Ein Spiel des EHC Arosa zu besuchen ist wie die Schlager aus den Zeiten der ersten Liebe zu hören: Das Dress mit der Sonne, der Name – ach, da kommen wehmütige Erinnerungen auf. Ich habe Arosa noch in der höchsten Liga rocken sehen. Mit Titanen wie Andy Ritsch, Ruedi Kramer, Reto Sturzenegger, Hansi und Lolo Schmid, Reto Dekumbis, Jöri Mattli, Pietro Cunti oder Guido und Markus Lindemann. Unter der Anleitung des grantigen Meistertrainers Lasse Lilja, der bei kerniger Berichterstattung dem Chronisten noch persönlich die Meinung geigte. Wenn erforderlich auch handgreiflich.
Und wenn Chasper Stupan für das staatstragende Radio Beromünster in seinem wunderbaren, unverwechselbaren Bündner Dialekt von den Heldentaten der Aroser ins Unterland berichtete, sahen wir im Kopfkino die Bündner Berge, kecke Steinböcke und majestätische Adler. Ach, Arosa. Ach, die gute alte Zeit.
1986 hat Arosa die grosse Bühne freiwillig verlassen. Präsident Peter Bossert, bis heute einer der klügsten Macher unserer Hockeygeschichte, hatte den Mut, aus wirtschaftlichen Gründen freiwillig aus der NLA in die 1. Liga abzusteigen. Seither ist Arosa nicht mehr ins Profihockey zurückgekehrt.
Das könnte sich ändern. In den nächsten Tagen wird Geschäftsführer Adrian Fetscherin die Bewerbung für einen Aufstieg in die Swiss League einreichen. Das mag er so zwar nicht bestätigen und sagt: «Eine Aufstiegs-Bewerbung einzureichen liegt nicht in meiner Kompetenz. Der Verwaltungsrat entscheidet.» Ja klar. Allerdings weiss niemand von einem Antrag des unermüdlichen Machers zu berichten, der vom Verwaltungsrat nicht abgesegnet worden ist.
Nichts zeigt die ewige Magie dieses Klubs besser als das gestrige Gastspiel im Bernbiet. In Huttwil. Im Herzen der Schweiz. Von Zürich aus gesehen natürlich tiefste Provinz. Aber eben auch ein Herzland des Hockeys im Einzugsgebiet der SCL Tigers und des SC Bern.
Zum Spiel gegen Arosa kommen über 300 Fans. 100 mehr als sonst üblich. Adrian Fetscherin ist mitgereist. Zu jedem Auswärtsspiel transportiert er in seinem Auto eine ganz grosse Kiste mit Fanartikeln. Auch in Huttwil baut er einen Verkaufsstand auf. Und siehe da: Er wird um die 500 Franken Umsatz machen.
Hypothek und Verletzte - So konnte es nicht mehr reichen
— EHC Arosa (@ehc_arosa) November 3, 2021
Tja. Hätte der Match fünf Minuten länger gedauert. Der EHC Arosa hätte womöglich nicht nur ausgeglichen, sondern gar gewonnen...https://t.co/BGYHnGlTqA
Hopp Arosa! pic.twitter.com/MTU2K0b9Ef
Mindestens 100 Zuschauerinnen und Zuschauer kommen nicht wegen dem Heimteam Hockey Huttwil, sondern um den EHC Arosa im Unterland zu sehen. Sie tragen Kappen oder Halstücher in den Arosa-Farben. Adrian Fetscherin begrüsst alle persönlich mit Handschlag und sagt, er mache das auch bei jedem Heimspiel. Dann sind es jeweils fast 600.
Eine treue Anhängerin aus dem Unterland bringt nach dem Spiel selbstgebackenen Kuchen in die Kabine. Als Wegzehrung für die lange Heimreise ins über 200 Kilometer entfernte Arosa. Wahre Hockey-Romantik. Und sogar Rolf Bichsel, der berühmte lokale Fussball-Erfolgstrainer, auch er ein Arosa-Nostalgiker, bekommt beim improvisierten Fan-Verkaufsstand glänzende Augen und kauft spontan eine der schmucken Arosa-Wollmützen für mehr als 20 Franken.
