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Warum der SC Bern durchdreht – Chancen und Risiken einer Revolution

Berns Head Coach Jussi Tapola, rechts, gibt Anweisungen an Thierry Schild, links, beim Eishockey-Qualifikationsspiel der National League zwischen den SCL Tigers und dem SC Bern, am Mittwoch, 18. Oktob ...
Bandengeneral Jussi Tapola gibt den Takt vor – wer nicht spurt, muss gehen.Bild: keystone
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Warum der SC Bern durchdreht – Chancen und Risiken einer Revolution

Noch nie in seiner Geschichte hat der SCB so wild transferiert. Nun ist auch noch Klotens kräftiger Hinterbänkler Simon Kindschi nach Bern gekommen. Die SCB-Sportabteilung dreht durch. Die Geschichte einer wilden – und notwendigen – Flucht nach vorne mit einem allmächtigen Trainer.
20.12.2023, 06:3920.12.2023, 13:17
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Kürzlich hat ein alter Bekannter Marc Lüthi einen Wettbewerb vorgeschlagen: Wer auswendig und spontan alle Transfers aufsagen kann, die der SCB während der laufenden Saison schon getätigt hat, bekommt ein Sitzplatzabo für nächste Saison. Wahrscheinlich müsste keines ausgehändigt werden. Marc Lüthis Reaktion auf diesen schon etwas respektlosen Vorschlag war keineswegs Unmut oder gar Zorn. Eher stiller Fatalismus. Wohlwissend, dass der Trainer gegenwärtig beim SCB grösser und wichtiger ist als der Manager.

Das Protokoll des Kommens und Gehens in Bern seit September – ohne Gewähr, dass alle Namen aufgeführt sind – ist halt schon eindrücklich: Joona Luoto (in), Mika Henauer (out), Julius Honka (out), Martin Frk (out), Jesse Zgraggen (out), Ville Pokka (in), Marco Maurer (in) und Simon Kindschi (in). Das Gerücht, bei der SCB-Kabine werde eine Drehtüre montiert, ist tatsächlich nur ein Gerücht. Ein boshaftes sogar.

Bereits sind neun von zehn Ausländerlizenzen verbraten. Viel Transfer-Geschrei und wenig Wolle sagen die Berner zu solchem Leerlauf. Die Redewendung geht übrigens auf eine alte Sage zurück, als der Teufel vergeblich versuchte, eine Sau zu scheren. Beim Transferzirkus hat der SCB seit Saisonbeginn an spielerischer Substanz verloren. Aber an Stabilität gewonnen. Disziplin, Ordnung und Leidenschaft stimmen. Was sich soeben bei der Penalty-Niederlage (1:2) in Genf erneut gezeigt hat.

  • Stürmer
  • Verteidiger
  • Torhüter
player_image

Nation Flag

Aktuelle
Note

  • 7

    Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.

  • 6-7

    Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.

  • 5-6

    Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.

  • 4-5

    Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.

  • 3-4

    Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.

  • Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.

5,2

09.22

5,2

09.23

5,2

01.24

Punkte

Goals/Assists

Spiele

Strafminuten

  • Er ist

  • Er kann

  • Erwarte

Alle Transfers sind in Abstimmung oder auf Wunsch von Trainer Jussi Tapola getätigt worden. Der SCB ist so überglücklich, endlich wieder einen richtigen Trainer zu haben, dass dem Finnen alle Wünsche von den Lippen abgelesen werden. Der Trainer ist beim SCB sogar grösser als Marc Lüthi. Als «Jussi gnadenlos» begnügt er sich nicht damit, einen Spieler auf die Tribüne zu schicken. Wer nach seiner Ansicht nicht in Kabine und Konzept passt, muss gehen. Disziplinarische oder sonstige Verfehlungen hat es nicht gegeben. «My way or the highway» (sinngemäss: Entweder tust du, was ich sage, oder du musst gehen). Dieser kompromisslose, geradlinige Führungsstil nach drei Jahren Larifari-Betrieb imponiert Marc Lüthi. Logisch.

Ein solches Transferspektakel passt eigentlich nicht zur eher konservativen SCB-DNA. Das sieht auch Marc Lüthi so. Er sagt aber, beim Beginn eines neuen Zeitabschnittes gebe es eben Wechsel. Wo er recht hat, hat er recht: So ziemlich jede Revolution beginnt mit Personalfluktuationen und gelegentlich einem ziemlichen Chaos. Der SCB-Manager betont: «Wir haben keine Spieler ausbezahlt. Die Verträge sind ohne Entschädigung aufgelöst worden.» Er hat das Rechnen nicht verlernt.

Jussi Tapola bleibt sich und seinem Stil treu und setzt in Bern um, was ihn in Finnland zu einem der besten Trainer der Welt gemacht hat: Er ist konsequent. Kommunikativer zwar als Kari Jalonen. Aber hockey- und führungstechnisch noch sturer.

