Die ZSC Lions sind der einzige Klub, der den Verlust von Leonardo Genoni verkraftet hat. Das war 2007. Aber damals war er erst 20. Ein Junior. Und wechselte mit seinem gleichaltrigen Klubkollegen Reto Berra zu Davos.
Er machte Davos zum Meister, er machte den SCB zum Meister. Weder Davos noch der SCB sind seit dem Abgang von Leonardo Genoni Meister geworden oder in den Final gekommen. Dann hat er beschlossen, Zug zum Meister zu machen und holte die Titel von 2021 und 2022. Nach wie vor hütet er das Tor in Zug.
Kann Patrick Fischer auch ohne Zugs letzten Mann bei der WM eine Medaille gewinnen? Ist Leonardo Genoni überhaupt noch dazu in der Lage, ein Medaillen-Goalie zu sein?
Vieles hat sich vor der WM um diese Frage gedreht. Weil zum ersten Mal die Dämonen des Zweifels aufgetaucht sind. Der siebenfache Meister war nicht mehr dazu in der Lage, im Playoff-Viertelfinal für Zug gegen Davos die Differenz zu machen. Und zum ersten Mal in seiner Karriere zwickten ihn Blessuren. Nur 22 Einsätze während der Qualifikation. So wenige wie noch nie. Der «Eiserne», der eigentlich noch nie verletzt war, wirkte auf einmal zerbrechlich.
Und nun ist er bei der WM wieder der ruhende Pol. Der wahre Genoni. In Medaillenform. Wie ist das möglich?
Er ruht im Gespräch in sich selbst. So wie bei dieser WM auf dem Eis. Unerschütterlich und aufmerksam. Wollte er diese WM unbedingt bestreiten, um die Dämonen des Zweifels zu verscheuchen? Die WM als «Therapie» für die enttäuschende Saison in Zug? Bei der WM eine Antwort auf die Frage finden, ob er nach wie vor der wahre Leonardo Genoni sein kann? Eine naheliegende Frage nach der ernüchternden Saison mit Zug. «Nein, so ist es nicht. Ich war diese Saison nie unter Druck und ich hatte nie Zweifel. Der Heilungsprozess dauerte zwar etwas länger als erwartet. Aber man hat mich in Zug nie zu einem Einsatz gedrängt und mir Zeit gelassen.» Die WM sei nun eine Zugabe. Patrick Fischer habe ihn aufgeboten, aber keine Einsätze garantiert. «Das macht er sowieso nie und das wäre auch nicht in meinem Sinne.»
Hatte er denn nie Zweifel? Er musste eine Adduktorenblessur auskurieren. Eigentlich ein Alptraum der Torhüter. Leonardo Genoni glaubt nicht, dass diese Verletzung heikel ist. «Aber ich habe mir diese Verletzung nicht bei einer Parade zugezogen.» Wo dann? «Einfach nicht im Spiel und deshalb war das nie ein Problem für mich.»
In Herning haben sich Leonardo Genoni und Stéphane Charlin in den Gruppenspielen die Arbeit geteilt. Der Beste aus der Vergangenheit mit dem Stil von gestern und der talentierteste der Zukunft mit dem Stil von heute und morgen. Leonardo Genoni ist sozusagen der Letzte seiner Art. «Das können Sie durchaus so sagen. Die Goalies sind grösser geworden …» Blocker, die viel Fläche abdecken. Titanen. Weil die Stürmer die Pucks viel präziser und härter auf das Tor dreschen. Die besten sogar mit Direktschüssen. «Vergleiche mit früher sind immer schwierig», sagt Leonardo Genoni. «Aber heute ist ein anderer Stil gefragt. Die Torhüter der 1990er Jahre hätten heute wahrscheinlich keine Chance mehr.»
Was damit gemeint ist: Der letzte Mann kann sich heute nicht mehr allein auf seine Reflexe verlassen. Winkelspiel und Grösse – im Idealfall 190 Zentimeter oder mehr – sind als Gegenmittel gegen die stark verbesserte Schussqualität unabdingbar geworden. Stéphane Charlin ist der Prototyp dieses modernen Stils. Neun Zentimeter grösser als Leonardo Genoni. Mit der Postur eines Titanen.