Arosa verliert diese Partie nach einer dramatischen Aufholjagd 3:4. Was beeindruckt, ja begeistert: Trainer Rolf Schrepfer – auch er ein Name für Nostalgiker – lässt ein dynamisches Spektakelhockey spielen. Seine Jungs lassen sich auch durch den frühen Ausfall ihres Topskorers Patrick Bandiera nicht beirren. Am Ende scheitern Mut, Leidenschaft und Tempo an der gegnerischen Erfahrung, Härte und taktischen Schlauheit. Im Grunde ist es ein Spiel nach dem gleichen Grundmuster wie einst die Partien zwischen dem HCD und dem SCB, als der SCB noch ein Titan war. Arosa in der Rolle der Davoser, Hockey Huttwil wie der SCB.
EHC AROSA TÄGLICH, 3.11.2021
— EHC Arosa (@ehc_arosa) November 4, 2021
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Heute: Punkte wären verdient gewesen
- 3:4-Niederlage bei Hockey Huttwil
- Aufholjagd zu spät gestartet
- Stümer Krayem zu den Problemen
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Ab nächster Saison ist die Swiss League eine vom Verband unabhängige, eigenständige Aktiengesellschaft. Zugs Farmteam zieht sich zurück und wenn eine Mannschaft in die National League aufsteigt (was mit ziemlicher Sicherheit der Fall sein wird), braucht es drei neue Teams, um wieder auf die Idealgrösse von 12 Klubs zu kommen. Neben zwei sportlichen Aufsteigern ist also noch Platz für eine Gratis-Promotion «am grünen Tisch». Und warum nicht Arosa aufsteigen lassen? Es wäre nach dem freiwilligen Abstieg von 1986 die Versöhnung mit der Geschichte. Gerade noch rechtzeitig zum 100-Jahr-Jubiläum, das 2024 gefeiert wird.
Für die Swiss League müsste Arosa sein aktuelles Budget nach und nach auf über zwei Millionen verdreifachen. Adrian Fetscherin sagt, das sei möglich – und notwendig. In einer ersten Saison würde ein «Romantiker-Budget» nach dem Vorbild von Winterthur von nicht ganz zwei Millionen reichen. «Aber dann müssten wir mehr investieren. Um konkurrenzfähiger zu werden.»
Die wirtschaftliche Basis mag in dem Bergdorf mit etwas mehr als 3000 Einwohnern klein sein. Und der aktuelle Zuschauerschnitt (knapp 600 pro Spiel, der zweithöchste der MySports League) kann in der zweithöchsten Liga vielleicht verdreifacht werden. Aber die Infrastruktur reicht nach ein paar baulichen «Handgriffen» (neue Banden, Einbau eines Gastsektors) für die Swiss League bei weitem. Und haben denn nicht viele Persönlichkeiten mit abgeschlossener Vermögensbildung ihre Zweitwohnungen in Arosa? Eben. Da müsste eigentlich für einen charismatischen, leidenschaftlichen Macher wie Adrian Fetscherin etwas zu machen sein.
Keine Frage: Die Magie Arosas ist nicht erloschen. Die Popularität dieses Klubs ist ungebrochen. Adrian Fetscherin sagt, der Umsatz mit Fanartikeln betrage pro Saison rund 100'000 Franken. Arosa wäre eine Bereicherung für die Swiss League. Eine «Marke», die vermarktet werden kann. Auch im TV-Bereich. Der EHC Arosa als familiärer, romantischer Gegenentwurf zum grossen HC Davos. Als gallisches Dorf unseres Profihockeys.