So richtig rocken und rollen würde es erst, wenn es – wie zuvor in Tampere – diesem oder jenem alteingesessenen Leitwolf und nicht bloss den Hinterbänklern und den Gastarbeitern an den Kragen geht. «Ja, wir wissen, wie unser Trainer in Finnland gearbeitet hat», sagt Marc Lüthi. «Aber bei uns wird es keine Transfers von wichtigen Spielern geben.» Tatsächlich lobt Jussi Tapola die Arbeitseinstellung des harten SCB-Kerns um Simon Moser immer wieder. Und Marc Lüthi ergänzt: «Simon Moser gibt in jeder Partie ein Maximum.» Dass der Captain gehen muss – wie einst in Tampere – ist also nicht zu erwarten.

Berns Simon Moser, rechts, wird vor dem Spiel von COO Pascal Signer fuer sein 500. Spiel geehrt, im Eishockey Meisterschaftsspiel der National League zwischen dem SC Bern und HC Ambri-Piotta, am Freit ...
Simon Moser wird im Oktober für sein 500. Spiel beim SCB geehrt – in Bern gilt er als Vorbild.Bild: keystone

Das Risiko der Revolution: In Tampere hatte Jussi Tapola viel mehr Spieler in der eigenen Organisation zur Verfügung als in Bern. Die Nachwuchstalente waren näher am Leistungsniveau der höchsten Liga als Berns Junioren. Seine «Opfer» konnte er bedenkenlos aus den eigenen Reihen ersetzen. Das ist in Bern nicht möglich. Was dazu führt, dass Sportchef Andrew Ebbet immer wieder Spieler aus anderen Organisationen (Genf, Kloten, Biel) holen muss, die im Normalfall für einen Transfer nach Bern nicht infrage kämen. Um die Lücken und das Matchblatt zu füllen.

Die Chancen der Revolution: Die Dynamik der permanenten Unruhe bleibt bis Saisonende höher als die Verunsicherung. Dann kann der SCB sehr weit kommen. Wohlweislich hütet sich Marc Lüthi vor einer Prognose und sagt: «Abgerechnet wird am Ende der Saison.»

Ja, der SCB dreht in der Sportabteilung durch. Aber das ist nach der beispiellosen sportlichen Misswirtschaft der letzten drei Jahre eben auch notwendig. Das Risiko der Revolution: Die Berner können nicht mehr stehen bleiben und den Fuss vom Gaspedal nehmen. Sie scheitern, wenn Jussi Tapola auf einmal nicht mehr den Mut hat, weiterhin konsequent und unbeirrt seinen Weg zu gehen. Dann würde er bei seiner Mission «Make the SCB great again» auf halbem Weg stehen bleiben. Und abstürzen.

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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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fandustic
20.12.2023 07:52registriert Juni 2021
Mag etwas ungewohnt sein für unsere Liga, bin gespannt wie das herauskommt. Bislang betraf es nur Spieler, die bereits da waren und ein Grossteil hatte die Möglichkeit sich zu zeigen oder für mehr aufzudrängen, was offensichtlich nicht allen gelang. Ich denke wenn die Hausaufgaben beim SCB im Vorfeld gemacht wurden, dann kann es keine Überraschung sein, dass ein Tapola so vorgeht. Zudem sitzen bei praktisch jedem Verein Spieler auf der Tribüne, also warum sich das nicht zu Nutzen machen? Tapola erscheint mir auch nicht als Trainer, der dann plötzlich die Fliege macht, darum passt das schon.
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Amarillo
20.12.2023 09:22registriert Mai 2020
Haben offenbar ein paar Verletzte in der Defense. Kindschi sei ja nur bis Mitte Januar ausgeliehen. Dass Zgraggen auch in Bern als etwas zu leicht empfunden wird, ist ebenfalls keine Überraschung. Bei den Ausländern hat der Sportchef - wie vom Eismeister ebenfalls schon erwähnt - danebengegriffen. Frk kommt auch in Rappi nicht auf Touren. Und Honka scheint ein offensiver Freigeist zu sein mit hoher Fehlerquote. Das mag es in einem gefestigten + stabilen Team vertragen, was der SCB derzeit aber nicht ist. Der Goali ist der Beste im Team + ermöglicht auch einem stolpernden SCB zu punkten.
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Tikkanen
20.12.2023 16:01registriert November 2014
...in der Tat scheint das Transfer-Gebahren des SCB heuer etwas hektisch. Dies ist meiner Meinung nach aber nicht ausschliesslich dem dezidierten Jussi geschuldet, sondern vielmehr dem komplett überforderten Sportchef-Schnupperstift Ebbett. Lüthis Entscheid, in dem er Ebbett dem P. Müller vorzog, ist einer der wenigen grossen Fehler vom ML und sollte noch vor dem Amtsantritt von Plüss korrigiert werden. Der Ebbett hat weder sie Skills noch das Netzwerk zum erfolgreichen Gschäften in Europas Hockeyhauptstadt. Jänu, für die Playoffs reichts trotzdem, und dann ist vieles möglich!

Item, Hopp SCB
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