Und doch kann sich der «alte Stilist» Leonardo Genoni auf höchstem internationalem Niveau immer noch behaupten. Seine Statistik bei dieser WM ist famos. Er hat 93,60 Prozent der Pucks abgewehrt. Nach einem durchzogenen Start gegen die Tschechen (4:5 n.V.) spielt er dann wieder sein bestes Hockey: 3:0 gegen die USA, 5:1 gegen Deutschland, 10:0 gegen Ungarn und 6:0 im Viertelfinal gegen Österreich.
Wie ist das möglich? Sein Erfolgsgeheimnis sind nicht die Reflexe, nicht die Postur. Es ist die Spielintelligenz, kombiniert mit einer immensen Erfahrung auf über 900 Liga-Spielen und mehr als 40 WM-Einsätzen. Leonardo Genoni ist ein mitspielender Goalie. Weil er sehr oft die Spielzüge im Voraus erahnt, ist er eben schon da, wo der Puck hinkommt. Wie bei der Fabel vom Hasen und dem Igel.
Diese Einschätzung findet er durchaus passend. «Ja, ich bin ein mitspielender Torhüter. Das gehört zu meinem Stil.» Wer mitspielen will, muss dazu in der Lage sein, das Spiel zu lesen. Wer sagt, Leonardo Genoni sei bei dieser WM der Goalie mit der vielleicht grössten Spielintelligenz, irrt sich nicht. Ein wenig mahnt er an eine elegante Version von Dominik Hasek. Ganz nebenbei: Er ist exakt gleich gross (182 Zentimeter) wie der tschechische Kultgoalie.
Dominik Hasek, Olympiasieger (1998), zweimal Stanley Cup-Sieger, war der letzte ganz grosse Goalie der alten Schule. Sein letztes Titelturnier für Tschechien spielt er 2006 (Olympische Spiele) im Alter von 41 Jahren. Er war 43 in seiner letzten Saison und dem zweiten Stanley Cup-Triumph mit Detroit. Mit 45 beendete er seine Karriere nach einer formidablen Saison in der KHL definitiv.
Spielt auch Leonardo Genoni mit 45 noch? Sein Vertrag in Zug läuft bis 2027. Im August 2027 wird er 40 sein. Noch einmal verlängern bis 2032? Wohl eher nicht. But Time will tell.
Spielintelligenz rostet nicht. Leonardo Genoni rostet nicht. Und dazu kommt das Urvertrauen, das Patrick Fischer seinem doppelten «Silber-Goalie» von 2018 und 2024 entgegenbringt. Er sagt: «Leo bringt Ruhe und Sicherheit in unser Spiel.» Ruhe und Sicherheit sind beim Defensivspiel die erste Bürgerpflicht. Es scheint, dass auch die Spieler ein «Urvertrauen» in Leonardo Genoni haben.
Stéphane Charlin, als WM-Neuling in der Rolle des Zauberlehrlings, hat seine Sache in Herning auch gut gemacht. Beim 5:2 gegen Dänemark, beim 3:0 gegen Norwegen, beim 4:1 gegen Kasachstan und einer Gesamt-Fangquote von 93,00 Prozent.
Aber wird Patrick Fischer in einer der beiden ausstehenden Partien in Stockholm (Halbfinal, Final oder Bronze-Spiel) Stéphane Charlin dem 13 Jahre älteren Leonardo Genoni vorziehen? Den Umbruch wagen? 2023 haben ihn die Hockey-Götter bestraft, als er im Viertelfinal gegen Deutschland auf Robert Mayer statt Leonardo Genoni setzte.
Leonardo Genoni ist mit Abstand der erfolgreichste Torhüter unserer Geschichte. Sieben Mal Meister (mit Davos, dem SCB und Zug), drei WM-Viertelfinals gewonnen (2018, 2024, 2025), zweimal im WM-Final (2018, 2024). Was noch fehlt: ein WM-Titel und eine Heim-WM.
Beides ist nach wie vor möglich. In Leonardo Genoni we still trust.