Kürzlich hat ein alter Bekannter Marc Lüthi einen Wettbewerb vorgeschlagen: Wer auswendig und spontan alle Transfers aufsagen kann, die der SCB während der laufenden Saison schon getätigt hat, bekommt ein Sitzplatzabo für nächste Saison. Wahrscheinlich müsste keines ausgehändigt werden. Marc Lüthis Reaktion auf diesen schon etwas respektlosen Vorschlag war keineswegs Unmut oder gar Zorn. Eher stiller Fatalismus. Wohlwissend, dass der Trainer gegenwärtig beim SCB grösser und wichtiger ist als der Manager.
Das Protokoll des Kommens und Gehens in Bern seit September – ohne Gewähr, dass alle Namen aufgeführt sind – ist halt schon eindrücklich: Joona Luoto (in), Mika Henauer (out), Julius Honka (out), Martin Frk (out), Jesse Zgraggen (out), Ville Pokka (in), Marco Maurer (in) und Simon Kindschi (in). Das Gerücht, bei der SCB-Kabine werde eine Drehtüre montiert, ist tatsächlich nur ein Gerücht. Ein boshaftes sogar.
Bereits sind neun von zehn Ausländerlizenzen verbraten. Viel Transfer-Geschrei und wenig Wolle sagen die Berner zu solchem Leerlauf. Die Redewendung geht übrigens auf eine alte Sage zurück, als der Teufel vergeblich versuchte, eine Sau zu scheren. Beim Transferzirkus hat der SCB seit Saisonbeginn an spielerischer Substanz verloren. Aber an Stabilität gewonnen. Disziplin, Ordnung und Leidenschaft stimmen. Was sich soeben bei der Penalty-Niederlage (1:2) in Genf erneut gezeigt hat.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Alle Transfers sind in Abstimmung oder auf Wunsch von Trainer Jussi Tapola getätigt worden. Der SCB ist so überglücklich, endlich wieder einen richtigen Trainer zu haben, dass dem Finnen alle Wünsche von den Lippen abgelesen werden. Der Trainer ist beim SCB sogar grösser als Marc Lüthi. Als «Jussi gnadenlos» begnügt er sich nicht damit, einen Spieler auf die Tribüne zu schicken. Wer nach seiner Ansicht nicht in Kabine und Konzept passt, muss gehen. Disziplinarische oder sonstige Verfehlungen hat es nicht gegeben. «My way or the highway» (sinngemäss: Entweder tust du, was ich sage, oder du musst gehen). Dieser kompromisslose, geradlinige Führungsstil nach drei Jahren Larifari-Betrieb imponiert Marc Lüthi. Logisch.
Ein solches Transferspektakel passt eigentlich nicht zur eher konservativen SCB-DNA. Das sieht auch Marc Lüthi so. Er sagt aber, beim Beginn eines neuen Zeitabschnittes gebe es eben Wechsel. Wo er recht hat, hat er recht: So ziemlich jede Revolution beginnt mit Personalfluktuationen und gelegentlich einem ziemlichen Chaos. Der SCB-Manager betont: «Wir haben keine Spieler ausbezahlt. Die Verträge sind ohne Entschädigung aufgelöst worden.» Er hat das Rechnen nicht verlernt.
Jussi Tapola bleibt sich und seinem Stil treu und setzt in Bern um, was ihn in Finnland zu einem der besten Trainer der Welt gemacht hat: Er ist konsequent. Kommunikativer zwar als Kari Jalonen. Aber hockey- und führungstechnisch noch sturer.
So richtig rocken und rollen würde es erst, wenn es – wie zuvor in Tampere – diesem oder jenem alteingesessenen Leitwolf und nicht bloss den Hinterbänklern und den Gastarbeitern an den Kragen geht. «Ja, wir wissen, wie unser Trainer in Finnland gearbeitet hat», sagt Marc Lüthi. «Aber bei uns wird es keine Transfers von wichtigen Spielern geben.» Tatsächlich lobt Jussi Tapola die Arbeitseinstellung des harten SCB-Kerns um Simon Moser immer wieder. Und Marc Lüthi ergänzt: «Simon Moser gibt in jeder Partie ein Maximum.» Dass der Captain gehen muss – wie einst in Tampere – ist also nicht zu erwarten.
Das Risiko der Revolution: In Tampere hatte Jussi Tapola viel mehr Spieler in der eigenen Organisation zur Verfügung als in Bern. Die Nachwuchstalente waren näher am Leistungsniveau der höchsten Liga als Berns Junioren. Seine «Opfer» konnte er bedenkenlos aus den eigenen Reihen ersetzen. Das ist in Bern nicht möglich. Was dazu führt, dass Sportchef Andrew Ebbet immer wieder Spieler aus anderen Organisationen (Genf, Kloten, Biel) holen muss, die im Normalfall für einen Transfer nach Bern nicht infrage kämen. Um die Lücken und das Matchblatt zu füllen.
Die Chancen der Revolution: Die Dynamik der permanenten Unruhe bleibt bis Saisonende höher als die Verunsicherung. Dann kann der SCB sehr weit kommen. Wohlweislich hütet sich Marc Lüthi vor einer Prognose und sagt: «Abgerechnet wird am Ende der Saison.»
Ja, der SCB dreht in der Sportabteilung durch. Aber das ist nach der beispiellosen sportlichen Misswirtschaft der letzten drei Jahre eben auch notwendig. Das Risiko der Revolution: Die Berner können nicht mehr stehen bleiben und den Fuss vom Gaspedal nehmen. Sie scheitern, wenn Jussi Tapola auf einmal nicht mehr den Mut hat, weiterhin konsequent und unbeirrt seinen Weg zu gehen. Dann würde er bei seiner Mission «Make the SCB great again» auf halbem Weg stehen bleiben. Und abstürzen.
Item, Hopp SCB