Hilfreich wäre sicherlich eine intensive Zusammenarbeit auf allen Ebenen und vor allem im Juniorenbereich mit Davos und mit Chur. Aber einfach wird das nicht. Es gibt wissenschaftliche Studien, die aufzeigen, dass in keinem anderen Landesteil die Gemeindeautonomie so intensiv gelebt wird wie im Kanton Graubünden, dem Land der 150 Täler. Kenner sagen, wer es fertigbringe, dass alle Bündner Hockeyklubs am gleichen Strick ziehen und sich gegenseitig unterstützen, sei ein Kandidat für den Friedensnobelpreis.
Wie schwierig es ist, in diesem wunderlichen Land alle für eine Sache zu begeistern, mag eine Episode zeigen. Die in Chur domizilierte Mediengruppe Somedia, die Tageszeitungen und Wochenblätter herausgibt sowie lokale TV- und Radiostationen betreibt und damit praktisch eine regionale Monopolstellung einnimmt, zeigt dem EHC Arosa die kalte Schulter.
Über einen der populärsten Klubs im Leser- und Sendegebiet wird nur noch in Resultatform berichtet. Das ist so, wie wenn der «Tages-Anzeiger» in Zürich die Berichterstattung über die ZSC Lions einstellen würde. «Ja, das ist leider so», sagt Adrian Fetscherin auf Anfrage. Und René Weber, die Sport-Edelfeder aus dem Hause Somedia bestätigt, dass nicht mehr über Arosa berichtet wird.
Warum ist das so? Die Hintergründe, die nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt werden, sind höchst amüsant und gar nicht so brisant. Es geht eigentlich nur um Eitelkeiten. Wie meistens im Leben und erst recht in der Welt der Medien und des Sports. René Weber ist wegen unbotmässiger Berichterstattung in Arosa oben offenbar allseits nicht mehr erwünscht und sein Arbeitgeber dem Vernehmen nach nicht willens, einen anderen Chronisten nach Arosa hinaufzuschicken. Aber wir wollen nicht grübeln. In nächster Zeit sollen «Friedensgespräche» geführt werden. Sozusagen als Schanfigger Medien-Gipfel. Und warum die Gespräche nicht auf «Tele Südostschweiz» direkt übertragen?
Ach, auch ob dieser vergnüglichen Bündner Medienposse kommen nostalgische Gefühle auf. Damals, in den 1980er-Jahren, ist auch hin und wieder unmanierlich über den EHC Arosa geschrieben worden. Aber der grosse Vorsitzende Peter Bossert regelte Unstimmigkeiten auf eine Art und Weise, die wohl auch heute noch funktionieren würde. Wenn er mit der Berichterstattung über seinen EHC Arosa nicht zufrieden war, hat er den betreffenden Chronisten in Zürich an bester Adresse zum Essen eingeladen.
Bei erlesenen Speisen und köstlichem Wein pflegte er, seine Sicht der Dinge darzulegen. Nie drohend. Nie mahnend. Nie belehrend. Immer freundlich, ruhig und gelassen. Ein Gentleman. Auf wundersame Weise floss seine Sicht der Dinge sodann in die Berichterstattung ein. Bis zur nächsten Einladung.
Ja, das waren herrliche Zeiten für Chronisten und den EHC Arosa.
Mich würde nicht verwundern, wenn der Eismeister in den nächsten Monaten etwas an Körperfülle zulegen würde. Die Präsidenten der NL-Clubs lesen dieses Interview sicherlich auch!
Zu Arosa: die Sonne auf dem Leibchen war auch bei uns im Emmental präsent. Nostalgik pur!
Ein Genuss war jedes Mal, wenn sich Chasper Stupan aus der Aroser Iisporthalla meldete.
Mit: Im Jöri Mattli sini Schindla isch in tuusig Taila zerfloga und ähnlichem.
Arosa hat seinen Mythos trotz Abstieg behalten. Wo Berns Weg ohne diesen Abstieg hingeführt hätte weiss niemand.
Wäre aber schön, Arosa in der SL zu sehen.