel nur noch Luca Cunti zur Verfügung steht: Mike Künzle sitzt seine zweite Sperre ab, Damien Brunner fällt aus. Grund zum Klagen. «Nein», widerspricht Antti Törmänen. «Damit muss man in den Playoffs rechnen. Nun bekommen andere eine Chance.» Aber es ist halt schon ein Unterschied, ob Mike Künzle (in der Qualifikation 26 Punkte), Damien Brunner (32 Punkte) oder einer wie Yannick Stampfli (6 Punkte) neben Luca Cunti stürmt. Auch das lässt Biels Trainer nicht gelten. Eine grössere Motivation als in den Playoffs über sich hinauszuwachsen gebe es nicht. Wo er recht hat, da hat er recht: Der Ausfall eines Titanen ist immer für einen «Nobody» die Chance, ein Held zu werden.
Die interessanteste Antwort hat Antti Törmänen auf die eher philosophische Frage, ob dramatische Niederlagen tief in der DNA seiner Mannschaft programmiert seien und sich die Geschichte nun wiederholen werde. 2019 verliert der Finne mit Biel den Halbfinal gegen den SCB nach einer 2:0- und 3:2-Führung 3:4. Vor einem Jahr scheitern die Bieler nach einem 2:0 und 3:2 am Ende doch 3:4 gegen die ZSC Lions. Und jetzt haben sie wiederum mit Antti Törmänen gegen den SCB soeben eine 2:0-Führung aus der Hand gegeben. Der SCB hat zum 2:2 ausgeglichen.
Wiederholt sich also die Geschichte? Ist Biel wieder auf dem direkten Weg zu einem bitteren Playoff-Scheitern? Antti Törmänen sagt: «Die Geschichte mag sich wiederholen. Aber am Ende steht nicht immer das gleiche Resultat …» Auch da gilt: Wo er recht hat, da hat er recht. Ein grosser Philosoph hat einmal gesagt: Auch wer die Vergangenheit kennt, weiss nicht, was auf ihn zukommt. Also müssen wir das Undenkbare neu denken: Biel schafft es trotzdem.
Schon vor dem Viertelfinal war es Pflicht, das Undenkbare zu denken: Der SCB kommt weiter. Biel war hockeytechnisch schon fast himmelhoher Favorit: mehr Punkte (101/SCB 74), mehr Plustore (174/SCB 150), weniger Gegentreffer (132/SCB 158). Seit Jahren innenpolitische Ruhe, während der SCB auch diese Saison den Trainer ausgewechselt hat. Alle erdenklichen Vorteile für Biel. Ein Weiterkommen der Stadtberner also das Undenkbare.
Ab sofort ist alles anders: Im Wissen um das dramatische Scheitern der Bieler in den letzten drei Jahren ist nun klar: Der SCB packt es. Auf einmal spricht alles gegen Biel.
Wie 2019 und wie 2022 ein 2:0 aus der Hand gegeben. Die Dämonen der Vergangenheit und der Selbstzweifel sind zurück. Die beste Sturmlinie ohne Ausländer (Künzle/Cunti/Brunner) steht nicht mehr zur Verfügung.
Selbst Harri Sätteri, bis zu dieser vierten Partie statistisch der beste Playoff-Goalie und mit dem Renommee, einer der besten letzten Männer ausserhalb der NHL zu sein, vermag den Sieg nach einer 1:0-Führung nicht festzuhalten und muss sich eine enttäuschende Fangquote (89,22 Prozent) notieren lassen. Bis am Dienstag galt: Spielt der Finne, verliert der SCB. Vier von sieben Derbys hat der SCB diese Saison verloren. Die drei Siege gelangen gegen Joren Van Pottelberghe und Simon Rytz. Nun ist der Bann gegen den Weltmeister und Olympiasieger gebrochen und Philip Wüthrich war erstmals besser.
Dominik Kahun spielt endlich, endlich dann, wenn es darauf ankommt, sein bestes Hockey.
Chris DiDomenico ist wie beim 5:3 am Samstag in Biel schon zum zweiten Mal hintereinander ohne Sünde (keine Strafe) und ein disziplinierter spielerischer Sozialist ganz im Dienst der Mannschaft: ein Musterprofi ohne Fehl und Tadel.
Der Berner Hockey-Tempel ist gegen Biel ausverkauft. Zum ersten Mal in dieser Saison ist die Energie von den Zuschauenden auf die Spieler übertragen worden.
Nun ist der SCB auf einer Mission: Mit zwei Siegen gegen Biel ist es möglich, fast vier Jahre der Irrungen und Wirrungen mindestens für ein paar milde Frühlingstage weit, weit hinter sich zu lassen und alle Kritiker Lügen zu strafen. Mit zwei Siegen gegen einen Rivalen, gegen den noch nie in der Geschichte eine Playoff-Serie verloren gegangen ist.
Noch Fragen? Eine stärkere Motivation und bessere Voraussetzungen sind nicht denkbar.
Die Ausgangslage nach dem 2:2 ist also psychologisch eine ganz andere als 2019 und 2022. Biel, als hockeytechnischer Favorit in diesen Viertelfinal gestartet, ist auf einmal auf der ganzen Linie ein Aussenseiter. Nun ist das Undenkbare nicht mehr ein SCB-Weiterkommen. Sondern ein Triumph der Bieler.
Dass zum ersten Mal in den Playoffs alles ganz anders sein wird: Das ist Biels grosse und nicht einmal ganz unberechtigte Hoffnung.
Trotzdem schön zu sehen beim SCB was möglich ist, wenn sich ein DiDo in den Dienst der Mannschaft stellt, ein Kahun (einer der besten Ausländer der Liga meiner Meinung nach) endlich performt und Wüthrich ein Spiel ohne Aussetzer hat.
Lasst die Kopfspiele beginnen!