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Er quält sich gerade durch einen Verkehrsstau in der Stadt Zürich und sagt, er rufe zurück, wenn er da endlich rausgekommen sei. Eine Momentaufnahme mit Symbolcharakter. Martin Gerber verlässt Kloten, verlässt den Grossraum Zürich. Der Hockey-Weltreisende hat genug vom Verkehrsdichte-Stress.
Er gibt auch seinen Zweitwohnsitz in Zug auf zieht sich in seine Heimat Langnau zurück. Dort hat er an bester Lage beim idyllischen «Äntelipark» (Park der Enten) im Dorf längst ein wunderbares altes Haus gekauft, renoviert und dort fühlen sich seine Lebenspartnerin und seine Kinder wohl. Martin Gerber kehrt heim und er sagt: «Ich will meine Kinder aufwachsen sehen.»
Er wird voraussichtlich in Langnaus Nachwuchsabteilung seine Trainer-Karriere beginnen. Sportchef Jörg Reber sagt: «Wir haben uns darüber unterhalten». Martin Gerber bestätigt: «Ja, das könnte etwas sein.»
Sollte Pascal Müller, auch ein Langnauer, Kloten verlassen und Sportchef bei den ZSC Lions werden, dann könnte doch Martin Gerber im Sportchef-Büro in Kloten Platz nehmen. Oder? «Nein, ganz sicher nicht. Dann bin ich wieder ständig unterwegs. muss ständig in Zürich sein und sehe meine Familie wieder nicht.»
«Tinu» kann seine Zukunft gelassen planen und ist nicht auf sofortigen bezahlten Broterwerb angewiesen. In Amerika, Schweden, Russland und der Schweiz hat er gutes Geld verdient. Aufwändig hat er nie gelebt. Er hat nie vergessen, woher er gekommen ist. Weil ihn einst die Langnauer als untauglich fürs grosse Hockey taxierten, musste er in der 2. Liga bei Signau beginnen und teilte sich den Job mit «Budi» Pfister, heute Bankprokurist im beschaulichen Huttwil.
Den Klubbeitrag, die Ausrüstung und alle Trainingscamps hatte er selber zu bezahlen. Nun dürften auf seinem Bankkonto gegen zehn Millionen lagern. Er hat alleine in der NHL in etwas mehr als 250 Partien exakt 13,164 Millionen Dollar verdient, und er musste auch bei seinen Gastspielen in Schweden, Russland, Langnau und zuletzt Kloten nicht darben. Er hat seine Vermögensbildung abgeschlossen.
Martin Gerber ist am 3. September 42 Jahre alt geworden und war letzte Saison einer der besten alten Torhüter der Welt. Nach wie vor hat er für Kloten 31 Partien bestritten und mehr als 90 Prozent der Schüsse abgewehrt. Er wäre immer noch gut genug als Nummer zwei in der NLA oder gar als Nummer eins in der NLB. Doch er macht Schluss, meidet aber Wörter wie «Karriereende, Schluss».
Er umschreibt seinen Rücktritt und das kommt aufs Gleiche heraus. Als wolle dieser ewige Spieler tief im Herzen immer noch nicht wahrhaben, dass eine aufregende Zeit zu Ende ist. Aber er sagt: «Ich habe keinen Vertrag mehr und kann auch keinen neuen Vertrag unterschreiben. Ich muss ja erst wieder gesund werden und das kann noch lange bis in den Herbst hinein dauern. Ich habe meine Gehirnerschütterung nach wie vor nicht auskuriert.»
So ist nun eine der grössten Karrieren unseres gesamten Sportes heimlich, still und leise zu Ende gegangen. Kein offizieller Abschied nach dem letzten Spiel in Kloten, kein Händeschütteln, keine Ansprachen. Martin Gerber verlässt die grosse Bühne nachdem die Scheinwerfer längst abgeschaltet sind durch die Hintertür. So wie es seiner freundlichen, bescheidenen, sanften und klugen Art entspricht.
Eine Karriere, die aus der zweiten Amateurliga hinauf auf die allerhöchsten Gipfel, bis zum Stanley Cup und in den WM-Final geführt hat, ist zu Ende. Martin Gerber war zwar nie Schweizer Meister wie so viele unserer anderen grossen Goalies der Neuzeit (wie Pavoni, Tosio, Rüeger, Bührer, Berra, Genoni). Das Finale mit Kloten hat er 2014 mit Kloten verloren.
Aber Martin Gerber war Aufsteiger mit Langnau, Champion in Schweden, er brachte im Sommer 2006 den Stanley Cup in den «Hirschen» nach Langnau und er ist der einzige Schweizer Torhüter der Geschichte, der einen WM-Final bestritten hat (2013 1:5 gegen Schweden).
Martin Gerber hat die Welt gesehen wie kein anderer Hockey-Schweizer: Er spielte für Klubs aus Signau, Thun, Langnau, Karlstad, Anaheim, Cincinnati, Raleigh, Ottawa, Binghampton, Toronto, Edmonton, Oklahoma, Växjö, Ängelholm, Moskau – und zuletzt Kloten. Er bestritt 143 Länderspiele und diente der Nationalmannschaft bei neun WM-Turnieren (2000, 2001, 2002, 2004, 2005, 2008, 2009, 2011 und 2013) und bei zwei Olympischen Spielen (2002 und 2006).
Und er war der Held in einem der grössten Spiele aller Zeiten. Am 18. Februar 2006 besiegten die Schweizer beim olympischen Turnier in Turin die kanadischen NHL-Profis 2:0 und wehrten gegen die besten Stürmer der Welt sage und schreibe 49 Schüsse ab. Die Schweizer kamen zu 18 Abschlussversuchen.
In der offiziellen Geschichtsschreibung des Welteishockeyverbandes (IIHF) zählt diese Partie zu den grössten 100 Momenten aller Zeiten (ganz genau als momentane Nummer 87). Es ist bis heute die sensationellste Pleite der NHL-Superstars (deren General Manager in Turin Wayne Gretzky war) und der grösste Sieg einer Schweizer Nationalmannschaft. Martin Gerber spielte die zweitbeste Partie seines Lebens. Die beste war zugleich die wichtigste: zum Auftakt der Auf/Abstiegsrunde verhexte er im Frühjahr 1998 im Tor von Langnau den NLA-Vertreter La Chaux-de-Fonds.
Die Emmentaler waren in der NLB-Qualifikation bloss auf Rang 4 gekommen, sie gewannen überraschend die NLB-Meisterschaft, siegten als krasse Aussenseiter zum Auftakt der Auf/Abstiegsrunde gegen La Chaux-de-Fonds 4:1 und legten den Grundstein für den völlig unerwarteten Wiederaufstieg. In den NLB-Playoffs 1998 erzielte Martin Gerber gegen Martigny auch als erster Schweizer Goalie ein Tor.
Hätte Martin Gerber diesen Sieg nicht möglich gemacht, gäbe es mit ziemlicher Sicherheit in Langnau keinen rundherum erneuerten Hockeytempel und keine NLA-Mannschaft mehr. Er hat eben Dorf-, Schweizer und Welthockey-Geschichte geschrieben.
Keine schlechte Karriere für einen Buben aus dem Emmental.